Verfassungsschutzbericht Minister nennt Sicherheitslage in NRW "äußerst beunruhigend"

Düsseldorf/Berlin · Der Verfassungsschutzbericht des Landes beschäftigt sich erstmals mit der Reichsbürgerbewegung in NRW. Den Geheimdiensten sind 2200 Anhänger gemeldet worden, von denen 1700 als tatsächliche Reichsbürger identifiziert wurden.

 NRW-Innenminister Herbert Reul.

NRW-Innenminister Herbert Reul.

Foto: dpa, mb gfh

NRW-Innenminister Herbert Reul nannte die Reichsbürgerbewegung am Donnerstag bei der Vorstellung des Berichtes "skurril, aber äußerst gefährlich": Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an, sind oft gewaltbereit und mit Schusswaffen ausgerüstet. Viele verweigern Steuerzahlungen, haben umgekehrt aber keine Vorbehalte, sich vom Steuerzahler bezahlen zu lassen. In NRW haben mutmaßliche Reichsbürger vereinzelt schon die Polizei, den Schuldienst und den Justizvollzug unterwandert. Die Identifizierung als Reichsbürger ist laut Reul die entscheidende Voraussetzung, "um diesen Personen die Waffen wegzunehmen". Teile der Reichsbürgerszene überschneiden sich mit der rechtsextremistischen Szene.

Die Zahl der rechtsradikalen Straftaten stieg in NRW im vergangenen Jahr auf 4700 Taten — sechs Prozent mehr als im Vorjahr. "Das ist ein neues Allzeit-Hoch", sagte Reul. Darin enthalten ist auch der unrühmliche Rekordwert rechtsmotivierter Gewalttaten, dieser stieg von 289 in 2015 auf 381 im vergangenen Jahr.

Laut Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier waren die Anschläge auf Flüchtlingsheime allerdings rückläufig. Ebenso die linksradikal motivierten Straftaten, von denen der Verfassungsschutz 1580 zählte.

Im Auge haben die Geheimdienste auch 70 Moscheevereine in NRW. Sie gelten als "islamistisch beeinflusst". Insgesamt gibt es in NRW rund 850 Moscheen. Die Zahl der Salafisten stieg in NRW im vergangenen Jahr von 2900 auf 3000. Davon stufen die Behörden aktuell 240 als Gefährder ein, denen terroristische Anschläge zugetraut werden.

Eine besondere Gefahr geht laut Reul von den Rückkehrern aus Syrien aus, die in den dortigen Krisengebieten traumatisiert und oft radikalisiert worden seien. 250 Personen seien aus NRW in die Kriegsgebiete ausgereist, darunter auch 70 Frauen. 50 Frauen und fünf Kinder seien inzwischen nach NRW zurückgekehrt. "Viele von ihnen mussten ihre Kinder sterben sehen. Etliche sind traumatisiert und radikalisiert", so Reul.

Auch die Zahl der Gewalttaten von Ausländern unabhängig von islamistischen Motivationen ist in NRW stark von 59 auf 205 angestiegen. Der Verfassungsschutz führt das auf den gescheiterten Putsch in der Türkei zurück. Die kurdischsteämmigen PKK-Anhänger und türkische Nationalisten tragen ihre Konflikte offenbar zunehmend auch in NRW aus.

Parallel dazu nehmen die Fälle von NRW-Bürgern zu, die von türkischen Geheimdiensten ausspioniert werden. Nach früheren Angaben des NRW-Innenministeriums sind aktuell rund 170 Menschen in NRW im Visier der türkischen Dienste. Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen, Berivan Aymaz, sagte am Donnerstag vor diesem Hintergrund: "Der Innenminister muss eine zentrale Anlaufstelle für alle Nordrhein-Westfalen einrichten, die sich Verfolgung ausgesetzt sehen und Informationsbedarf haben. Das Auswärtige Amt muss zudem endlich offiziell eine Reisewarnung für die Türkei aussprechen."

Reul nannte den Extremismus jeglicher Art "die größte Herausforderung unserer Zeit". Die Lage sei "außerordentlich beunruhigt". Aus der Gruppe der politisch motivierten Straftaten stechen vor allem die Gewalttaten hervor: Sie stiegen von 2015 bis 2016 auf 883. Vor zehn Jahren zählten die Behörden nur 349 politisch motivierte Gewalttaten. Von den 45 Terroranschlägen auf europäischem Boden seit dem jahr 2000 hätten sich sieben in Deutschland ereignet, so Reul. "Wir sind neben Großbritannien und Frankreich das Hauptziel des Terrors", fasste der NRW-Innenminister die Lage zusammen.

Auch in Berlin waren die Geheimdienste am Donnerstag Thema. Bei der ersten öffentlichen Befragung von drei deutschen Nachrichtendienst-Chefs wurden im Bundestag sowohl Sicherheitslücken als auch Forderungen nach weiteren Befugnissen deutlich. Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen verwies auf bis zu 40.000 Islamisten in Deutschland, von denen 10.400 dem Salafismus zuzurechnen seien. Bei ihnen sei der Übergang zum Dschihadismus und zur Gewaltbereitschaft "fließend". Bei 1800 Personen müsse man damit rechnen, dass sie Anschläge vorbereiten oder begehen könnten. Die Polizei habe darunter 700 als Gefährder identifiziert. Die Nachrichtendienste wollen die Kommunikation von Dschihadisten besser und am liebsten live überwachen und auch gefährliche Server im Ausland zerstören.

(RP)
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