Untersuchungsausschuss Die verpasste Chance im Fall Anis Amri

Ein Verwaltungsjurist aus Kleve sagte am Montag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages zum Fall Anis Amri aus. Im Mittelpunkt stand die Frage, wieso der spätere Berlin-Attentäter ein halbes Jahr vor dem Anschlag nicht abgeschoben wurde.

Anis Amri befand sich ein halbes Jahr vor dem Anschlag in Berlin für kurze Zeit in Haft.

Anis Amri befand sich ein halbes Jahr vor dem Anschlag in Berlin für kurze Zeit in Haft.

Foto: dpa, ade kde rho cul

Der erste Zeuge an diesem Morgen arbeitet in Kleve. Seit 2013 ist er dort in der Ausländerbehörde des Kreises beschäftigt, er war für Anis Amri zuständig. "Anis Amri war recht früh in meiner Zuständigkeit", sagt der Verwaltungsjurist, und schiebt hinterher: "Die Akte wurde bei mir geführt." Allerdings wusste er nach eigener Aussage wegen der vielen unterschiedlichen Alias-Namen nicht, dass es sich um den Weihnachtsmarktattentäter handelte. Erst zwei Tage nach dem Anschlag habe er dies erfahren, sagt der 31-Jährige. "Vorher kannte ich die wahre Identität nicht", sagt der Zeuge mit Nachdruck. Warum dies so war, dafür habe er keine Erklärung.

Dann fügt er den entscheidenden Satz hinzu: Amri in Abschiebehaft zu nehmen, sei an der ungeklärten Staatsangehörigkeit gescheitert. Schon früh habe er der Sicherheitskonferenz des NRW-Innenministeriums den Hinweis gegeben, eine Abschiebung nach Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes zu prüfen. Eine entsprechende Anordnung sei aber nicht ergangen.

An diesem Montag steht die Ausländerbehörde des Kreises Kleve im Mittelpunkt. Hätte Anis Amri in Abschiebehaft genommen werden können, lautet dabei eine zentrale Frage.

Und: Wurde eine historische Chance vergeben, als er wegen des Verdachts der Urkundenfälschung beim Versuch auszureisen in Ravensburg festgehalten wurde? Es gibt Zeugen, die in diesem Ausschuss ausgesagt hatten, die Fehler seien in dieser Frage vor allem bei den Ausländerbehörden zu suchen.

Der Beamte aus Kleve sieht das anders: "Wir haben mit allen Informationen versucht, die Identifizierung und die Abschiebung aus der Haft vorzunehmen", sagt er. Dabei habe aber gegolten, möglichst wenig Wirbel zu verursachen: "Ich hatte die Information, dass Amri überwacht wird." Die Ausländerbehörde habe möglichst wenig tun sollen, um bei Amri keinen Verdacht zu erregen. Wie der Mann in seiner Akte aber vom Landeskriminalamt eingestuft wurde, habe er nicht gewusst.

Als Amri in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg festgehalten wurde, prüfte der Zeuge nach eigenen Angaben, ob es möglich wäre, Passersatzpapiere zu beschaffen. "Ich musste dem Haftrichter nachweisen, dass eine Abschiebung binnen drei oder sechs Monaten möglich ist." Dabei habe er alle vergleichbaren Fälle im Kreis Kleve in sein Urteil einbezogen und auch "Untertauchen" als weiteren Haftgrund geprüft.

Die Zeit bis zur Vorführung beim Haftrichter lief gegen den Klever — noch dazu handelte es sich um ein Wochenende. Der Bereitschaftsrichter in Ravensburg hatte den Akten zufolge Schwierigkeiten, an diesem Wochenende in Kleve jemanden zu erreichen. Wo die Schwierigkeiten lagen, schildert der Zeuge so: "Neben Tunesien standen weitere Staatsangehörigkeiten im Raum; ich hätte noch weitere Konsulate abfragen müssen." Die Zeit dafür war zu knapp. Schließlich blieb dem Verwaltungsjuristen offenbar nicht viel mehr, als in Ravensburg zumindest zu veranlassen, dass von Amri Handflächenabdrücke genommen wurden. Denn Tunesien gibt sich beim Nachweis der Identität nicht mit bloßen Fingerabdrücken zufrieden.

Amri konnte das Gefängnis in Ravensburg nach diesem Wochenende als freier Mann verlassen. Kein halbes Jahr später verübte er den Anschlag.

(RP)
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