Armin Laschet im Porträt Der Mann für den zweiten Blick

Düsseldorf · Armin Laschet (CDU) wird aller Voraussicht nach neuer Ministerpräsident von NRW. Nicht zum ersten Mal wurde der 56-Jährige unterschätzt, nicht zum ersten Mal hat er viele überrascht. Wer ist dieser Mann, der an Diät-Bücher und die katholische Kirche glaubt? Eine Spurensuche.

Armin Laschet: Der zweite Mann
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Armin Laschet: Spurensuche in seinem Leben

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Foto: Armin Laschet

Monsignore Heribert August hat schon viele Paare getraut. "Es gibt da diesen Moment, wenn die Eheleute aus der Kirche heraustreten und ihren Gästen gegenüberstehen", sagt der Kirchenmann, "dann kann man manchmal in ihr Wesen blicken." Manche beginnen ausladend zu winken. Andere blicken schüchtern auf den Boden. Am 18. Mai 1985 traten Armin Laschet und seine Ehefrau Susanne aus der Kirche St. Aposteln - dem bescheideneren Gemeindezentrum unweit der stolzen Hauptkirche St. Michael im Aachener Stadtteil Burtscheid. "Der Armin war ganz ruhig. Verhalten. Ohne Pomp und große Geste. Er spitzte einfach nur den Mund und wartete ab, was passiert", erinnert sich der Monsignore.

Damals war Laschet 24 Jahre alt. Heute, drei Jahrzehnte später, hat er mit Susanne drei Kinder und ist auf dem besten Weg, Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes zu werden. Den gespitzten Mund, gerne bei leicht zur Seite geneigtem Kopf, kann man bei Laschet heute noch beobachten. Etwa auf Empfängen, wenn die Gastgeber ihm Menschen vorstellen, die sie für wichtig halten. Dann gibt es oft diesen kleinen Moment des Abwartens, in dem Laschet schweigt und anderen das erste Wort überlässt.

Fast ist es so, als hätte der kaum mehr als 1,75 Meter große Mann sich auf diesen zweiten Blick der anderen spezialisiert. Darauf, dass die anderen schon noch merken, was in ihm steckt. Auch Spitzenkandidat wurde er erst auf Umwegen. Nach der Wahlniederlage der NRW-CDU 2010 unter Jürgen Rüttgers kandidierte Laschet für den Vorsitz der Landtagsfraktion und unterlag gegen Karl-Josef Laumann. "Der ist authentischer", hieß es damals an der CDU-Basis über den Westfalen, der heute Patientenbeauftragter der Bundesregierung ist.

Laschet kämpfte weiter. Jetzt mit Laumanns Rückendeckung. Aus der Kampfkandidatur um den Landesvorsitz machte die Parteiregie eine Art Feldzug durch NRW: Vor dem Publikum der Bezirksverbände musste Laschet sich acht Rede-Duelle mit Norbert Röttgen liefern. Röttgen gewann. Das waren die bittersten Tage im bisherigen Politikerleben von Laschet, der sich da bereits vom Elternhaus einer Aachener Bergmannsfamilie über Mandate in den Parlamenten von Berlin und Brüssel ins Landeskabinett von Rüttgers hochgearbeitet hatte. Aber von Röttgen, dem damaligen Bundesumweltminister und Liebling der Kanzlerin, versprach die NRW-CDU sich mehr Glamour.

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Foto: rtr, MDA

Bei der Landtagswahl 2012 musste Röttgen eine desaströse Niederlage gegen SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft verantworten. Die Mülheimerin Kraft triumphierte laut, der Aachener Laschet heimlich. Endlich machte sein Landesverband ihn zum Chef und die Fraktion zum Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag.

"Wir haben früher immer gesagt: In jeder Karriere sind 20 Prozent Sein, 30 Prozent Schein und 50 Prozent Schwein", erzählt sein Jugendfreund Heribert Walz. Ein möglicher Beleg für die Schlitzohrigkeit, die man Armin Laschet noch heute nachsagt. Die beiden haben sich mit 14 bei den Ferienspielen der Kirchengemeinde kennengelernt: Völkerball und Fahnenklauen hießen die Späße, mit denen Laschet und Walz sich die Sommerferien vertrieben. Heute heißt so was Stadtranderholung. "Die Atmosphäre bei den Laschets war streng, aber warmherzig", erinnert sich Walz, "wenn ich zu Gast in großer Runde beim Abendbrot saß, hatte eines der Kinder immer Küchendienst: Speisen auftragen und spülen."

Laschet wuchs mit drei Brüdern auf, "die Mutter war der Mittelpunkt", erzählt Walz. Als sie vor wenigen Jahren starb, war halb Aachen bestürzt über den plötzlichen Tod der Frau, die sich mit Töpferkursen engagierte und ganze Nachmittage auch auf die Kinder der Nachbarschaft aufpasste. Walz: "Bei den Laschets saßen immer Gäste mit am Tisch." Vater Laschet schulte später vom Bergmann um und wurde Leiter der Grundschule.

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Foto: dpa, pgr

Vielleicht war diese alltägliche Gastfreundschaft im Elternhaus Keimzelle für sein späteres politisches Profil. Über Jahrzehnte wollte seine Partei nicht wahrhaben, dass Deutschland auch Einwanderungsland ist. Als er 2005 erster deutscher Integrationsminister wurde, musste Laschet seiner Partei erst mühsam beibringen, dass junge Zuwanderer eine dramatisch alternde Nation auch entlasten können. Laschet hat seit dieser Zeit viele Freunde in der türkischstämmigen Gemeinschaft, weshalb ihn der konservative Teil der Partei gerne mit dem Spitznamen "Türken-Armin" versehen hat.

Walz und Laschet sind heute noch befreundet, beide Familien haben viele Urlaube gemeinsam verbracht. Ein Skiurlaub zum Beispiel Anfang der 90-er Jahre im schweizerischen Lenzerheide, Laschets ältester Sohn Johannes war gerade geboren. "Da kam er mit Sommerreifen an", schüttelt Walz noch heute im Kopf, "das ging natürlich schief." Laschets weißer BMW kam den Berg nicht hoch. Der junge Familienvater musste improvisieren. Walz: "Da hat der die Koffer der Familie in ein Kinderbett gepackt, und das schob er dann bis zur Ferienwohnung."

Laschets erstes Auto war ein gebrauchter Mercedes. Das Geld dafür verdiente er sich bei einem Autohändler, für den der damalige Jura-Student Fahrzeuge von München nach Antwerpen überführte. Walz: "Da hat seine Mutter sich fürchterlich aufgeregt und gesagt: Du kannst als Student doch nicht Mercedes fahren."

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Foto: dpa, kno

Jahre später, als Laschet beim Landesparteitag 2012 seine schwere Dienstlimousine vor den Krefelder Königspalast steuerte, wird er vom ostwestfälischen Europapolitiker Elmar Brok hart am Heck erwischt und gegen einen Baum geschleudert. Der Unfall ging glimpflich aus. Später im Saal folgte die nächste Beule: Bei der Wahl zum Landesvorsitzenden stimmten nur gut 77 Prozent der Delegierten für ihn. Laschet sprach von einem "ehrlichen Ergebnis". Er galt als Notlösung. "Nach dem Desaster mit Röttgen hatten wir keinen anderen", sagt ein Fraktionskollege.

Es dauerte, bis der Verlegenheitskandidat Partei und Fraktion überzeugte. Laschet und die Fraktion haben es sich nicht leicht gemacht. Interne Gegner, die sein politisches Gewicht relativieren wollen, tun ihn als Frauenversteher ab. Er sei kauzig. Er binde bewährte Fachleute nicht ein. Und er sei schlecht organisiert.

Die Stimmung erreichte den Tiefpunkt, als Laschet 2015 einen ehrenamtlichen Nebenjob als Dozent der RWTH Aachen aufgeben musste. Ein Satz von Klausuren, die Laschet seine Studenten schrieben ließ, ging verloren. Danach will er die Noten anhand eigener Notizen rekonstruiert haben, verteilte aber auch Noten an Studenten, die gar keine Klausur geschrieben hatten. Die Notizen, auf die Laschet sich bezog, waren für ihn auf Nachfrage nicht mehr auffindbar.

20 Prozent Sein, 30 Prozent Schein, 50 Prozent Schwein: Gut möglich, dass Laschet in jenen Tagen mit seinem Motto gebrochen hat. Er fastete, nahm etliche Kilo ab, schwor auf den Diät-Buch-Bestseller "Schlank im Schlaf".

Und er rackerte. Im Landtag fiel er plötzlich mit ungewohnten Detailkenntnissen auf, seine Attacken gegen die Regierung wurden schärfer, relevanter.

Den Durchbruch schafft Laschet beim Landesparteitag im vergangenen Juni in Aachen: Er besteigt das Rednerpult mit drei Stößen Papier, so dick, dass er sie kaum noch tragen kann. Wieder jener gespitzte Mund, mit dem er einem eher verdutzten Publikum gegenübersteht. Laschet blickt zu seiner Frau Susanne, die ihn nur selten bei offiziellen Terminen begleitet. Dann legt er los: "Das sind nur drei der Gesetze und Verordnungen, mit denen Rot-Grün unser Land blockiert", ruft der Oppositionsführer dem jubelnden Saal zu, einer der Stapel fällt ihm vor die Füße. Genüsslich zitiert Laschet aus der Landeskatzenverordnung: "Sofern Tiere versterben, ist das zu berücksichtigen, weil der Tod der größtmögliche Schaden des Tieres ist." Diesmal bekommt er 93,4 Prozent. Auch ein ehrliches Ergebnis. Laschet nimmt den Erfolg ruhig entgegen. Wieder der spitze Mund. Ganz so wie damals, als er mit seiner Susanne aus der Traukirche kam. Die Landespartei duldet ihn nicht mehr nur. An diesem Tag hat sie ihn akzeptiert.

"Der Armin hat sich entspannt", hieß es danach in seiner Fraktion. "Endlich hört er auch mal zu", sagt ein anderer, der ihn sonst selten lobt. Freunde, Nachbarn, ehemalige Mitarbeiter: Im persönlichen Umfeld von Laschet muss man lange nach Vorwürfen gegen ihn suchen. Ist der ehemalige Chorknabe von Sankt Michael ein Langweiler? "Er liest viel", sagt Jugendfreund Walz, "das war immer schon so." Beim Studium in München soll er es auf dem Oktoberfest auch mal krachen lassen haben. Jugendstreiche? Walz muss nachdenken. Und dann kommt so was: "Als Kinder haben wir vor eine Parkuhr getreten, so dass es richtig gescheppert hat. Dann hat der Armin sich gekrümmt wie ein Verletzter. Aber in Wirklichkeit hat er sich gebogen vor Lachen, weil zwei ältere Damen so besorgt um ihn waren."

Monsignore August erinnert sich: "Wenn es im Dorf irgendeinen Blödsinn gab, waren die Laschet-Brüder immer dabei." Details behält er für sich. Stattdessen erzählt August, dass Laschet schon in jungen Jahren Mitbegründer einer Gruppe von Burtscheider Jugendlichen war, die einen ungewöhnlichen Pakt schlossen: Jeder opferte zehn Prozent seines Taschengeldes für soziale Zwecke. Hat er das auch gemacht? "Ja", sagt August, "der Armin hat klare Prinzipien, und an die hält er sich."

Berechenbarkeit ist vielleicht eine gute Eigenschaft für einen Ministerpräsidenten - für einen Entertainer ist sie eher hinderlich. Meistens gewinnt im Wahlkampf der Entertainer. Doch es ist nicht das erste Mal, dass Armin Laschet viele überrascht hat.

Anmerkung der Redaktion: Dieses Porträt ist im Januar 2017 schon einmal bei RP Online erschienen. Wir haben es leicht aktualisiert.

(tor)
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