Entwurf der Verfassungsbeschwerde Kommunal-Soli: 59 Städte reichen Klage ein

Düsseldorf · Seit diesem Jahr müssen vergleichsweise starke NRW-Kommunen Geld an ärmere Nachbargemeinden abgeben. Sie fühlen sich übervorteilt und ziehen vor das Verfassungsgericht. Der Landesregierung droht dort ihre fünfte Niederlage.

 So viel müssen finanzstarke Stäste 2015 für ihre armen Nachbarn zahlen.

So viel müssen finanzstarke Stäste 2015 für ihre armen Nachbarn zahlen.

Foto: RP-Grafik

59 Städte und Gemeinden in NRW sehen sich durch den Kommunal-Soli so massiv vom Land übervorteilt, dass sie Anfang Dezember dagegen vor dem Landesverfassungsgericht in Münster klagen. Der streng vertrauliche Entwurf der Verfassungsbeschwerde liegt unserer Redaktion vor.

Ein zehnköpfiges Steuerungsgremium aus Kämmerern beteiligter Kommunen, das den Text gestern im Düsseldorfer Rathaus abgestimmt hat, wird ihn im Laufe der Woche an die übrigen Klägerkommunen verschicken. In dem 49-seitigen Schriftsatz heißt es: "Mit der Erhebung einer solchen Umlage verletzt der Landesgesetzgeber gleich in mehrfacher Hinsicht das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerinnen, konkret ihre Finanzhoheit."

Die rot-grüne Landesregierung beschloss den Kommunal-Soli Ende 2013, um rund 30 besonders notleidende Kommunen in NRW vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren. Über Hilfen des Landes hinaus müssen Kommunen, die nach einer ebenso umstrittenen wie komplizierten Berechnungsformel des Landes als zahlungskräftig gelten, bis 2020 nun jährlich rund 91 Millionen Euro an die armen Kommunen des Landes abgeben.

Mit einer Entscheidung über ihre Beschwerde rechnen die Kommunen nicht vor 2016. Falls sie vor Gericht siegen, erhalten sie ihre bis dahin eingezahlten Beiträge zurück. Eine aufschiebende Wirkung hat die Klage indes nicht - die "reichen" NRW-Kommunen müssen mindestens bis zum Urteil weiterzahlen.

In der Klageschrift argumentieren die 59 Kommunen mit dem Artikel 78 der Landesverfassung und dem Artikel 106 des Grundgesetzes. Die Landesverfassung sichert den Kommunen an dieser Stelle ein Recht auf Selbstbestimmung zu. Das Grundgesetz sichert ihnen in Artikel 106 das Recht auf bestimmte Einnahmen (etwa Gewerbe- und Grundsteuern) zu, die ihnen der Kommunal-Soli in Teilen entzieht.

Deshalb schreiben die Kommunen in dem Klage-Entwurf: "Dem Landesgesetzgeber steht weder die Gesetzgebungskompetenz noch die materiell-rechtliche Befugnis zu, in dieses System (...) einzugreifen." Außerdem sehen die Kläger im Kommunal-Soli "eine Regelung, die geradezu exemplarisch für die fortschreitenden Übergriffe der Länder in bundesverfassungsrechtlich garantierte Gemeindeerträge steht".

Eine Sprecherin des Innenministeriums sagte gestern: "Wir gehen davon aus, dass die Regelung in NRW verfassungskonform ist." Nicht bestätigen wollte sie Angaben aus dem kommunalen Steuerungsteam, nach denen das Land im Falle einer Niederlage in Münster auf weitere Rechtsmittel verzichtet. Sollte das Land in Münster - oder in nächster Instanz in Karlsruhe - tatsächlich unterliegen, wäre der rot-grünen Landesregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) damit zum fünften Mal seit 2010 ein Verfassungsverstoß nachgewiesen. In den anderen Fällen ging es um den Landeshaushalt sowie die Beamtenbesoldung.

Der im Sommer gewählte Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hatte die Federführung im Aufstand der NRW-Kommunen von seinem Vorgänger Dirk Elbers (CDU) geerbt. Wie im Wahlkampf angekündigt reichte er sie an den Monheimer Bürgermeister Daniel Zimmermann (Peto) weiter, bleibt aber mit im Boot der Kläger. Das könnte in den kommenden Tagen noch voller werden, weil der Kommunal-Soli im NRW-Innenministerium laufend neu berechnet wird. Im kommenden Jahr steigt die Zahl der Einzahler-Kommunen auf 78.

Die Monheimer Kämmerin Sabine Noll sagte gestern: "Die Absurdität der Umlage wird an Beispielen wie Hilden und Haan deutlich, die Kredite aufnehmen müssen, um ihre Soli-Beiträge finanzieren zu können." Auch unabhängige Experten wie der Nürnberger Finanzwissenschaftler Thiess Büttner sehen den Kommunal-Soli in NRW kritisch: "Es findet kaum Ursachenforschung statt."

Die Frage, warum die Empfänger-Kommunen heute überhaupt frisches Geld von außen brauchen, bleibe unbeantwortet. Die Erfinder des Kommunal-Soli hätten in einem Gutachten für die Landesregierung 2011 selbst geschrieben, dass sie die Ursachenanalyse wegen der hohen Komplexität für undurchführbar halten. Büttner: "Das bedeutet im Umkehrschluss, dass mit dem Kommunal-Soli Gelder umverteilt werden, ohne dass die Gründe bekannt sind."

(RP)
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