Urteil lähmt Rot-Grün in NRW SPD-Minister: Alles nur ein Missverständnis

In NRW hat der Kampf um die Deutungshoheit über das Gerichtsurteil aus Münster begonnen. Die Opposition feixt über die "krachende Niederlage" von Rot-Grün, meidet aber das Wort Neuwahlen. Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) geht hingegen davon aus, dass das Gericht seiner Pressemitteilung nur eine falsche Überschrift verpasst hat.

Pressekonferenz von Kraft und Löhrmann
6 Bilder

Pressekonferenz von Kraft und Löhrmann

6 Bilder

So behauptete Walter-Borjans am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag, keine dramatischen Folgen durch die einstweilige Anordnung des NRW-Verfassungsgerichtshofs zum Nachtragshaushalt 2010 erkennen zu können. Die Forderung der klagenden Opposition aus CDU und FDP, den Nachtragsetat 2010 rückabzuwickeln, sei "in Bausch und Bogen" von den Richtern abgelehnt worden, sagte der Minister am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag.

Die Überschrift der Pressemitteilung des Gerichts "Verfassungsgerichtshof untersagt durch einstweilige Anordnung den Vollzug des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010" habe einen falschen Eindruck erweckt. Tatsächlich sei der rot-grünen Landesregierung nur aufgetragen worden, keine weiteren Schulden aufzunehmen und die Etatbücher für 2010 noch nicht zu schließen. Ansonsten sei die Regierung voll handlungsfähig.

Finanzminister geht lediglich von Verzögerung aus

"Aus einer einstweiligen Anordnung dieses Inhalts ergibt sich für die Landesregierung lediglich der Nachteil einer Verzögerung des vollständigen Haushaltsabschlusses um wenige Wochen", zitierte der Minister aus der Anordnung des Gerichts. Ihn ärgere deshalb der Versuch der Opposition, aus diesem Beschluss eine "Regierungskrise zu konstruieren", sagte Walter-Borjans. Auch die Überschriften in den Medien seien verkürzt. Die Regierung warte nun die Entscheidung in der Hauptsache ab.

CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann warf dem Minister eine Verharmlosung der gerichtlichen Anordnung vor. Der in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Bescheid aus Münster sei Konsequenz der "Dummheit und Arroganz" der Landesregierung, sagte der Oppositionspolitiker. Bislang habe die Regierung nicht klar sagen können, in welcher Höhe bereits zusätzliche Kredite aufgenommen worden seien. Rot-Grün stehe für "Regierungspfusch". Er forderte Konsequenzen für den geplanten Haushalt 2011, der ebenfalls die Kreditverfassungsgrenze überschreite. Die CDU sei bereit, einen Landtagswahlkampf zu führen.

Löhne werden weiter ausgezahlt

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) warf der Opposition "Geschichtsklitterung" vor. Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung sei für die hohe Verschuldung des Landes verantwortlich, sagte Kraft. Im Rechtsstreit um den Nachtragsetat werde man das endgültige Urteil des Verfassungsgerichtshofs abwarten. "Dann werden wir daraus gegebenenfalls Konsequenzen ziehen", fügte die Regierungschefin hinzu.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer sagte, mit Finanzierungsengpässen in der Landesverwaltung sei nicht zu rechnen. Alle Landesbediensteten bekämen ihre Löhne ausgezahlt. Der Nachtragsetat bleibe die "Schlussbilanz der abgewählten Regierung Rüttgers", sagte Römer.

"Abgerechnet wird am Schluss"

FDP-Fraktionschef Gerhard Papke forderte Rot-Grün zum "politischen Verzicht" auf zusätzliche Schulden auf. Die Regierung müsse die Gerichtsanordnung und das regierungskritische Medienecho "ernst nehmen", verlangte der Liberale. Das Verfassungsgericht habe die Politik von Rot-Grün "zerpflückt".

Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen räumte ein, die Opposition habe einen "Teilerfolg" errungen. Das endgültige Urteil stehe aber noch aus. "Abgerechnet wird am Schluss. Diese Regierung ist in keiner Krise", sagte Priggen. Rot-Grün habe nach der Regierungsübernahme im vergangenen Jahr das reparieren müssen, was Schwarz-Gelb im Haushalt 2010 unverantwortlicherweise nicht eingestellt habe. Priggen nannte als Beispiel Milliardenrisiken durch WestLB-Altlasten aus der Rüttgers-Ära sowie zwingend notwendige Mittel für Kitas und Kommunen.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof hatte am Dienstag per einstweiliger Anordnung vorerst den Nachtragshaushalt 2010 gestoppt. Damit wurde die Aufnahme weiterer Kredite untersagt. Der im Dezember beschlossene Etat sieht neue Schulden in Höhe von 8,4 Milliarden Euro vor. Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hatte lediglich Kredite in Höhe von 6,6 Milliarden Euro eingeplant. Mit dem Erlass solle "die Schaffung vollendeter Tatsachen" verhindert werden, schrieb das Gericht. Das höchste Gericht des Landes folgte mit dem Beschluss einem Antrag der Oppositionsfraktionen von CDU und FDP.

Neuwahlen ungewiss

Ob es Neuwahlen geben wird, ist derzeit noch ungewiss. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte am Dienstag gesagt, sie sehe dafür keine Mehrheit im Landtag. Auch die NRW-CDU sieht im Moment keinen Anlass, über Neuwahlen zu sprechen. Die CDU werde erst auf vorgezogene Wahlen pochen, wenn die rot-grüne Minderheitsregierung gescheitert sei, sagte CDU-Landeschef Norbert Röttgen am Mittwoch in Düsseldorf. Dann wolle sich die Partei aber "aktiv und offensiv" für einen Urnengang einsetzen.

Die Landesregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sei aus seiner Sicht dann gescheitert, wenn es ihr nicht gelinge, einen Nachtragshaushalt 2010 vorzulegen, der der NRW-Verfassung entspreche und mit dem Versuch scheitere, einen verfassungskonformen Haushalt für das Jahr 2011 durch den Landtag zu bringen.

"Dokument des Scheiterns"

Röttgen sagte, das Urteil über den Nachtragshaushalt müsse abgewartet werden: "Wir sind kein Hektikerverein, der definitive Konsequenzen zieht, wenn die Hauptsacheentscheidung nicht da ist." Schmettere das Gericht den Nachtragshaushalt ab, sei die rot-grüne Minderheitsregierung aber "im Kern getroffen". Dann müsse die Opposition sie zu einem Bekenntnis zu verfassungskonformen haushalten zwingen.

Gelinge es der Landesregierung nicht, dies umzusetzen, werde ein "Dokument des Scheiterns" entstehen. "Dann müssen die Bürger zur Hilfe gerufen werden", kündigte Röttgen an. Auf die Frage, ob die CDU als Alternative zu Neuwahlen auch offen für neue Koalitionsgespräche in Düsseldorf sei, sagte Röttgen, die CDU werde der Landesregierung "nicht hinterher laufen".

(RTR/AP/ddp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort