Nordrhein-Westfalen Jede fünfte Klassenfahrt fällt aus

Düsseldorf · Ein Urteil zur Finanzierung der Reisekosten von Lehrern bremst die Klassenfahrten in NRW aus. Experten erwarten einen Rückgang um 20 Prozent, das Ministerium verweist auf zusätzliche Mittel.

 Die Folgen eines Urteils des Bundesarbeitsgerichtes kommen jetzt bei den Schulen an.

Die Folgen eines Urteils des Bundesarbeitsgerichtes kommen jetzt bei den Schulen an.

Foto: dpa, Julian Stratenschulte

Die Schulen in Nordrhein-Westfalen streichen ihre Reiseprogramme für Klassenausflüge zusammen. Grund: Das Land stellt nicht genügend Geld für die Reisespesen der Lehrer zur Verfügung. "Ich erwarte bei den Klassenfahrten einen landesweiten Rückgang von 20 Prozent", sagt Gunter Fischer. Der Schulleiter des Dülkener Clara-Schumann-Gymnasiums ist zugleich Landes-Chef im Schulleiterausschuss bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Bislang war Standard, dass Lehrer bei Klassenfahrten ihre eigenen Kosten selbst tragen", sagt Fischer, "diese Praxis ist aber nicht mehr erwünscht." Damit klafft im Reise-Etat der meisten Schulen jetzt eine Lücke.

Hintergrund ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes, das vor gut einem Jahr gefällt wurde und dessen Folgen jetzt im Schulalltag ankommen. Eine Lehrerin hatte ihre Reisekosten rückwirkend eingeklagt, obwohl sie vor Reiseantritt auf einem damals üblichen Standardformular den Verzicht auf die Erstattung ihrer Spesen angekreuzt hatte. Vor Gericht argumentierte sie, der Verzicht sei unter sozialem Druck entstanden und daher ungültig. Sie bekam recht (Az.: 9AZR183/11) und ihre Kosten zurück.

Nach Bekanntwerden des Urteils forderten Hunderte von NRW-Lehrern vom Land ebenfalls ihre Reisekosten zurück. Das Land musste ihnen nachträglich rund drei Millionen Euro erstatten — und erließ eine neue Wanderrichtlinie. Dort heißt es jetzt unter Punkt 3.3: "Soweit nicht gewährleistet ist, dass Reisekostenmittel in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen, darf die Dienstreise nicht genehmigt werden." Laut NRW-Schulministerium wird nun "die langjährige Verwaltungspraxis, bei der Genehmigung von Schulfahrten Verzichtserklärungen abzufragen, als unzulässig bewertet".

Ein Sprecher des NRW-Schulministeriums sagte, das Land habe im Zuge der Neuregelung auch den Etat für Schulfahrten "auf 13,5 Millionen Euro mehr als verdoppelt". Damit sei der Verzicht der Lehrer auf Kostenerstattung nicht mehr erforderlich. Die GEW-Berechnungen, dass landesweit jede fünfte Klassenfahrt gestrichen wird, kommentiert das Ministerium nicht: "Zahlen hierzu liegen nicht vor."

In den Schulen sind die gestrichenen Fahrten dagegen sehr wohl ein Thema. Aber nur wenige Schulen räumen wie die Realschule Niederkrüchten öffentlich ein, dass sie schon Fahrten streichen oder auf das nächste Kalenderjahr verschieben mussten. "Welcher Schulleiter steht öffentlich schon gern als Spaßverderber da?", fragt ein Schulleiter aus Duisburg, der ebenfalls streichen musste. Martin Landmann, Schulleiter der Anne-Frank-Gesamtschule in Viersen, sagt: "Das Geld vom Land sichert bei uns nur etwa 50 Prozent der Klassenfahrten. Das Programm, das wir ursprünglich hatten, können wir nicht mehr durchführen." Ralf Schreiber, Direktor des Düsseldorfer Goethe-Gymnasiums, sagt: "Die Möglichkeiten sind inzwischen sehr eingeschränkt." Sein Amtskollege vom Düsseldorfer Rückert-Gymnasium, Konrad Großmann, erklärt: "Wir stellen einzelne Fahrten in Frage."

Neuerdings bieten die Reiseveranstalter den Lehrern Freiplätze an. Das Schulministerium duldet diese Notlösung, solange die Freiplätze nicht eingefordert werden und die Schule über die Verwendung der Freiplätze frei entscheiden kann. Fischer rät dennoch ab. "Das könnte als Vorteilsannahme ausgelegt werden", sagt der Gewerkschafter.

(RP)
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