Bilanz für 2015 421 geheime Atomtransporte rollten durch NRW

Düsseldorf · Mehr als ein Atomtransporter täglich fährt im Jahresdurchschnitt unbemerkt durch Nordrhein-Westfalen. Im Januar 2016 durchquerten offenbar mit Plutonium beladene Transporter das Land. Das Schwermetall ist hochgiftig.

 Wie auf diesem Archivfoto, das 2012 entstand, erreichten auch im Januar 2016 Spezialtransporter den Hafen von Nordenham.

Wie auf diesem Archivfoto, das 2012 entstand, erreichten auch im Januar 2016 Spezialtransporter den Hafen von Nordenham.

Foto: dpa, go Wagner

Nach Informationen unserer Redaktion soll mindestens ein aus der Schweiz kommender und mit Plutonium beladener Transport Nordrhein-Westfalen passiert haben. Der Transport fand in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar statt. Ziel soll der Hafen im niedersächsischen Nordenham nahe Bremerhaven gewesen sein. Von dort wurden die radioaktiven Brennstoffe in die USA verschifft. Das Plutonium soll zuvor im Paul-Scherrer-Institut gelagert worden sein, dem nach eigenen Angaben größten Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften in der Schweiz.

Auf Anfrage unserer Redaktion wollte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) den Transport von Plutonium nicht bestätigen, räumte aber ein, dass in besagter Nacht Ende Januar mehrere "genehmigte Transporte von unbestrahlten Kernbrennstoffen stattgefunden" haben sollen. "Ausgangsort waren kerntechnische Anlagen in Deutschland und der Schweiz", sagte eine Sprecherin. Ziel der Ladung sei eine kerntechnische Anlage in den USA gewesen. Transportiert wurde die streng bewachte Ladung auf der Straße und mit dem Schiff.

Die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg hatte am 27. Januar von den geheimen Spezialtransportern berichtet. Der Hafen in Nordenham soll von Polizeikräften an Land, im Wasser und der Luft abgesichert gewesen sein. Vermummte Beamten hätten die Zufahrt zum Hafen kontrolliert.

Das Paul-Scherrer-Institut teilte mit, dass im Januar und auch im Februar insgesamt 20 Kilogramm Plutonium unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in die USA transportiert worden seien. Das Plutonium habe aus wiederaufbereiteten Brennstäben gestammt und lagerte seit den 1960ern auf dem Institutsgelände. Plutonium entsteht bei der Spaltung von Uran-Atomen. Das Schwermetall ist hochgiftig und radioaktiv. Dem "Schweizer Radio und Fernsehen" zufolge hätte das transportierte Material ausgereicht, um eine Atombombe zu bauen.

Geheime Atomtransporte sind keine Seltenheit, in der Regel aber werden nicht plutonium- sondern uranhaltige Stoffe transportiert. Das NRW-Wirtschaftsministerium verzeichnete im Jahr 2015 insgesamt 421 Atomtransporte, die aus NRW abfuhren, das Land durchquerten oder dieses zum Ziel hatten. Dies geht aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Fraktion der Piraten hervor. Zunächst berichtete die "WAZ" über die geheimen Transporte. Besonders häufig wurde die Uran-Anreicherungsanlage in Gronau angesteuert.

177 Transporter, beladen mit zuteilen hunderten Tonnen Uranhexafluorid, erreichten oder verließen die Anlage im westlichen Münsterland im vergangenen Jahr. Dem Wirtschaftsministerium zufolge erreichte die größte Ladung Gronau am 15. Januar: Damals wurden 571,46 Tonnen Uranhexafluorid nach Gronau geliefert. Der Gefahrengut-Transport kam aus Frankreich und erreichte Gronau per Bahn.

Im Juni 2015 erreichten noch einmal Uranhexafluorid-Mengen ähnlicher Größenordnung die Anlage: Am 2. Juni und am 16. Juni wurden 522,97 beziehungsweise 523,27 Tonnen angeliefert. Die Lieferungen, die ebenfalls mit der Bahn Gronau erreichten, waren in den USA auf die Reise geschickt worden.

Ebenfalls mehr als als hundert Transporte verzeichneten die Behörden für die Konditionierungsanlage in Duisburg, wo radioaktiver Müll vorbehandelt wird. 66 Transporte erreichten Duisburg auf der Straße oder über Schienen. Beladen waren sie mit bis zu 15.000 Kilogramm Atommüll, der größtenteils aus Deutschland stammte. 67 Transporte verließen die Anlage wieder. Die Zahl der Transporte nach oder von Duisburg hat sich damit innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. 2014 wurden 73 Transporte verzeichnet. 2015 waren es 133.

Weitere sechs Transporte gingen nach Ahaus. Diese allerdings waren nicht mit Kernbrennstoffen beladen. Außerdem durchquerten 76 internationale Transporte, die nach Belgien gingen oder von dort kamen, NRW. Fünf Atomtransporte kamen aus oder hatten die Niederlande zum Ziel. 24 weitere Transittransporte, die aus deutschen Häfen kamen, durchquerten 2015 NRW.

Zuletzt war von Umweltschützern Kritik an der Praxis laut geworden, dass die Landesregierung erst auf Anfrage aus dem Parlament über die Transporte informiert. Öffentlich gemacht werden sie vorab nicht. "Das liegt nicht daran, weil von den Transporten eine Gefahr ausgeht. Sondern damit sie ungestört ablaufen können", sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums. In vielen Fällen sei auch die Polizei nicht informiert, "weil es nicht erforderlich ist", sagte der Sprecher.

Auch die Feuerwehr entlang der Transportstrecken würde nur informiert. "Sollte tatsächlich etwas passieren, wäre sie aber in der Lage, schnell vor Ort zu sein und auch für den Einsatz gerüstet", so der Sprecher des Innenministeriums. Die Ladungen enthielten oftmals radioaktive Abfälle aus Kliniken, Arztpraxen und der Forschung. Die größeren Castor-Transporte würden hingegen immer von Einsatzkräften begleitet.

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