Bildung "Mangelhaft" für Inklusion in NRW

Düsseldorf · Die Schulnote fünf vergeben viele Lehrer in NRW für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap. Eine Umfrage zeigt: Auch zwei Jahre nach der Einführung reißt die Kritik nicht ab.

Das gemeinsame Unterrichten von Kindern mit und ohne Behinderung überfordert viele Lehrer in NRW. Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) war die Inklusion nur bei drei Prozent der Lehrer Teil der Ausbildung. Über die Hälfte der inklusiv unterrichtenden Lehrkräfte hat auch später keine sonderpädagogischen Kenntnisse erworben. "Das ist fast so, als würde ein Hausarzt plötzlich am Operationstisch stehen", drückte VBE-Chef Udo Beckmann das Gefühl der betroffenen Lehrer aus.

Aus Sicht der Pädagogen hat sich auch im zweiten Jahr nach der Einführung des Rechtsanspruchs behinderter Kinder auf Unterricht an Regelschulen nicht viel verbessert. Der personellen Ausstattung und dem Fortbildungsangebot gaben die Befragten im Schnitt die Note "mangelhaft". Die Lerngruppen seien zu groß, die sonderpädagogische Unterstützung zu gering und die Zeit zur Vorbereitung ungenügend, so Beckmann. Aus seiner Sicht besonders fatal: Fast 1000 der 3000 Grundschulen in NRW hätten gar keine Sonderpädagogen, obwohl von ihnen sonderpädagogischer Unterricht verlangt werde.

Eine Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zum gleichen Thema kam unlängst zu ähnlichen Ergebnissen. Peter Silbernagel, Chef des Philologenverbandes NRW, sagte: "Wenn die Landesregierung nicht zügig und spürbar korrigiert, fahren die Inklusionsbestrebungen in NRW vor die Wand." Auch bei den Eltern der behinderten Kinder wachse die Unzufriedenheit. Die knapp 3200 zusätzlichen Lehrer, die die rot-grüne Landesregierung im Zusammenhang mit der Inklusion geschaffen habe, reichten nicht. Silbernagel: "Wir brauchen mindestens 7000 zusätzliche Stellen." Auch er kritisiert, dass neben der unzureichenden Vorbereitung der Lehrer die Inklusions-Schulklassen viel zu groß seien. "Darunter leidet auch die Ausbildung der nicht behinderten Kinder im Unterricht", sagt Silbernagel, "das hätte alles besser organisiert werden müssen".

Das NRW-Schulministerium hingegen meint, die Einführung der Inklusion sei gut vorbereitet gewesen. Länger damit zu warten, wäre falsch gewesen. Eine Sprecherin zählte gestern Maßnahmen eines milliardenschweren Inklusionspakets auf, mit dem NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) das Projekt flankiert habe: darunter 53 neue Inklusionskoordinatoren, 100 Inklusionsfachberater und mehr als 300 Moderatoren für Fortbildungen, die auch den Erfahrungsaustausch unter den Schulen organisieren. Zudem stelle das Land 70 Millionen Euro für 2300 neue Sonderpädagogik-Studienplätze zur Verfügung, einzurichten bis 2018.

Dass ein großer Teil der neuen Aus- und Fortbildungsangebote für die Lehrerkollegien folglich erst greifen kann, nachdem ein Teil der Pädagogen schon ins kalte Wasser springen musste, bestreitet das Ministerium nicht. "Man kann natürlich alles bis auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben", so die Sprecherin. Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention 2008 habe sich die Bundesregierung aber zur Gleichstellung von Behinderten verpflichtet. "Darauf hätte die schwarz-gelbe Vorgängerregierung in NRW ja reagieren können." Das Ministerium verwies auf eine Bertelsmann-Studie aus dem vergangenen Sommer, derzufolge Eltern behinderter wie nicht behinderter Kinder mit Inklusions-Erfahrung diese Form des Unterrichtes positiv bewerten.

Aus Sicht von Klaus Kaiser, stellvertretender Fraktionschef der CDU im Landtag, lässt die Landesregierung die Lehrer bei der Inklusion jedoch im Stich: "Die Inklusion der Marke Löhrmann ist chaotisch organisiert. Sie hat bis heute die Voraussetzungen nicht geschaffen, damit Inklusion gelingen kann."

(RP)
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