Debatte um "Turbo-Abi" in NRW Für G8 wird es eng

Düsseldorf · In neun Monaten wird in NRW ein neuer Landtag gewählt. Bei SPD und CDU ist aber die Meinungsbildung zum "Turbo-Abitur" noch nicht sehr weit gediehen. Damit wächst die Gefahr, dass es am Ende zu den Schnellschüssen kommt, die eigentlich alle ablehnen. Eine Analyse.

G8 – Das sagt die Basis
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Foto: dpa, awe mov lof sja

Es war eine fast surreale Szene. Am 11. Mai beantragten die Piraten im Landtag, das Parlament solle einen Grundsatzbeschluss zum achtjährigen Gymnasium (G8) in NRW fassen, weil eine Umfrage der Landeselternschaft eine massive Mehrheit gegen G8 ergeben hatte. Da war die Einigkeit zwischen SPD, CDU, FDP und Grünen plötzlich ganz groß: keine Debatte, bitte. Der Antrag komme zur falschen Zeit, die Umfrage müsse zunächst ausgewertet werden. Eine inhaltliche Debatte fand nicht statt.

Ähnliche Effekte erbringt die Umfrage unserer Redaktion unter den Unterbezirks- und Kreisvorsitzenden von SPD und CDU. Explizit zu G9 zurück wollen wenige, unbedingt G 8 behalten will auch nur noch eine Minderheit — knapp die Hälfte möchte sich nicht festlegen. Begründung: Die Frage kommt zur falschen Zeit — der Effekt der 2014 auf den Weg gebrachten Entlastungen solle erst wissenschaftlich untersucht werden. Die Umfrage wirft Schlaglichter auf vier Probleme der Debatte über das "Turbo-Abi". Und sie zeigt: G 8 in bisheriger Form, also an praktisch allen Gymnasien, hat immer weniger Chancen.

Dilemma I: Die Zeit In neun Monaten ist Landtagswahl. Das Problem all derer, die sich jetzt noch nicht festlegen wollen: Bis zur Wahl im Mai wird die wissenschaftliche Analyse der G8-Reformen nicht abgeschlossen sein; die Evaluation läuft bis zum Sommer. Von dieser Seite sind also keine Handreichungen zu erwarten. Dennoch beziehen sich viele Politiker auf diese Evaluation.

Dilemma II: Die Anderen Die G9-Anhänger unter den Eltern scheren sich nicht um die wissenschaftliche Auswertung. Für sie steht fest: G 8 ist nicht reformierbar. Mit dieser Überzeugung werden sie um Stimmen werben - die Elterninitiativen wollen mitten im Wahlkampf ein Volksbegehren starten. Die AfD will mit G9 Wahlkampf machen. Auch die FDP ist schon weiter: "Einen Zwang zur Rückkehr zu G9 wird die FDP nicht unterstützen", sagt deren schulpolitische Sprecherin Yvonne Gebauer und fordert "mehr Freiheit und Autonomie" für die Schulen, wozu sie auch Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 zählt.

Gebauers grüne Kollegin Sigrid Beer wird weniger konkret. Sie sagt aber auch mit Blick auf Hessen, Niedersachsen und Bayern, die den Schulen Wahlfreiheit eingeräumt haben oder ganz zu G9 zurückgekehrt sind: "Ruhe ist dadurch jeweils nicht eingetreten. Emotionen und Bauchgefühle helfen den Schulen so wenig wie 'Hauruck'-Aktionen."

Schwer vorzustellen, dass in dieser Konstellation die Wahlkämpfer von CDU und SPD nur auf die anstehende Evaluation verweisen und ansonsten mit der Schulter zucken sollen. Der Druck wird steigen, sich klar zu positionieren. Damit wächst, je näher die Wahl rückt, paradoxerweise die Gefahr jener Schnellschüsse, die alle verhindern wollen.

Missverständnis I: Die Gesamtschule Wenn Innenminister Ralf Jäger, SPD-Unterbezirkschef in Duisburg, auf die Frage nach seiner persönlichen Präferenz nur antwortet: "Meine drei Kinder sind Gesamtschüler und werden daher G9-Abitur machen", dann verweist das auf die Alternative zwischen dem achtjährigen Gymnasium und der neunjährigen Gesamtschule. Jägers Parteifreunde Burkhard Blienert (Paderborn) und René Schneider (Wesel) schlagen in dieselbe Kerbe — das Argument ist bei der SPD beliebt. Allein: Für viele G9-Anhänger ist diese Alternative keine. Sie wollen, dass ihre Kinder neun Jahre am Gymnasium verbringen.

Die "soziale Situation" war in der Umfrage der Landeselternschaft nach der Ausbildungsqualität der zweitwichtigste Grund für das Gymnasium. Der Ruf der Gesamtschule ist bei vielen G8-Gegnern miserabel.

Missverständnis II: Die Lehrpläne Besonders bei der CDU hat die These Freunde, bevor man grundsätzlich über G8 oder G9 entscheide, müssten die Lehrpläne "entrümpelt" werden (so sagt es etwa Marc Henrichmann aus Coesfeld). In den neuen G8-Lehrplänen steht aber nicht mehr, was genau wann gelernt werden soll, sondern nur noch, was die Schüler wann können sollen. Kompetenzorientierung heißt das.

Die nächste Stufe wäre, Fächer zu streichen - was wiederum die Wenigsten goutieren dürften. In diesem Punkt trifft Gelsenkirchens CDU-Chef Oliver Wittke ins Schwarze: "Ich habe den Eindruck, dass immer noch nicht alle Lehrer an G8-Schulen ihre Unterrichtspläne der verkürzten Schulzeit angepasst haben."

(fvo)
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