Kolumne "NRW kann Mehr" Wir leben im Land der verpassten Möglichkeiten

Düsseldorf · Ist "Wir lassen kein Kind zurück" eine Strategie für unser Land oder nur ein wichtiger Programmpunkt der Sozialpolitik? Die McKinsey-Studie wirft Fragen auf, die Nordrhein-Westfalen rasch beantworten muss.

Die wichtigsten Gesetzesvorhaben in NRW
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Foto: dpa, Federico Gambarini

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe nordrhein-westfälische Mitbürger: Ich jedenfalls fuhr auch in dieser Woche wieder auf überlasteten Schlagloch-Autobahnen, die mich an die Transitstrecke Richtung Berlin aus meiner Jugend erinnerten. Jeder Tag führt mich durch ein Funkloch am Düsseldorfer Gewerbepark Seestern — dort wo eigentlich das Herz der deutschen Telekommunikations-Industrie schlagen soll. Mehrfach habe ich vergeblich versucht, mit dem neuen Fünf-Euro-Schein am Automaten zu zahlen. Ach ja, in unserer alternden Gesellschaft für eine Freundin der Familie die letzte Pflege zu organisieren, macht ebenfalls demütig.

Momentaufnahmen? Einzelschicksal? Berichtet man auf einer Feier oder beim gemeinsamen Warten auf den mal wieder verspäteten Regionalexpress vom eigenen Unbehagen über die verpassten Möglichkeiten, weiß jeder sein eigenes Erlebnis beizusteuern, in der Regel kein angenehmes.

Sind wir alle Nörgelbürger? Nein, ich habe Nordrhein-Westfalen gerade wegen seines Aufbruchsgeistes schätzen gelernt. "Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt", heißt es in Grönemeyers musikalischem Denkmal. "Wir in NRW" ging in die ähnliche Richtung. Beides ist nur geraume Zeit her. Heute blickt das Land hinter sich, wenn es seine Benchmarks beschreibt: "Wir lassen kein Kind zurück." Das ist ein wichtiger Punkt der Sozialpolitik, aber ersetzt es eine Strategie?

Nein, Nordrhein-Westfalen kann mehr, als es ahnt. Es muss auch mehr können, wenn es im Wettbewerb der Wirtschaftsregionen in Europa nicht noch weiter den Anschluss verlieren will.

Genügsamkeit macht behäbig, Zufriedenheit raubt Energie. Der Weckruf der Berater von McKinsey darf deshalb nicht in der Schublade "neoliberal" verschwinden, sondern sollte im Landtag und den vielen öffentlich-rechtlichen Institutionen, in den Industrie- und Handelskammern, bei Handwerk, Gewerkschaften und auch bei uns Medien aufmerksam studiert werden.

Ersparen sollten wir uns die typisch deutsche Debatte, die erst einmal die Utopien als nicht machbar identifiziert und die vielen klugen Schritte zuvor dorthin ignoriert. Warum arbeiten wir nicht mehr mit verstärkten Investitionen in die Infrastruktur am Logistikstandort, mit attraktiven Geschäftsideen in den Pflegemetropolen; warum machen wir aus Müll nicht mehr Geschäft — und zwar nicht nach Kölner Art, sondern ganz sauber?

Transparenter als heute sollte über das gesprochen werden, was zur Entwicklung notwendig ist: ein tatsächlich leistungsförderndes Bildungssystem, ein offener, die Bürger frühzeitiger beteiligender Planungsprozess, eine ehrliche Debatte über die Lage. Immer wird irgendwo gewählt, aber muss man dafür die Wahrheit verschweigen?

Fördern und fordern hieß es bei der Agenda 2010, die Deutschland vorangebracht hat. Die Studie "NRW 2020 — unser Land, unsere Zukunft" unterstützen wir aus tiefer Überzeugung. Wer jetzt in Richtung dieser und ähnlicher Lösungen aufbricht, kann sich verlaufen. Wer aber im Jetzt verharrt, verliert auf jeden Fall den Anschluss.

(RP/felt/jco)
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