Analyse Hannelore Kraft - der Offenbarungseid

Düsseldorf · Nordrhein-Westfalen muss sich viel stärker verschulden als geplant. Manche Wissenschaftler zweifeln am ernsthaften Sparwillen von Rot-Grün, während die Opposition bereits verklausulierte Rücktrittsforderungen erhebt.

 NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (beide SPD) im Landtag.

NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (beide SPD) im Landtag.

Foto: dpa

Morgen wird Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Landesgartenschau in Zülpich besuchen und dort einen Spitzahorn pflanzen. Wunderschönes Nordrhein-Westfalen! Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere: NRW ist bundesweit der Schuldenmacher Nummer eins. Während andere Länder dazu übergangenen sind, ihre Altschulden abzutragen, türmt Krafts rot-grüne Regierung immer noch neue Kredite obendrauf. Das schadet nicht nur dem Image des Landes, sondern auch dem seiner Regierungschefin.

Grundübel scheint zu sein, dass Kraft keinen Plan B vorbereiten lässt. Sie setzte im vergangenen Jahr auf den Sieg von Rot-Grün bei der Bundestagswahl in der Hoffnung, dass dann der Bund sein Füllhorn über die Länder ausschüttet. Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sollte dies ermöglichen, hat Kraft wiedergeholt erläutert - und sich gründlich verspekuliert.

Ein Plan B fehlt Rot-Grün in NRW auch bei der Beamtenbesoldung. Kraft & Co setzten blindlings auf die Rechtmäßigkeit der Sparbeschlüsse samt der beiden Nullrunden. Als das Verfassungsgericht den Daumen senkte, offenbarte sich, dass Kraft keine Alternative zur Aufstockung der Neuverschuldung in der Schublade hatte. Die Landesregierung hatte sich schlichtweg verzockt.

Am Dienstag musste Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) das ganze Ausmaß der Misere eingestehen: Statt in diesem Jahr mit "nur" 2,4 Milliarden Euro neuen Schulden auszukommen, werden es 3,2 Milliarden Euro sein. Auch 2015 muss NRW mehr Kredite aufnehmen als geplant. Dieser herbe Rückschlag bei den Sparbemühungen, der auch auf die hochgeschraubte Erwartung von Rot-Grün bei den Steuereinnahmen zurückzuführen ist, fällt auf die Ministerpräsidentin zurück, die für die Landespolitik verantwortlich ist und sich nun ein Stück selbst entzaubert hat. Man kann das auch als politischen Offenbarungseid werten.

Dies nährt Zweifel, ob Hannelore Kraft wirklich die politische Strategin ist, für die sie manche halten. So beruht es wohl mehr auf dem Prinzip Hoffnung als auf Realitätssinn, wenn die Landesregierung trotzig verkündet, am Sparziel - Abbau der Neuverschuldung bis zum Wahljahr 2017 - festhalten zu wollen.

Man traut der Regierung Kraft nicht mehr zu, eine radikale Wende einleiten zu wollen. Eine solche Umkehr müsste vor allem bei den enormen Personalausgaben ansetzen. Doch davon ist nichts zu bemerken. Mag sein, dass Kraft bei der Besoldungsrunde im kommenden Jahr ernst mit ihrer Androhung macht, den ihr vom Verfassungsgerichtshof aufgezeigten Spielraum zu nutzen. Das dürfte in erster Linie zu Lasten der Pensionäre gehen. Doch das allein reicht nicht. Die Regierung müsste auch den Mut aufbringen, um den Studenten einen maßvollen Eigenanteil bei der Finanzierung des Studiums abzuverlangen.

Was das von Kraft eingesetzte "Effizienzteam" bisher an Einsparmöglichkeiten ausgemacht hat, ist jedenfalls ebenso wenig der Rede wert wie der von der Regierungschefin verfügte Verzicht auf Kaffee und Tee bei der Bewirtung von Gästen - während ihre eigenen Bezüge und die ihrer Minister infolge des Besoldungskompromisses nun doch aufgestockt werden. Laut CDU steigt damit das Gehalt der Ministerpräsidentin um 500 Euro pro Monat auf über 210 000 Euro im Jahr.

Es ist bezeichnend, dass Kraft vor der Sommerpause die Opposition aufgefordert hat, "Butter bei die Fische" zu tun und konkrete Sparvorschläge zu machen. Als ob hier nicht in erster Linie die Regierung am Zug wäre. Doch Kraft und ihr Finanzminister wirken nahezu hilflos.

Umso kritischer beäugen die Wirtschaftsinstitute die Landesregierung. "Ich weiß nicht, ob die rot-grüne Landesregierung in NRW wirklich ernsthaft sparen will. Es gibt keine konkreten Sparvorschläge", kritisiert der Konjunktur- und Haushaltsexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Roland Döhrn. Er bemängelt, dass der Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2020 nicht genau genug beschrieben wird. Die neue Botschaft "Wir schaffen das trotzdem" sei "recht nebulös". Außerdem müsse der Finanzminister damit rechnen, dass ein scharfer Konjunktureinbruch zu wegbrechenden Steuereinnahmen führt. "Die mittelfristige Finanzplanung ist so auf Kante genäht, dass es für solche Szenarien kaum Reserven gibt", sagt Döhrn.

Die Opposition formuliert schon verklausulierte Rücktrittsforderungen. Wenn sich die Landesregierung der politischen Führung verweigere, müsse die CDU sie jetzt übernehmen, sagte NRW-CDU-Chef Armin Laschet mit Blick auf den erheblichen Korrekturbedarf im Landeshaushalt. FDP-Chef Christian Lindner setzt nach. "Krafts Konzept der vorsorgenden Sozialpolitik war immer nur ein Vorwand, um selbst untätig zu bleiben." Statt versprochener Verbesserungen im Bildungsbereich sei NRW im Bildungsmonitor des Kölner IW-Instituts auf den bundesweit vorletzten Platz abgerutscht. Linder: "Die Legitimation für Krafts Politik ist erloschen."

(RP)
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