Zukunft NRW Digitale Bildung: ungenügend

Düsseldorf · Die Digitalisierung krempelt ganze Wirtschaftszweige um - in unseren Schulen ist sie noch nicht angekommen. Bund und Länder verschlafen das Thema wider besseres Wissen. Es gehört dringend auf den Lehrplan.

 Andreas Pinkwart war von 2005 bis 2010 NRW-Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie.

Andreas Pinkwart war von 2005 bis 2010 NRW-Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie.

Foto: Axel Stephan Fotodesign

In der Bildungspolitik begeht die Bundesregierung derzeit eine der größtmöglichen Unterlassungssünden. Sie weiß, was getan werden muss, sie weiß warum, und sie hat das Geld dafür. Aber: Sie tut nichts. Während die Digitalisierung in rasanter Geschwindigkeit ganze Branchen entstehen und verschwinden lässt und unser Leben umkrempelt, ist sie in unseren Schulen noch nicht einmal Neuland. Eher ein unbekanntes Fernreiseziel. All die Versprechen, die Schulen mit moderner Technik auszustatten, neue Medien im Unterricht einzusetzen und unsere Kinder auf die digitale Zukunft vorzubereiten - verschoben auf die Zeit nach der Wahl. Selten hat sich deutlicher bestätigt, zu welch kleinen Lösungen große Koalitionen in der Lage sind.

Ein "Sprung nach vorn in der digitalen Bildung" sollte er sein, der Digitalpakt der Bundesregierung. Fünf Milliarden Euro stellte Ministerin Johanna Wanka vor fast einem halben Jahr in Aussicht, versehen mit dem werbewirksamen Etikett "Digitalpakt #D". Mit diesem Geld sollte, zumindest als Anschubfinanzierung, die digitale Infrastruktur an Deutschlands Schulen ausgebaut werden - W-Lan, Laptops, Whiteboards und so weiter. Außer dem Geld für die Marketing-Agentur, die sich das hübsche Etikett vermutlich ausgedacht hat, ist aber kein Cent geflossen und wird auch vorerst nicht fließen. Denn im Haushaltsentwurf 2018 sucht man das versprochene Geld vergebens.

Das Schlimme daran ist: Bund und Länder verschlafen das Thema wider besseres Wissen - "entscheidendes Zukunftsthema" (Ministerin Wanka), "Digitalisierung in der Bildung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe" (NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann). Dieser Aufgabe wird auch Nordrhein-Westfalen nicht gerecht, indem die Landesregierung den rund 6000 Schulen im Land ganze zwei Milliarden Euro bis 2020 auf Kreditbasis für sämtliche Bau-, Sanierungs- und Modernisierungsvorhaben plus Aufbau der digitalen Infrastruktur bereitstellt. Ein Trauerspiel in Zeiten von Rekord-Steuereinnahmen!

Warum ist ein Update für die Bildung überfällig? Weil das generelle Ziel von Bildung aus dem Blick zu geraten droht. Dieses Ziel lautet, den Menschen zu helfen, sich als selbstbestimmte Persönlichkeiten in einer sich beständig verändernden Gesellschaft zurechtzufinden und verantwortungsvoll ihre eigenen Lebensentwürfe zu verfolgen. Wenn Schule dieses Ziel ernst nimmt, gehört Digitalisierung auf den Lehrplan.

Erste Aufgabe: die Vermittlung von technischem Grundwissen. Es ist nicht ausreichend zu wissen, wie man ein Smartphone bedient. Wünschenswert wäre etwa, auch die Funktionsweise von Algorithmen zu verstehen. Das ist Voraussetzung für einen reflektierten Umgang mit allen wichtigen politischen Themen unserer Zeit und für ein mündiges Konsumverhalten. Zudem sind grundlegende Kenntnisse von Hard- und Software sowie Erfahrungen mit digitalen Medien in den meisten Berufen schon heute unverzichtbar.

Zweite Aufgabe: die Vermittlung von kooperativem Lernen und vernetztem Denken. So wie die große Wissenschaft heute nur noch durch Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen nobelpreiswürdige Erkenntnisse hervorbringt, so wandelt sich auch im Kleinen die Arbeitswelt immer mehr in Richtung Teamwork. Oftmals über Zuständigkeits- und Hierarchiegrenzen hinweg. Da arbeiten verschiedene Experten an verschiedenen Orten zu manchmal verschiedenen Zeiten: an ein und demselben Dokument. Diese Art der Zusammenarbeit kann man in der Schule wunderbar beim Lernen lernen.

Dritte Aufgabe: der Einsatz digitaler Medien zur Individualisierung des Unterrichts. Denn nicht alles kann in Gruppenarbeit erlernt werden im Schulalltag. Nur: Wenn jeder Schüler für sich an derselben Mathe-Aufgabe tüftelt, ist der eine über- und der andere unterfordert. Dabei gibt es längst die Lern-Software, die jedem Schüler sein eigenes Lerntempo ermöglicht.

Um diese drei Aufgaben zu bewältigen, braucht es zweierlei: eine gute technische Ausstattung der Schulen und eine gute Ausbildung der Lehrer. Doch viele deutsche Schulen sind in Sachen Netzanschluss, Computer und Software museumsreif. Die Lehrer bekommen so gut wie keinerlei Fortbildung, um digitale Technik in den Unterricht zu integrieren. Es ist eine fatale Mischung aus technischem und pädagogischem Stillstand. Ergebnis: Unsere Schüler belegen mit ihrem digitalen Know-how in internationalen Vergleichsstudien höchstens Mittelfeldplätze, ein Drittel wird abgehängt.

Mehr und mehr stellt es sich als Fehler heraus, dass Bund und Länder das Thema nicht von vornherein zur Chefsache gemacht haben. Stattdessen ist die digitale Infrastruktur beim Verkehrsminister angeflanscht, der hauptsächlich mit der Maut kämpft. Und der Bundesfinanzminister bremst die Bildungsministerin bei den Etatverhandlungen aus. Letzte Hoffnung: die Kanzlerin. Ein Digitalgipfel mit den Ministerpräsidenten und Bildungsministern müsste jetzt eigentlich Tempo machen und dafür sorgen, dass die fünf Milliarden noch im nächsten Haushalt auftauchen und die pädagogischen Konzepte mit Hochdruck erarbeitet werden. Dafür muss Zeit sein, Wahlkampf hin oder her!

(RP)
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