Hinter den Kulissen im Landtag Der Kampf nach dem Wahlkampf

Am Wahlabend geht es um Zahlen, Ergebnisse, Koalitionsmöglichkeiten. Im Landtag treffen die Spitzenpolitiker aufeinander. Abseits der TV-Kameras müssen sich aber alle erstmal durch die Mengen im Foyer des Landtags kämpfen. Unsere Reporterin hat hinter den Kulissen zugeschaut.

 Emotional und körperlich anstrengend: Armin Laschet am Wahlabend im NRW-Landtag.

Emotional und körperlich anstrengend: Armin Laschet am Wahlabend im NRW-Landtag.

Foto: ap, MM

Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Auch nicht nach 18 Uhr. Im Düsseldorfer Landtag treffen am Sonntagabend alle aufeinander, die in den letzten Wochen sowieso schon unter Hochdruck gearbeitet haben. Und es ist noch nicht vorbei: Politiker ringen um Erklärungen, Bodyguards um einen Weg durch die Massen, die Pressefotografen kämpfen um das perfekte Bild von den perfekten Emotionen. Das Foyer des Landtages ist an diesem Abend alles auf einmal: Die große Bühne für Gewinner und Höhle der Löwen für Verlierer.

Mindestens sechs verschiedene Fernsehsender haben in verschiedenen Ecken der Halle ihre TV-Kulissen aufgebaut. Hier werden die Spitzenkandidaten zum Interview erwartet, nachdem sie bei den Wahlpartys ihren Parteifreunden gegenübergetreten sind. Und auf sie warten nicht nur die Wähler an den Fernsehgeräten, sondern auch Wahlhelfer, Fraktionsmitglieder, Gäste und viele, viele Journalisten.

 Hannelore Kraft (Mitte, in blau) wird von ihrer Entourage durch das Foyer des Landtags zum T-Studio geleitet.

Hannelore Kraft (Mitte, in blau) wird von ihrer Entourage durch das Foyer des Landtags zum T-Studio geleitet.

Foto: dpa, pil

Um 19 Uhr, eine Stunde nachdem die ersten Hochrechnungen bekanntgegeben wurden, setzt sich die Meute wie von der Tarantel gestochen in Bewegung. Hannelore Kraft, die Verliererin des Abends, betritt das Landtagsgebäude, umringt von rund zehn Personenschützern, die eine Menschenkette um sie gebildet haben und sie im Schnellschritt Richtung TV-Studio leiten. Es sind wuchtige Kerle in schwarzen Anzügen mit Knopf im Ohr, die die Fotografentraube um sie herum rigoros aus dem Weg schubsen. Die Bodyguards brüllen Anweisungen, die Fotografen brüllen zurück, drücken zigfach auf den Auflöser. Der Lärmpegel ist gewaltig, es riecht nach Schweiß. Mittendrin eine defensive Spitzenkandidatin, die sowieso schon nicht sehr groß ist und nun mit gesenktem Kopf noch kleiner wirkt als sonst. Im Nu ist sie hinter den Türen des TV-Studios verschwunden.

Kaum ist Kraft außer Sichtweite, gibt es den Startschuss für die nächste Jagd. Armin Laschet hat gefühlt nur 30 Sekunden später das Foyer betreten. Auch er ist umzingelt von Bodyguards, die Anweisungen brüllen. Der Unterschied dieses Mal: Laschet brüllt mit. Grinsend ruft er den Fotografen zu: "Nun lasst mich doch mal kurz durch! Ihr habt doch eure Bilder schon." Dabei wirkt es nicht so, als wäre ihm das Blitzlichtgewitter wirklich lästig, er genießt die Aufmerksamkeit, kokettiert mit seinem Understatement. Was für die eine einen Spießrutenlauf bedeutet, ist für den anderen ein Siegeszug.

Dass ein Wahlabend für alle Beteiligten nervenaufreibend und emotional wird, liegt auf der Hand. An solchen Tagen wird über die Zukunft von Parteien, Personen und Ländern entschieden. Aber dass er auch körperliche Anstrengung auf höchstem Niveau bedeutet, davon ist auf den Fernsehbildern nichts zu sehen. Dort stehen die Politiker an einem Pult, die Hände gefaltet, ein stilles Wasser vor sich. Der Weg dorthin führt durch ein Haifischbecken, das man nur überlebt, wenn die Logistik im Hintergrund stimmt.

Karl Lauterbach (SPD) steht zwischen zwei TV-Auftritten am Rand des Raumes und verschlingt in Windeseile eine Banane. Christian Lindner lässt sich blind von einer Mitarbeiterin eine Treppe hinaufführen, während er in sein Smartphone tippt. Özlem Demirel, Spitzenkandidatin der Linken, hat das kleinste Gefolge. Sie läuft lediglich von einem Personenschützer und einem Mitarbeiter begleitet zwischen den Studios hin und her.

Besonders absurd: Während sich im Foyer die Menge knubbelt, mit Ellenbogen um das beste Foto gekämpft und die Luft zum Atmen dünn wird, ist der größte Raum des Gebäudes nahezu leer. Im Plenarsaal des Landtags sitzen vereinzelt Pressevertreter und laden ihre Akkus auf. Doch auch das machen nur wenige, da man hier im kreisrunden Raum mit den schweren Flügeltüren wenig von dem mitbekommt, was draußen im Foyer passiert. Im Zentrum der Macht fühlt man sich an diesem Abend von der Außenwelt abgeriegelt.

Nach 21 Uhr lichtet sich das Chaos im Landtag schlagartig. Alle Diskussionsrunden sind beendet, die Spitzenkandidaten ziehen sich in ihre Parteikreise zurück. Zum Runterkommen, Anstoßen oder Wundenlecken. Im Landtag werden die ersten Kabel wieder aufgerollt, die Polizei baut die Absperrgitter draußen auf der Straße wieder ab, das Kantinenpersonal sammelt leere Gläser ein.

Auch wenn das amtliche Wahlergebnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ist eins sicher: In den nächsten Tagen werden alle Politiker, die am Sonntagabend hier waren, mit mehr Ruhe in den Landtag zurückkehren. Entweder, um ihre Sachen zu packen, oder um mit ihrer Arbeit zu beginnen.

(siev)
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