Kommentar zum Ende von Rot-Grün in NRW Die Neuwahl, die keiner wollte

Nordrhein-Westfalen muss binnen 60 Tagen einen neuen Landtag wählen. Im Mai also schon wird es eine "kleine Bundestagswahl" im bevölkerungsreichsten Bundesland geben, die niemand wollte. Schon gar nicht die FDP, die aus dem Parlament fliegen dürfte.

März 2012: Der NRW-Landtag löst sich auf
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Politik unterwirft sich beileibe nicht immer einem Masterplan aus Werten und Sachzwängen, sie entsteht zu einem mindestens so großen Teil aus Zufällen, Eitelkeiten, persönlichen Karriereplanungen wie politischen Unzulänglichkeiten oder einfach nur mittels einer losen Zunge. So ist es zu erklären, dass Nordrhein-Westfalen binnen 60 Tagen einen neuen Landtag wählen muss.

Es ist eine Wahl, die keiner wollte: SPD und Grüne nicht, die als Minderheitsregierung zwar angestrengt, aber von der Opposition weitgehend unbehelligt regierten; die CDU nicht, die die mögliche Wahlniederlage scheute; die FDP nicht, die nach heutigem Stand aus dem Parlament fliegen dürfte; die Linkspartei nicht, der wegen Überflüssigkeit ähnliches blüht.

Parteizentralen stöhnen über die Kosten

Die Berliner Parteizentralen stöhnen ob der mit einer "kleinen Bundestagswahl" im bevölkerungsreichsten Bundesland verbundenen Lähmung der Bundespolitik und der Kosten für die klammen Kassen. Die nordrhein-westfälischen Bürger dürften in ihrer Mehrheit auch nicht begeistert sein. Der Wahlgang kostet den Steuerzahler 40 Millionen Euro. Ob er eine bessere Politik bringt, ist dabei noch fraglich.

Trotzdem wird nun gewählt. Aus heutiger Sicht und nach allen Umfragen, die sich binnen zweier Monate kaum entscheidend ändern dürften, könnte es für Rot-Grün diesmal anders als 2010 für eine eigene Mehrheit reichen. CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen, im Hauptberuf Bundesumweltminister, hat jedenfalls als realistisches Wahlziel für die Union ausgegeben, man wolle stärkste Partei werden. Das dürfte sich dann allenfalls auf der Oppositionsbank dokumentieren.

Piraten als neue NRW-Protestpartei

Es sei denn, und nun kommen wir zu den Unwägbarkeiten des immer unberechenbarer werdenden politischen Geschäfts, die Piraten lösten als neue NRW-Protestpartei die Linken ab und täten dies auch deutlich auf Kosten der auf Bundesebene schwächelnden Grünen. Nur in diesem unwahrscheinlichsten aller Fälle käme die Möglichkeit einer großen Koalition ins Spiel.

Tragische Figur im Düsseldorfer Landtag ist FDP-Fraktionschef Gerhard Papke. Mit seiner Ankündigung gegenüber unserer Redaktion, im Rahmen der zweiten Haushaltslesung alle Einzeletats ablehnen zu wollen, rückte er die verfassungsrechtliche Neuentdeckung ins Blickfeld der Landtagsverwaltung, dass ein NRW-Haushalt auch schon bei fehlenden Mehrheiten für Einzelposten des Etats als abgelehnt zu gelten habe. Damit war die rot-grüne Minderheitsregierung de facto handlungsunfähig.

Papke stimmte für die Abschaffung des eigenen Arbeitsplatzes

Von der einmal ausgegebenen Linie kam Papke nicht mehr herunter, zumal er prinzipientreuer ist, als es den NRW-Liberalen häufig unterstellt wird. Mit seinem Verhalten im Etatstreit stimmte er somit wohl der Abschaffung seines eigenen Arbeitsplatzes zu.

Die gestrige Aufregung um Macht und Mehrheiten sollte jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf ist nicht nur bei einer Abstimmung, sondern auch in der Sache krachend gescheitert. Sie hatte mit ihrer "Koalition der Einladung" in der zentralen Frage der Aufstellung eines verfassungsgemäßen Haushalts keine Mehrheit. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das Wort von der "Schuldenkönigin" immer zurückgewiesen; den Kern des Vorwurfs, sie betreibe eine zweifelhafte Finanzpolitik, konnte sie jedoch nicht zwingend entkräften.

Die Prognose lautet deshalb: Wir werden einen rot-grünen Wahlkampf erleben, der das Sparen hinten anstellt und mit Blick auf Krafts Popularität ein Wohlfühlklima der sozialen Gerechtigkeit betont nach dem Motto "Auf die Ministerpräsidentin kommt es an". Eine ganze Menge Rau sozusagen.

(gö-)
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