Urteil setzt Rot-Grün unter Zugzwang Für Kraft gibt es nun drei Möglichkeiten

Schlimmer hätte es für Rot-Grün nicht kommen können. Nach dem Urteil des NRW-Verfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt muss sich die rot-grüne Landesregierung neu erfinden. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) steht an der Wegscheide. Sie muss ihre Politik verändern. Drei Szenarien erscheinen möglich.

Presse zu Rot-Grün: Ertappte Sünder
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Foto: dapd

Schlimmer hätte es für Rot-Grün nicht kommen können. Nach dem Urteil des NRW-Verfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt muss sich die rot-grüne Landesregierung neu erfinden. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) steht an der Wegscheide. Sie muss ihre Politik verändern. Drei Szenarien erscheinen möglich.

Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat Rot-Grün ein Urteil vor die Nase gesetzt, das der Minderheitsregierung den Boden unter den Füßen wegzieht. Sie darf bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Nachtragshaushalts 2010 keine neuen Kredite aufnehmen. Braucht sie Geld, muss sie bereits vorgenommene Buchungen wie die Aufstockung des Sondervermögens für riskante WestLB-Papiere rückgängig machen.

Rot-Grün bleibt formal handlungsfähig. Das haben auch die Richter in ihrem Urteil betont. Die Zahlungen an die Landesbediensteten laufen weiter und auch für die Telefonrechnung der Ministerien wird es reichen. Doch so weiter machen wie geplant kann Kraft nicht. Dies gilt mindestens bis zur endgültigen Entscheidung in Münster in spätestens drei Monaten.

Rot-Grün braucht wohl eine komplett neue Politik

Vermutlich auch darüber hinaus. Die harte Haltung des Gerichts spricht dafür, dass der Nachtragsetat 2010 das Verfahren nicht unbeschadet überstehen wird. Für Rot-Grün heißt das: Gehe zurück auf Los. Die Minderheitsregierung muss ihren Ansatz der "präventiven Politik" komplett überdenken.

Damit hatte Kraft bisher den Schuldenkurs gerechtfertigt, ganz nach dem Motto des ehemaligen Landesvaters Johannes Rau: Die Schulden von heute sind die Einnahmen von morgen. Investitionen ins Soziale sollten spätere Mehrkosten verhindern. "Hätten wir heute nur halb so viele Jugendliche ohne Hauptschulabschluss, könnte NRW 285 Millionen Euro an kriminellen Folgekosten sparen", erläuterte Kraft den Ansatz noch vor einigen Wochen unserer Redaktion.

Erst einmal Stillstand

Das Urteil aus Münster hat das politische Düsseldorf durcheinandergewirbelt. In den Hinterzimmern wird diskutiert: Was bringt das Urteil an Veränderungen mit sich? Bis zum endgültigen Richterspruch wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht viel bewegen. Dann aber muss Hannelore Kraft sich entscheiden. Derzeit zeichnen sich für die Regierungschefin drei Möglichkeiten ab.

Möglichkeit 1: Weitermachen Will die rot-grüne Minderheitsregierung weiterhin regieren, muss sie einen neuen Haushalt einbringen. Der aber, das scheint sicher, wird sich neue Milliardenschulden nicht erlauben können und wird sich vielmehr an den gesetzlichen Vorgaben orientieren müssen: Die Neuverschuldung darf nicht höher ausfallen als die im Etat vorgesehenen Investitionen. Rot-Grün wird sparen müssen. Unangenehme Entscheidungen sind die zwangsläufige Folge.

Das hat Folgen für das politische Mit- und Gegeneinander. Die rot-grüne Minderheitsregierung ist bei Abstimmungen im Landesparlament auf mindestens eine zusätzliche Stimme angewiesen, entweder aus Reihen der Linken, CDU oder FDP. Ob sich mit einem rigiden Sparkurs aber noch Stimmen aus dem linken Lager einholen lassen, erscheint fraglich.

Möglich erscheint zurzeit aber eine Kooperation mit den Liberalen. Schon vor dem Urteilsspruch ließ die nordrhein-westfälische FDP Bereitschaft erkennen, mit Rot und Grün ins Gespräch zu kommen. Voraussetzung: ein Kurswechsel, verfassungsgemäßer Haushalt inklusive.

Möglichkeit 2: Eine neue Koalition Ein heißes Thema für die Union. In Teilen der CDU wird bereits über Posten spekuliert. Für diesen Fall bestünde die Union angeblich auf fünf Ministerien; Fraktionsvize Armin Laschet ist als Vize-Regierungschef im Gespräch. Die CDU wäre Juniorpartner.

Häufiger als eine große Koalition ist seit den neuen Avancen der FDP jedoch wieder eine Ampel im Gespräch. Am Mittwoch machte das FDP-Chef Daniel Bahr im Deutschlandfunk abermals deutlich: "Ich hoffe, dass jetzt bei SPD und Grünen sozusagen ein Moment der Einkehr kommt und man erkennt, mit dem Kurs kann man nicht die Zukunft des Landes bestimmen, sondern hier muss eine Kursänderung vorgenommen werden", sagte der Landeschef der Liberalen. In diesem Fall sei die FDP auf der Basis ihres Programms zu Gesprächen bereit.

Möglichkeit 3: Neuwahlen Bisher halten sich alle Parteien zurück. Tatsächlich könnten derzeit nur die Grünen ein Interesse daran haben. Sie würde gestärkt daraus hervorgehen und bei einer Neubildung von Rot-Grün auf ein weiteres Ministerium spekulieren. Bisher aber ließ sich die SPD zu einem Neustart nicht überreden. Zu groß sind vielen frisch ins Parlament gewählten Sozialdemokraten die Risiken.

Die CDU um den Landesvorsitzenden Norbert Röttgen hat hingegen an Neuwahlen ebenso wenig Interesse wie die FDP. Man würde nur verlieren, für die Liberalen würde es mit derzeit vier Prozent in den Umfragen vielleicht nicht einmal zum Einzug in den Landtag reichen.

Entsprechend fallen die Erläuterungen von Landeschef Norbert Röttgen aus. Die CDU werde erst auf vorgezogene Wahlen pochen, wenn die rot-grüne Minderheitsregierung gescheitert sei, sagte CDU-Landeschef Norbert Röttgen am Mittwoch in Düsseldorf. Dann wolle sich die Partei aber "aktiv und offensiv" für einen Urnengang einsetzen.

(dapd/RTR/RP)
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