Serie: Auf der Flucht 5300 Flüchtlinge in einer Woche

Düsseldorf · Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Die Notunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen sind überlaufen. Die Städte haben keinen Platz mehr, um die Menschen unterzubringen. An der belgischen Grenze jagt die Bundespolizei Schleuser.

NRW: 5300 Flüchtlinge in einer Woche
Foto: RP/Radowski

So viele Flüchtlinge waren es noch nie: Nordrhein-Westfalen nimmt in diesem Jahr voraussichtlich 100 000 Menschen auf und damit mehr als Frankreich. Viele Kommunen sind überfordert, doch der Zustrom der Asylbewerber hält unvermindert an. In dieser Woche wird mit 5300 neuen Flüchtlingen gerechnet - eine Rekordzahl. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie viele Flüchtlinge muss NRW eigentlich aufnehmen? NRW hat mit knapp 18 Millionen Einwohnern einen Anteil von rund 21 Prozent an der Gesamtbevölkerung; dem Land werden auch 21 Prozent der Flüchtlinge zugewiesen. Bayern (12,4 Millionen Einwohner) muss 15 Prozent aufnehmen.

Woher kommen die Menschen? Vor allem aus Syrien, Albanien, Afghanistan, Irak, Eritrea, Serbien, Mazedonien und Pakistan.

Wie gelangen sie ins Land? Das ist unterschiedlich. Manche geben sich bei der Polizei oder auf dem Bahnhof als Asylsuchende zu erkennen, andere vertrauen sich Schleusern an. Als Haupteinfallstor für Flüchtlinge nach NRW gilt die deutsch-belgische Grenzregion bei Aachen. Am Grenzübergang Lichtenbusch stellt die Bundespolizei täglich Asylsuchende, die illegal nach Deutschland einreisen. Die meisten kommen in Bussen oder mit der Bahn aus Frankreich. In der Regel sind es Schleuser, die ihre Flucht organisieren. Als ein wichtiger Knotenpunkt für illegale Flüchtlingsverteilung in Europa gilt Paris. Am dortigen Hauptbahnhof "Gare du Nord" stranden täglich Hunderte neuer Flüchtlinge aus Afrika und Asien. Schleuser nehmen sich ihrer an. Nach Erkenntnissen der Polizei verteilen die Kriminellen die Flüchtlinge am Bahnhof auf Reisebusse mit den Hauptzielen Deutschland und Skandinavien. Hinter der Grenze steigen die Flüchtlinge dann aus den Bussen aus. Die Bundespolizei versucht die illegal Einreisenden vorher zu stoppen. Doch für ausreichende Kontrollen fehlt es an Personal. Besonders abgesehen haben es die Ermittler aber nicht auf die Flüchtlinge, sondern auf die Kriminellen, die sie ins Land schleusen. In diesem Jahr hat die Grenzpolizei in NRW bereits 120 Schleuser festgenommen - so viele wie im gesamten Vorjahr. Und diese Zahl sei auch nur die Spitze des Eisbergs, heißt es.

Was geschieht in NRW? Zunächst kommen die Flüchtlinge in die großen Erstaufnahme-Einrichtungen (EAE) des Landes. Es gibt sie traditionell in Bielefeld und Dortmund. Neuerdings dienen auch die Einrichtungen in Bad Berleburg, Burbach und Unna-Massen als EAE.

Mönchengladbach: Flüchtlinge leben im ehemaligen Aldi
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Was erwartet die Flüchtlinge in diesen Einrichtungen? Dort werden sie registriert, ärztlich untersucht und geröntgt (Tuberkulosegefahr). Von Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhalten sie eine Bescheinigung als Asylbewerber.

Wie lange bleiben die Asylbewerber dort? Nur wenige Tage. Dann kommen sie in die Zentralen Unterbringungseinheiten (ZUE), wie etwa in Duisburg, Neuss und Willich. In dieser Phase wird ihr Asylantrag vom BAMF bearbeitet (sofern die Kapazitäten vorhanden sind). Anträge von Balkan-Flüchtlingen, die keine Chance auf Anerkennung haben, werden vorrangig bearbeitet in der Hoffnung, Unterbringungsmöglichkeiten für diejenigen freizumachen, die wirklich verfolgt werden.

Bleiben andere Anträge liegen? Zum Teil ja. Zwar soll das BAMF-Personal deutlich aufgestockt werden, aber einstweilen gibt es den "Flaschenhals" in den EAE und ZUE, die im Übrigen komplett vom Land finanziert werden. Weil die landeseigenen Plätze nicht mehr ausreichen, müssen verstärkt Notunterkünfte her. Die Bezirksregierungen suchen jetzt in kreisfreien Städten nach Turnhallen. Solche Notunterkünfte gibt es unter anderem in Bochum, Düsseldorf, Leverkusen Mönchengladbach, Oberhausen und Remscheid.

NRW: Hier kommen die Flüchtlinge als erstes an
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Foto: dpa, ude htf bwe

Sind neue Einrichtungen geplant? Ja. In Mönchengladbach-Rheindahlen etwa soll im ehemaligen Hauptquartier (JHQ) eine ZUE für rund 800 Menschen entstehen und schon in diesem Jahr die ersten Flüchtlinge aufnehmen. Die Bezirksregierung Arnsberg prüft zudem, ob große Zelthallen errichtet werden, die mehrere Hundert Menschen aufnehmen könnten.

Wann werden die Flüchtlinge auf die Städte verteilt? Die Asylbewerber verlassen nach zwei bis vier Wochen die Landeseinrichtungen und erhalten eine Aufenthaltsgestattung. Dann werden sie auf die Kommunen verteilt.

Nach welchen Kriterien? Entscheidend sind die Einwohnerzahl und die Fläche. Wenn sich in der betreffenden Stadt bereits eine EAE oder ZUE befindet, wird der Kommune dies auf das von ihr zu übernehmende Flüchtlingskontingent angerechnet. Diese Anrechnung kann für die Kommune lukrativ sein, weil sie ihr Kosten erspart.

Kommen die Städte mit dem Ansturm klar? Viele fühlen sich komplett überfordert. Es muss viel improvisiert werden. Manche Städte haben Container aufgestellt, doch auch die werden allmählich knapp. Etliche Kommunen weichen auf Turnhallen, Schulgebäude oder Zeltunterkünfte aus.

Wer kommt für die Kosten auf? Ein höchst umstrittenes Thema. Land und Kommunen haben unterschiedliche Berechnungsweisen. Das Land hält die Finanzierung für auskömmlich. Es zahlt den Kommunen eine Pauschale von rund 514 Euro monatlich pro Flüchtling. Für dieses Jahr sind Landesausgaben für Flüchtlinge von insgesamt 587 Millionen vorgesehen und für 2016 von rund 907 Millionen Euro.

Was sagen die Kommunen? Sie monieren, dass sie für die etwa 40 000 geduldeten Flüchtlinge allein aufkommen müssen. Das sind ausreisepflichtige Ausländer, die etwa aus humanitären Gründen vorläufig bleiben dürfen. Die Landeszuschüsse reichten nicht aus, klagen die Kommunen. Sie kritisieren, dass für die Zuweisung der Flüchtlingspauschale der 1. Januar des Vorjahres als Stichtag bestimmt wurde. Den Differenzbetrag bekommen die Städte erst mit einem Jahr Verspätung ausgezahlt: Da es 2014 rund 40 000 Flüchtlinge in NRW gab, bekommen die Kommunen in diesem Jahr auch nur für sie die Flüchtlingspauschale, obwohl es am Ende an die 100 000 sein dürften.

Müssen Kinder von Asylbewerbern zur Schule gehen? Ja, sobald sie einen Asylantrag gestellt haben und einer Gemeinde zugewiesen wurden. Das gilt auch für alleinstehende Minderjährige. Für ausreisepflichtige ausländische Kinder und Jugendliche besteht Schulpflicht bis zur Erfüllung ihrer Ausreisepflicht.

Funktioniert die Ausreisepflicht? Die meisten abgelehnten Asylbewerber gehen freiwillig, sagt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Wer der Aufforderung zur Ausreise nicht nachkommt, muss damit rechnen, in Abschiebehaft genommen zu werden. 2014 wurden 2969 Personen aus NRW abgeschoben.

(hüw)
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