Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte "Koalitionsvertrag könnte kürzer sein"

Berlin · Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte spricht im Interview mit unserer Redaktion über eine Kanzlerkandidatur von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im nächsten Jahr, über den Sinn von Schuldenbremsen und über die Chancen der CDU.

 Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.

Foto: RP/Andreas Krebs

Herr Korte, wird Hannelore Kraft doch noch Kanzlerkandidatin?

Korte Auf keinen Fall. Der Ruf wird zwar immer lauter werden, aber es handelt sich im Bund doch um eine ganz andere Ebene als in NRW. Dort kommt es jetzt sehr stark auf das internationale Finanzmanagement und auf Kompetenz in Finanzfragen an. Als Herausforderin der erfahrenen Krisenmanagerin Angela Merkel hätte Frau Kraft im Moment nichts Alternatives anzubieten.

Das schließt einen Wechsel nach Berlin nicht grundsätzlich aus, oder?

Korte Nein. Frau Kraft hat Zeit. Aber nicht 2013. Da könnte sie nur verlieren. Im Gestus einer Bundes-Bürgermeisterin hätte sie durchaus Chancen, bundesweit um Vertrauen zu werben — aber nicht jetzt.

Wie lesen Sie den Koalitionsvertrag?

Korte Vieles bleibt vage, zum Beispiel bei den Finanzen. Der Vertrag ist aber auch detailverliebt. Es ist ein typischer Koalitionsvertrag und hat ein bisschen was von einem Gemischtwarenladen. Es bleibt die Frage, welche Gültigkeit solche Vereinbarungen angesichts der hohen Dynamik in der Politik noch in einem Jahr haben werden.

Besser wäre kein Vertrag mehr?

Korte Man könnte doch auf fünf Seiten festhalten, welche Zielvorstellungen man hat, um den gesellschaftlichen und sozialen Frieden in NRW auszubauen.

Braucht NRW eine Schuldenbremse?

Korte Sie steht ja bereits im Grundgesetz. Allerdings enthält diese Schuldenbremse mehrere unbestimmte Rechtstitel als Begriff, die es der Politik erlauben, die Schuldenbremse zu umgehen.

Sie glauben nicht an die Bremse?

Korte Ganz und gar nicht. Denn die Politik wird Interpretationsspielräume nutzen, um bei formeller Einhaltung der Bremse gleichzeitig finanzielle Bypässe zu legen.

Ist doch eine Schuldenbremse nötig?

Korte Nein, denn auch die würde sicher analog formuliert, weil Politik immer Optionen offenhalten muss.

Die CDU muss wieder Tritt fassen. Wie lange wird das dauern?

Korte Mit einer kompetent vertretenen Leitidee aus der bürgerlichen Mitte heraus wird es auch für CDU und FDP wieder möglich sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen, und zwar nicht erst in 20 Jahren.

Ist die Doppelspitze sinnvoll, oder müsste die Opposition ihre Kräfte nicht besser bündeln?

Korte Zunächst geht es darum zu integrieren und die CDU als Landesverband wieder sichtbar zu machen. Vor diesem Hintergrund macht die Aufteilung Sinn. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Partei in zwei Flügel zerfällt. Sobald man aber für eine bevorstehende Wahl kampagnefähig werden will, braucht man eine Spitze.

Wird die FDP auf Dauer ihr hohes Stimmenniveau halten können?

Korte Bestimmt. Lindner wird weiterhin im Parlament argumentativ brillieren und die FDP insgesamt mitziehen.

Ist er mithin der eigentliche Oppositionsführer?

Korte So wird er wahrgenommen, zumal er trotz geringer Prozentwerte mit einer Sieger-Aura antritt und nicht mit einer Verlierer-Aura.

Sind die Piraten Eintagsfliegen?

Korte Sie werden längerfristig Teil des Parteiensystems bleiben, weil sie als digitale Gemeinschaft für eine neue Beteiligungsarchitektur mit plebiszitären Elementen steht.

Sollten die etablierten Parteien den Piraten nacheifern?

Korte Wähler favorisieren immer Originale, keine Kopien. Die neue politische Arena dieser Verfahrenspartei ist ein Generationenprojekt und nicht imitierbar. Das wäre nicht authentisch.

Der Wählerwille scheint inzwischen kaum noch kalkulierbar zu sein. Woran liegt das?

Korte Daran, dass die klassischen Wählermilieus und die ideologischen Gegensätze so nicht mehr vorhanden sind. Alles tummelt sich in der Mitte. Deshalb, und das ist das Beruhigende an dieser Entwicklung, hat politischer Extremismus bei uns keine Chance. Die Mitte ist allerdings hart umkämpft. Siege sind immer nur Tageserfolge. Das kann einer Opposition durchaus Mut machen.

(RP/csi)
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