Analyse Kraft vertraut auf Kraft

Düsseldorf · Durch den Erfolg von Parteifreundin Malu Dreyer im Südwesten sieht sich Hannelore Kraft im Hinblick auf ihren eigenen Wahlkampf bestärkt. Doch die politischen Verhältnisse in NRW sind kaum vergleichbar.

 NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Foto: dpa, ve mhe

Die jüngsten Internet-Filme der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin sind anders. Keine verwackelten Aufnahmen mehr, kein Finger im Bild. Auch Hannelore Kraft selbst wirkt verändert. Erschien sie in ihren ersten Video-Blogs mitunter abgekämpft und genervt, so strahlt sie nun einen gewissen Optimismus aus.

Um Inhalte geht es selten

Seit einigen Wochen ist die Sozialdemokratin in unregelmäßigen Abständen mit selbst gedrehten Filmspots im Internet präsent. Darin geht es um alles Mögliche. Um ihren Tagesablauf, zum Beispiel. Es werden auch Büros gezeigt und Politiker, mit denen sich Hannelore Kraft trifft. Nur um eines geht es kaum: um politische Inhalte. Und das ist wohl auch so gewollt.

Der Blog steht für den Trend zur Personalisierung in der Politik. Das Video-Experiment könnte im nordrhein-westfälischen Wahlkampf noch große Bedeutung erlangen. Denn aus den zurückliegenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist eine Lehre naheliegend: Eine starke Politiker-Persönlichkeit kann gegen den Trend Wahlen gewinnen. Als Belege gelten die Erfolge von Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD) in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Sieg ihrer Parteifreundin Malu Dreyer

Insbesondere durch den Erfolg ihrer Parteifreundin Dreyer sieht sich auch Hannelore Kraft mit Blick auf die bevorstehende NRW-Wahl am 14. Mai 2017 bestärkt: Die Menschen schauten genau darauf, wer wackele und wer eine klare politische Linie und Haltung habe. Nach dem Wahlsonntag gab sie sich sehr zuversichtlich; sie sei für Nordrhein-Westfalen hoffnungsvoll, sagte Kraft. Doch kann Rheinland-Pfalz tatsächlich als Blaupause für NRW dienen? Kann Hannelore Kraft die Wahlen gewinnen, wenn sie nur ihrer Linie in der Flüchtlingspolitik, in Fragen der Bildungs- oder Sozialpolitik treu bleibt? Wenn sie wie Malu Dreyer ihre persönliche Popularität ausreizt?

Auf den ersten Blick scheint es zwischen der politischen Lage in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen einige Parallelen zu geben. Wie NRW war auch das Land im Südwesten vor der Wahl rot-grün regiert. Beide Ministerpräsidentinnen sind in ihren Bundesländern beliebt. In der jüngsten entsprechenden Wahl-Umfrage war Hannelore Kraft mit 59 Prozent sogar die mit Abstand beliebteste Politikerin in NRW. CDU-Spitzenmann Armin Laschet kam hingegen nur auf 27 Prozent. Zudem kann Kraft wie Dreyer im Wahlkampf ihren Amtsbonus einsetzen.

SPD liegt derzeit hinter der CDU

Grund für eine Portion Pessimismus hätte Kraft allerdings: Auch wenn sie beliebt ist - in NRW liegen die Sozialdemokraten mit 31 Prozent hinter der CDU (33 Prozent) und hätten mit ihrem grünen Koalitionspartner keine Mehrheit mehr. "Die vergangenen Landtagswahlen haben doch gezeigt, dass Umfragen ein Jahr vor der Wahl nicht mal mehr Wasserstandsmeldungen sind", entgegnet Kraft im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Außerdem gibt es viele Unterschiede zu Rheinland-Pfalz. Dreyer hatte es im Wahlkampf mit einem politischen Gegner zu tun, der in der Flüchtlingsfrage einen Schlingerkurs fuhr. Mal sah es so aus, als würde CDU-Herausforderin Julia Klöckner den Kurs der Bundeskanzlerin stützen, dann wieder überraschte sie mit Ideen wie dem Plan "A2". Das Hin und Her machte es Dreyer leicht, sich in der Flüchtlingsfrage von der CDU abzugrenzen, sich als Alternative zu präsentieren.

Laschet steht hinter Merkel

Ein ähnliches Szenario ist in NRW nicht absehbar. Krafts CDU-Herausforderer Laschet unterstützt beim Flüchtlingsthema als ehemaliger NRW-Integrationsminister den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel. Die Unterschiede zwischen SPD und CDU sind hierzulande in diesem Punkt minimal. Damit teilen in NRW alle im Landesparlament vertretenen Parteien beim womöglich wahlentscheidenden Flüchtlingsthema mehr oder weniger den Kurs der Kanzlerin, alle sind in der Mitte sehr eng zusammengerückt.

Dass darin eine Gefahr liegt, hat Kraft offenbar erkannt. Sie will im bevorstehenden Wahlkampf neben der Flüchtlingsfrage andere Themen stärker betonen, um die Rechtspopulisten von der AfD zu entlarven. Zum Beispiel auf dem Feld der Sozial- und Familienpolitik. Diese Strategie dürfte aber nur dann aufgehen, wenn die Integration der Flüchtlinge in den nächsten Monaten im Land so gut vorankommt, dass andere Themen tatsächlich wieder mehr wahrgenommen werden.

Weckruf für die Grünen

Noch in einem anderen wichtigen Punkt wird sich der Wahlkampf in NRW von Rheinland-Pfalz unterscheiden. Dort holte der grüne Koalitionspartner nur noch 5,3 Prozent der Stimmen, für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition reichte das nicht mehr. Die Partei musste sogar um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Das schwache Ergebnis wirkte für die Grünen in NRW wie ein Weckruf. Sie müssen stärker um Wählerstimmen kämpfen, als es ihnen vor den jüngsten Landtagswahlen wohl bewusst war.

Den Grünen in NRW ist daher nun daran gelegen, sich von der SPD im Wahlkampf möglichst klar abzugrenzen, um nicht verwechselbar zu werden. Zum Beispiel beim Klimaschutz, wo die Grünen einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle befürworten als die SPD. Oder in Fragen der inneren Sicherheit, bei denen die Partei etwa den Einsatz von Kameras, die Polizisten am Körper tragen sollen (Bodycams), kritischer sieht als die SPD. Es ist also davon auszugehen, dass innerhalb der NRW-Regierung künftig häufiger Kompromisse ausgehandelt werden müssen, die Hannelore Kraft mittragen muss. In dieser Gemengelage im Wahlkampf als Politikerin zu gelten, die nicht wackelt und eine klare Linie und Haltung hat, dürfte schwerfallen.

Umso weniger darf sich die Ministerpräsidentin nun noch Fehler erlauben, die an ihrer Popularität kratzen. Wie zum Beispiel nach der Silvesternacht in Köln, als sie tagelang nichts von sich hören ließ.

(RP)
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