NRW-Umweltminister Johannes Remmel "Die Kritik der Wirtschaft ist etwas dünn"

NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) widerspricht im Interview mit unserer Redaktion Einwänden gegen den neuen Landesentwicklungsplan (LEP).

Johannes Remmel: "Die Kritik der Wirtschaft ist etwas dünn"
Foto: dpa, seu axs

Herr Minister, der Mittelstand in NRW lehnt zentrale Politik-Projekte von Ihnen ab. Nehmen Sie die Clearingstelle Mittelstand ernst?

Remmel Die Clearingstelle wurde von der Landesregierung eingerichtet, um dem Mittelstand bei der Planung von neuen Gesetzen und Verordnungen die Möglichkeit zur Mitsprache zu geben. Die aktuelle Stellungnahme der Clearingstelle zu unserem Entwurf für einen neuen Landesentwicklungsplan (LEP) fasst aber nur bereits bekannte Stellungnahmen zusammen. Da hält sich der Erkenntnisgewinn tatsächlich in Grenzen. Schön wäre es gewesen, wenn an der einen oder anderen Stelle Meinungen und Positionen etwas stärker fachlich unterfüttert worden wären.

Also ist Ihnen das Kritikpapier zu dünn?

Remmel Die bloße Behauptung, dass Teile des LEP die Wirtschaft behindern, ist etwas dünn. Gibt es eventuell Gutachten, die das belegen oder entsprechende Hintergründe darstellen? Die kann ich nicht erkennen. Trotzdem muss man die aufgeworfenen Fragestellungen bearbeiten.

Der Mittelstand vermisst ein eigenes Kapitel für Wirtschaft. Gute Idee?

Remmel Beim LEP geht es im Wesentlichen um Raumordnung und Raumplanung und dabei ist doch klar: Wir haben gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in NRW. Unsere Boom-Regionen am Niederrhein, im Raum Aachen, Ost- und Südwestfalen und Münsterland sind von den Wirtschaftsdaten vergleichbar mit Baden-Württemberg und Bayern. Wir sehen hier doch eine glänzende Entwicklung von Mittelstand und Innovationen. Es gibt in Deutschland 1.000 'Hidden Champions‘, also heimliche Weltmeister. 300 davon sitzen in NRW. Das spricht doch für gute Standortbedingungen.

Aber das soll ja so bleiben. Die Wirtschaft fürchtet, dass Ihre strengen Klimaschutzziele für NRW den Erfolg gefährden...

Remmel Was genau wird da eigentlich kritisiert? Die Messe ist doch gelesen. Das Gesetz ist längst durch den Landtag. Hier verfehlt die Stellungnahme das Thema. Der Landesentwicklungsplan schreibt keine Klimaschutzziele fest, sondern beschreibt nur einen Mechanismus für die Umsetzung. Die Landesregierung beabsichtigt aber nicht, in dieser Legislaturperiode Maßnahmen des Klimaschutzplans für verbindlich zu erklären. Bei der Klimaschutzpolitik bleibt es dabei: Mitmachen und einladen, anregen und unterstützen.

Es ist ja nicht die erste Kritik an Ihrer Klimaschutz-Politik...

Remmel Klimaschutz als industriepolitische Strategie bringt Geld und schafft Jobs. NRW ist und bleibt Industrie- und Forschungsstandort. Wenn wir die Klimaziele hier und anderswo erreichen wollen, gelingt das nur mit einem gewaltigen Technologiesprung. Die Industrie aus Nordrhein-Westfalen liefert dazu die Lösung. Das ist gut für Jobs und gut für den Standort.

Ein grünes Jobwunder wurde uns schon mal versprochen. Dann brach die Solarindustrie zusammen...

Remmel Grüne Jobs gibt es ja nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien. Und selbst da arbeiten in NRW immer noch gut 34.000 Menschen. Es geht um effizienten Maschinenbau, klimaschonende Werk- und Baustoffe von der chemischen Industrie, klimafreundlich hergestellten Stahl und Aluminium. Es geht um Werkstoffe und Produkte, die an anderer Stelle CO2 einsparen und es geht um eine effiziente und klimafreundliche Wärmeversorgung und Mobilität. Das wird zurzeit überall auf der Welt nachgefragt.

Wieviel Prozent davon hängen von EEG-Subventionen ab?

Remmel Keine Subventionen, es geht um eine Umlage zur Markteinführung von erneuerbaren Energien. Das ist sehr erfolgreich und fast vollständig gelungen. Solar- und Windenergie werden über kurz oder lang voll marktfähig sein.

Ihr LEP-Entwurf will den Flächenverbrauch in NRW von derzeit etwa zehn auf fünf Hektar pro Tag beschränken. Der Mittelstand fordert mehr Raum - sind Sie kompromissbereit?

Remmel Fünf Hektar pro Tag ist immer noch Flächenverbrauch. Und es ist richtig: Die so wertvolle Ressource Fläche steht in einem so dicht besiedelten Land nur begrenzt zur Verfügung. Das Fünf-Hektar-Ziel ist als Leitbild formuliert.

Also irrelevant?

Remmel Nein. Aber ich sehe hier auch die Wirtschaft in der Pflicht. Wir haben in NRW 85.000 Altlastenverdachtsflächen, davon sind 25.000 untersucht und etwa 7.000 saniert. Wir hatten vor zehn Jahren ein Versprechen der Wirtschaft, fünf Millionen Euro pro Jahr in die Sanierung dieser Flächen zu stecken, daraus sind jetzt 400.000 geworden. Wenn die Wirtschaft hier mehr Verantwortung übernähme, hätten wir auch mehr Flächen zur Verfügung. Klar ist auch, dass der Flächenverbrauch massiv zu Lasten der Landwirtschaft geht: Hohe Pacht- und Grundstückspreise und hoher ökonomischer Druck auf die wichtigen Lebensgrundlagen Boden, Wasser und Luft.

Wo sind Sie beweglich?

Remmel Ich bin für die Allianz für die Fläche. Ich habe keine Probleme mit Erweiterung von Industriebetrieben, die neue Jobs schaffen. Für die muss es Flächen geben. Wir brauchen aber nicht den zwölften Baumarkt und den vierzehnten Discounter auf der grünen Wiese, der von dort den Einzelhandel in den Innenstädten bedroht. Angesichts des demografischen Wandels weiß ich auch nicht, ob wir ständig neue Wohngebiete brauchen.

Also bleibt es beim Fünf-Hektar-Ziel?

Remmel Das Fünf-Hektar-Leitbild ist ja nicht aus der Luft gegriffen, sondern bricht nur Ziele der Bundesregierung auf NRW herunter. Wir wollen differenzieren und in unterschiedlichen Bereichen zum sparsamen Umgang mit Flächen anhalten. Man kann darüber reden, wie man es konkret ausgestaltet.

Wundern Sie sich, dass die Gewerkschaften und die Kommunen die Kritik mit unterschrieben haben?

Remmel Die Kommunen wollen möglichst viel von ihrer Planungshoheit behalten und tun sich schwer mit regional abgestimmten Flächenplanungen. Die Motivlage der Gewerkschaften ist mir allerdings nicht ganz klar, weil die Gleichung 'mehr Flächenverbrauch gleich mehr Arbeitsplätze‘ einfach nicht stimmt.

Die Clearingstelle lehnt Ihre Tabuzonen für den Abbau von Kies, Ton und anderen nicht-energetischen Rohstoffen ab...

Remmel ... diesen Punkt der Kritik habe ich am wenigsten verstanden. Das heißt im Umkehrschluss ja, dass man jetzt auch noch in Natur- und Wasserschutzgebieten baggern will. Diese Forderung ist irre. Was ist das für eine Botschaft? Der Schutz solcher Gebiete ist seit Jahrzehnten Konsens. Diese Forderung steht schon für eine neue Qualität in der Debatte. Auch in NRW haben wir ein massives Artensterben: 45 Prozent unserer Tier- und Pflanzenarten sind ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Deshalb: Gebiete zum Schutz von Wasser und Natur müssen einfach tabu bleiben.

THOMAS REISENER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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