Neuer Zusammenhalt Hannelore Kraft ist plötzlich Schulz-Fan

Berlin/Herne · Der SPD-Chef in spe und NRW-Ministerpräsidentin Kraft bilden eine Schicksalsgemeinschaft - trotz ihres ambivalenten Verhältnisses.

 Der heutige SPD-Kanzlerkandidat Schulz (l.) mit Hannelore Kraft (r.) (im Mai 2014 in Aachen).

Der heutige SPD-Kanzlerkandidat Schulz (l.) mit Hannelore Kraft (r.) (im Mai 2014 in Aachen).

Foto: dpa, rwe pzi

Hannelore Kraft steht am Sonntagnachmittag an einem Hochtisch im Willy-Brandt-Haus.Kurz zuvor lauschte die SPD-Vizechefin und Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens der Antrittsrede ihres Vorsitzenden in spe, Martin Schulz. Jetzt lobt sie ihn im Gespräch mit Bürgern. Auf die Frage, ob Schulz auch in ihrem NRW-Wahlkampf ein wichtiges Zugpferd sein werde, sagt sie: "Wir werden das gemeinsam rocken, und zwar sowohl in NRW als auch im Bund."

Das klang vor wenigen Monaten noch anders. Ende September war es, da überschüttete Hannelore Krafts Vertrauter Norbert Römer den damaligen Anwärter auf den Kanzlerkandidatenposten noch mit Lob: SPD-Chef Sigmar Gabriel sei der richtige Mann und ohne Abstriche geeignet, nächster Kanzler zu sein, schrieb der NRW-SPD-Fraktionschef in einem Beitrag für einen Blog. Als vergangene Woche jedoch klar wurde, dass es auf Schulz hinausläuft, wollte Kraft die Äußerungen als Loyalitätsbekundungen für den seinerzeit strapazierten Kandidaten Gabriel verstanden wissen.

Dass Kraft nun schnell auf Schulz umschaltet, verwundert nicht. Bundes- und Landes-SPD sind angesichts der bevorstehenden Wahlen extrem voneinander abhängig: Gelingt Kraft am 14. Mai kein Wahlsieg in NRW, wäre das eine schwere, vielleicht zu schwere Hypothek für Martin Schulz, wenn am 24. September der Bundestag gewählt wird. Und die Aussichten sind nicht rosig: Es kam in der Vergangenheit nicht sehr oft vor, dass die Zustimmungswerte der NRW-SPD deutlich über jenen der Bundes-SPD lagen. Die Sozialdemokraten bleiben im Bund trotz einiger Zuwächse durch den Schulz-Effekt mit rund 25 Prozent verhältnismäßig schwach, und auch Hannelore Kraft kann sich mit rund 30 Prozent in NRW keinesfalls zufriedengeben.

Um ihren Wahlkampf nicht zu gefährden, so erklären es Genossen in NRW und Berlin, wollte Kraft an Gabriel festhalten - und ließ Römer gewähren. Schließlich bedeutete ein Wechsel an der SPD-Spitze bisher fast immer Ärger. "Ein neuer Kanzlerkandidat mitten im Wahlkampf ist, wie einen ICE auf der Brücke zu wenden", sagt einer, der viele Wahlen bestritten hat. Außerdem, so heißt es, habe Kraft keine Lust auf ein weiteres, so prominentes Alphatier wie Martin Schulz in NRW. Ärger in der Partei blieb beim Wechsel von Gabriel zu Schulz aus, die Entscheidung setzte gar Euphorie frei.

Die Schwierigkeiten sind damit aber nicht vollständig vom Tisch. Es sei noch das geringste Problem, gemeinsame Wahltermine von Schulz und Kraft zu koordinieren, sagt ein Genosse. Vielmehr dränge jetzt die Frage, wie die Kernthemen in Bund und Land inhaltlich abzustimmen seien. Eile ist geboten: Am 18. Februar will die NRW-SPD ihr Wahlprogramm beschließen.

Und auch auf Arbeitsebene, zwischen Krafts und Schulz' Mitarbeiterstab, müsse sich jetzt manches neu finden, heißt es. Im Wahlkampf brauche ein Spitzenkandidat Menschen, die ihn seit Jahren gut kennen. Kraft vertraut dem SPD-erprobten Strategen Frank Stauss, der jedoch der Bundes-SPD wegen des langen Kandidatenprozesses entnervt den Rücken kehrte. Dort ist jetzt die Hamburger Agentur KNSK am Zug, die Schulz bereits im Europawahlkampf 2014 begleitet hat. Doch die Vorbereitungen für eine enge Verzahnung der Kampagnen liefen auf Hochtouren, heißt es.

So traf sich Schulz Mittwoch mit Kraft und NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) zu einem Koordinierungsgespräch in Düsseldorf. Am Abend stand ein idealer Termin zum Aufwärmen im Kalender des designierten Kandidaten. Bei der SPD in Wanne-Eickel sollte er über die Themen sprechen, mit denen die SPD in die Landtags- und Bundestagswahl ziehen wird. Im Büro Kraft war das bekannt, die Einladung sprach Michelle Müntefering aus, Abgeordnete und Ehefrau des einstigen SPD-Chefs Franz Müntefering.

Erst am Sonntagabend hatte Schulz der Herner SPD-Geschäftsführerin Britta Bartkowski zufolge sein Kommen angekündigt. Der Termin passt perfekt in seine Wahlkampfstrategie: Denn die Parteibasis ist dort gefragt, die Genossen schreiben ihre Wünsche an den Kanzlerkandidaten auf kleine Zettel und heften sie an Stellwände. "Leiharbeiter abschaffen" steht darauf oder "bedingungsloses Grundeinkommen". Aber auch: "Managergehälter begrenzen".

Um all das geht es auch in Schulz' Rede im Mondpalast in Wanne-Eickel. "Wenn ein Konzernchef seinen Konzern durch Fehlentscheidungen ins Wanken bringen kann und trotzdem Boni kassiert, eine Verkäuferin aber wegen kleiner Verfehlungen entlassen wird, dann geht es nicht gerecht zu." Soziale Gerechtigkeit ist sein Leitmotiv und werde sich wie ein roter Faden auch durch das Wahlprogramm ziehen, kündigt der neue Kanzlerkandidat an. Die Einkommen müssten steigen, vor allem in den Pflegeberufen, das Steuersystem gerechter werden. Der Staat müsse die Menschen so absichern, dass sie ein würdiges Leben führen könnten. Als Nordrhein-Westfale aus Würselen kenne er die Nöte der Menschen.

Da trifft es sich auch gut, dass dieser Termin in NRW stattfindet. Und so kämpft Schulz schon bei seinem ersten Termin für zwei: Hannelore Kraft und sich selbst. Die Botschaft kommt an bei den Genossen im Saal. Mit rhythmischem Klatschen feiern sie ihren Hoffnungsträger. Arno Saterdag aus Bochum, Parteimitglied seit Willy Brandts Zeiten, hatte sich zuletzt von seiner Partei abgewendet. Doch Schulz habe ihn überzeugt: "Er schafft's", meint der Mann in der schwarzen Bomberjacke.

Viel Zeit bleibt Schulz nicht für seine Aufholjagd. In Nordrhein-Westfalen sind dem Vernehmen nach bereits die ersten Plakate mit den Kandidaten im Druck. Und ganz zum Schluss, kurz vor der Wahl, werden die großen Wechsel-Tafeln auf den Mittelstreifen der Fahrbahnen plakatiert. Da könnten dann auch Kraft und Schulz gemeinsam zu sehen sein. Eine überlebensgroße Schicksalsgemeinschaft.

(jd)
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