Analyse der politischen Landschaft Die Volksparteien in NRW verlieren an Macht

Düsseldorf · Die beiden Volksparteien CDU und SPD haben in NRW drastisch an Mitgliedern verloren. Beide Parteien treten die Flucht nach vorne an und wollen ein Jahr vor der Landtagswahl mehr Partizipation ermöglichen.

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Es mag ja große Unterschiede geben, aber ein gravierendes Problem haben die beiden Volksparteien CDU und SPD auch im bevölkerungsreichsten Bundesland gemeinsam: Sie verlieren immer mehr Mitglieder. In Nordrhein-Westfalen ist die Union inzwischen auf einen Bestand von 139.000 gerutscht; 1984 waren es noch 270.800 Mitglieder. Bei den Sozialdemokraten ist die Kartei von 295.000 im Jahr 1984 auf nur noch 118.000 Einträge geschrumpft.

Wenn der Trend anhält, dürfte der Mitgliederbestand in etwa zehn Jahren unter 100.000 gesunken sein. Das wäre nicht nur ein finanzielles Fiasko für die beiden (noch) großen Parteien, sondern würde auch deren gesellschaftliche Verankerung enorm schwächen. Sie hätten mithin ein gewaltiges Legitimationsproblem.

Eine riskante Spirale nach unten, die beide Parteien zum Handeln zwingt -und auf Ideen bringt: Sie wollen das Gespräch mit den Bürgern intensivieren, Partizipation ausweiten, "Schnuppermitgliedschaften" ermöglichen und vor allem alle Möglichkeiten nutzen, die das Internet bietet, um Menschen für die Parteiarbeit zu interessieren. Bei den Christdemokraten ist das beispielsweise ein "virtueller Stammtisch", wie Generalsekretär Bodo Löttgen erläutert. Zugleich sind Union und SPD bestrebt, sich inhaltlich auf die Belange der Zukunft auszurichten.

SPD sucht den Weg in die Zukunft

Die einflussreiche nordrhein-westfälische SPD-Landtagsfraktion hat bereits einen offenen Diskussionsprozess gestartet, um zu klären, wohin bis zum Jahr 2030 "die Reise mit den Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen gehen wird", wie der Fraktionsvorsitzende Norbert Römer formuliert. Das Land sei "noch nicht so gerecht und nicht so stark, wie es sein könnte" , sagt er unter Hinweis auf Defizite im Bildungssystem sowie auf strukturschwache Städte und Regionen. Zudem stehe die größte Herausforderung, die Energiewende, erst noch bevor.

2016 - also ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl - soll das aus dem Diskussionsprozess resultierende Arbeitsprogramm "NRW Zweitausend-30" vorliegen und Antwort auf zentrale Zukunftsfragen der Partei geben: Welche Ziele will die SPD bis 2030 erreichen, und auf welchen Werten beruhen diese Ziele? Gefragt wird auch: "Welches Bild machen wir uns von der Zukunft des Arbeitens, Wirtschaftens und Lebens in Nordrhein-Westfalen?" Dieses Programm dürfe sich weder in einem "Klein-Klein von Einzelprojekten auflösen noch in eine sozialdemokratische Utopia abgleiten", betont Römer: "Es muss von einem ehrgeizigen Pragmatismus bestimmt sein, der Wertebewusstsein mit Kompetenz und Realismus verbindet."

Der Fraktionschef, ein enger Berater der Parteivorsitzenden und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, ist davon überzeugt, dass die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen spätestens 2030 ihre finanzielle Notlage überwunden haben und wieder handlungsfähig sind. Ein weiterer Zukunftsaspekt: Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde eine hochqualifizierte und zeitlich flexible Kinderbetreuung immer wichtiger, sagt Römer.

Der Fokus auf Zukunftsfragen ist bei den Sozialdemokraten wohl auch historisch bedingt: 2005 wurde die SPD nach 39 Jahren in der landespolitischen Verantwortung spektakulär als Regierungspartei abgewählt; der Christdemokrat Jürgen Rüttgers wurde neuer Ministerpräsident. "Die Menschen haben uns damals nicht mehr zugetraut, die Zukunftsfragen zu lösen", sagt Römer im Gespräch mit unserer Zeitung. Das soll sich nicht wiederholen.

CDU arbeitet an Grundsatzprogramm

Während die NRW-SPD an ihrem Konzept 2030 als "strategischem Kompass" (Römer) arbeitet, entwickelt die NRW-CDU derzeit ihr Grundsatzprogramm. Es ist das erste nach der Fusion der beiden Landesverbände Rheinland und Westfalen im Jahr 1986 überhaupt. Im Juni soll es vom Landesparteitag verabschiedet werden und "auf Jahrzehnte hinaus", so Landeschef Laschet, Gültigkeit als Fundament der praktischen Parteiarbeit besitzen.

Der 97-seitige Entwurf, der die Grundlage für ein detailliertes Wahlprogramm zur Landtagswahl 2017 sein soll, liegt inzwischen vor. Darin bekennt sich die Partei - ausgehend vom christlichen Menschenbild - zur sozialen Marktwirtschaft. Während andere Parteien wie die SPD dem Staat möglichst viele Bereiche zur Regulierung übetragen wollten, vertraue die Union dem Individuum, das allerdings soziale Verantwortung trage. Dieses Menschenbild, so Laschet, könne auch von jenen akzeptiert werden, die nicht einer christlichen oder gar keiner Religion angehörten. Das C im Namen, gewissermaßen das Alleinstellungsmerkmal der Partei, soll damit aber nicht relativiert werden.

Der Partei- und Fraktionschef, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Christdemokraten ist, leitet derzeit auch eine von drei Zukunftskommissionen, die von Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel eingerichtet worden sind. Laschets Kommission befasst sich mit der "Zukunft der Bürgergesellschaft". Darin geht es vor allem um die wichtige Frage, wie sich die CDU "ein liebens- und lebenswertes Deutschland von morgen vorstellt".

(RP)
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