Kampf gegen Landflucht NRW-Regierung will mehr Wohnungen an S-Bahn-Strecken zulassen

Düsseldorf · NRW-Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach will ländliche Regionen attraktiver machen und so der Landflucht entgegenwirken. Doch Wirtschaftsforscher warnen vor Neubauten in der Provinz.

Die neue schwarz-gelbe Landesregierung will den ländlichen Raum besser an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) anbinden. "Dazu wollen wir neue Flächen an ÖPNV-Achsen zur Bebauung freigeben", sagte Ina Scharrenbach, CDU-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, im Interview mit unserer Redaktion. Auf diese Weise werde der ländliche Raum attraktiver. Möglich werde dies, indem über den Landesentwicklungsplan neue Baugebiete freigegeben würden.

Die zusätzlichen Wohnungen sollen dazu beitragen, die Landflucht in NRW zu stoppen. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge driftet die Bevölkerungsentwicklung zwischen Stadt und Land immer weiter auseinander: Während ländliche Gebiete zum Teil mehr als 20 Prozent verlieren, legen besonders Städte um mehr als zehn Prozent zu.

In Münster und seinem Umland wird demzufolge am erfolgreichsten gegen diesen Trend gekämpft. Negativbeispiele sind Altena im Märkischen Kreis sowie Steinheim und Lügde in Ostwestfalen. Hier werden laut Studie in 15 Jahren zwischen 16 und 23 Prozent weniger Menschen leben als noch 2012. Besser sieht es hingegen in den Regionen rund um Düsseldorf, Köln und Bonn aus.

Die rot-grüne Landesregierung hatte es abgelehnt, Flächen entlang von Verkehrswegen freizugeben, um "bandartige Siedlungsentwicklungen" zu vermeiden, wie es im Landesentwicklungsplan heißt. Befürchtet wurde, dass eine solche Bebauung entlang der Trassen die Landschaft verschandelt.

Der Städte- und Gemeindebund in Nordrhein-Westfalen äußerte sich positiv zu den Plänen der Ministerin: "Wir begrüßen es, dass die neue Landesregierung ländlichen Gemeinden mehr Spielraum bei der Siedlungsentwicklung geben will", sagte Hauptgeschäftsführer Bernd Jürgen Schneider. Gerade entlang der ÖPNV-Achsen sei dies sinnvoll — auch unter Umweltaspekten. Ballungsräume, wo die Versiegelung der Landschaft schon jetzt sehr groß sei, könnten dadurch deutlich entlastet werden. "Dazu muss aber auch der ÖPNV, insbesondere der Schienenverkehr im ländlichen Raum, ausgebaut werden", forderte der Interessenvertreter der Städte und Gemeinden.

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Foto: dpa, fg soe

Auch der Chef des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR), José Luis Castrillo, begrüßte die Pläne: "Das können wir nur unterstützen." Der VRR ist einer der größten deutschen ÖPNV-Anbieter und könnte mit steigenden Kundenzahlen rechnen. Verkehrslärm-Konflikte befürchtet Castrillo nicht: "Das Schöne an diesem Konzept wäre ja, dass die Leute gerade wegen der besseren Anbindung dorthin ziehen."

Dagegen haben die großen Immobilienkonzerne dem ländlichen Raum längst den Rücken gekehrt. "Wir konzentrieren uns lieber auf wachsende Städte", heißt es beim Marktführer Vonovia. Der Wettbewerber LEG hält es ähnlich. "Die Kombination aus vielen Jugendlichen, einer vitalen Start-up-Szene, digitaler Infrastruktur und Universitäten zieht dauerhaft Menschen an. Das sehen wir auf dem Land nicht", sagte ein Vonovia-Sprecher.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) warnt in einer aktuellen Studie sogar ausdrücklich vor Neubauten auf dem Land. Wegen der schrumpfenden Bevölkerung und bereits leerstehender Häuser benötige man vielerorts kaum neue Wohnungen. Gebaut werde trotzdem, kritisiert das IW. Angelockt durch günstigen Baugrund und niedrige Zinsen bauten gerade junge Familien ihre Häuser gern in entlegenen Regionen und riskierten damit einen späteren Preisverfall ihrer Immobilie.

Dieses Problem hat nicht nur NRW: Nach einer Schätzung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung stehen auf dem Land bundesweit knapp eine Million Wohnungen leer. Das IW empfiehlt betroffenen Kommunen sogar, keine neuen Bauflächen auszuweisen und den Abriss von alten Häusern zur Bedingung von Neubauten zu machen.

(kib, tor)
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