NRW-Innenminister Reul „Wir sollten integrierten Flüchtlingen eine Perspektive bieten“

Düsseldorf · In der Debatte um den Familiennachzug für anerkannte und geduldete Flüchtlinge spricht sich NRW-Innenminister Reul für ein geordnetes Verfahren aus. "Wir sollten darüber reden, wie wir Flüchtlingen, die bestens integriert sind, in Zukunft eine Perspektive bieten", sagt Reul im Interview mit unserer Redaktion.

 Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (Archiv).

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (Archiv).

Foto: dpa, fg jhe

Die CDU hat den Familiennachzug für Flüchtlinge ausgesetzt. Ist das christlich?

Reul Die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge muss vorerst erhalten bleiben. Wir sollten aber darüber reden, wie wir Flüchtlingen, die bestens integriert sind, in Zukunft eine Perspektive bieten. Ich denke beispielsweise an solche, die einen festen Arbeitsplatz vorweisen können und fließend deutsch sprechen. Auch da kommt ein Nachzug aber natürlich nur für die direkten Familienmitglieder infrage, also für Ehepartner und Kinder. Eine generelle Nachzugserlaubnis würde das völlig falsche Signal setzen. Die Botschaft "Schickt erst einmal eure jungen Männer auf die Reise, dann könnt ihr die Familien später nachholen" sollten wir nicht senden.

Im Fall Amri hätte NRW den damals als Gefährder eingeschätzten Täter in Abschiebehaft nehmen können. Was haben Sie daraus gelernt?

Reul Wir können nicht jeden Gefährder in Haft nehmen. Das ist mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Also gibt es Abstufungen. Entscheidend ist die Einschätzung der konkreten Gefährlichkeit durch die Experten. Das wird jeden Tag neu bewertet und entschieden. Aktuell überwachen wir in Nordrhein-Westfalen rund 90 islamistische Gefährder. Das Spektrum reicht dabei von technischen Maßnahmen bis zur Rund-um-die-Uhr-Observation. Ich sehe bei diesen Maßnahmen aber noch Luft nach oben. Sehr helfen würden uns zum Beispiel die elektronische Fußfessel. Deshalb brauchen wir unbedingt ein neues Polizeigesetz.

Ihrem Staatssekretär Mathies wird vorgeworfen, die Vorgänge um das Gehalt für den freigestellten Polizeigewerkschafter Wendt gekannt zu haben. Wird der Fall zur Belastung für Sie?

Reul Mein Vorgänger von der SPD hat zu diesem Fall ein verwaltungsinternes Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt, das noch nicht abgeschlossen ist. Das Verfahren wird von zwei erfahrenen Beamten geleitet, die völlig weisungsunabhängig sind. Die sollten wir jetzt in Ruhe ermitteln lassen. Wenn ich mich da jetzt einmischen würde, würde die Opposition doch sofort rufen: Der Reul nimmt da jetzt politisch Einfluss! Herr Mathies hat mein vollstes Vertrauen. Im Übrigen haben wir bereits kurz nach der Regierungsübernahme dafür gesorgt, dass sich ein Fall Wendt nicht wiederholen wird: Wenn die Polizeigewerkschaften wollen, dass ihre Spitzenfunktionäre mehr Zeit für ihre Gewerkschaftsarbeit haben, dann läuft das in Zukunft über Beurlaubungen. Das heißt: Den Beamtensold trägt für diese Zeit die Gewerkschaft, nicht das Land.

Brauchen wir eigentlich 16 Landesverfassungsschutzämter, die sich oft gegenseitig im Weg stehen?

Reul Die Diskussion darüber, wie viele Landesverfassungsschutzämter wir brauchen, geht aus meiner Sicht am Problem vorbei. Die entscheidende Frage ist doch, wie wir mehr Datenaustausch und bessere Informationsflüsse zwischen den Sicherheitsbehörden organisieren. Wir können nach der Bundestagswahl gerne auch über Strukturfragen diskutieren. Beim Thema Cyber-Sicherheit zum Beispiel könnte eine stärkere Zentralisierung vielleicht durchaus Sinn machen. Aber Priorität sollte nicht die Zusammenlegung von Behörden haben, sondern der effiziente und schnelle Austausch von Informationen über potenzielle Gefährder.

Hilft es der inneren Sicherheit, wenn wir einfach mehr Polizisten einstellen? Oder müssten Sie nicht auch die Organisation der Polizei verändern?

Reul Ein Thema, das mir ganz besonders wichtig ist, ist der Respekt für unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Deshalb haben wir als Erstes die Kennzeichnungspflicht für Polizisten abgeschafft. Dieses in Gesetz gegossene Misstrauen gegenüber den Beamten musste endlich beendet werden. Außerdem haben wir zum 1. September 2.300 neue Polizeianwärter eingestellt - 300 mehr als geplant. Hinzu kommen noch einmal 500 sogenannte Polizeiverwaltungsassistenten, die zum Jahreswechsel ihren Dienst antreten sollen. Dadurch bekommen wir mehr Polizisten auf die Straße. Darüber hinaus werden wir in Zukunft auch darüber nachdenken müssen, ob die Polizei wirklich jeden Job selbst erledigen muss. Oder ob man bestimmte Tätigkeiten nicht an andere Behörden übertragen kann, zum Beispiel an die Ordnungsämter. Ich denke da zum Beispiel an die Aufnahme von Verkehrsunfällen oder den Objektschutz. Ein Polizist soll sich um Verbrechensbekämpfung kümmern, nicht um die Abwicklung von Ordnungswidrigkeiten.

Die CDU hat im Wahlkampf mit mehr Videoüberwachung geworben. Können Sie Ihre Versprechen denn einhalten?

Reul Wir werden die Videobeobachtung an neuralgischen, sicherheitsrelevanten Orten im Land ausbauen. Spätestens Anfang 2018 wollen wir dafür ein neues Gesetz vorlegen, das die Anwendung der Technik erleichtert. Keiner muss aber Sorgen haben, dass es eine flächendeckende Überwachung gibt. Videobeobachtung ist auch nur eine von mehreren Möglichkeiten, um die Sicherheit zu erhöhen.

Thomas Reisener führte das Gespräch.

(tor)
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