Doppelmord-Prozess gegen Marcel H. "Der Nachbar lebt nicht mehr"

Bochum · Was ein Vernehmungsbeamter im Doppelmord-Prozess gegen Marcel H. im Bochumer Landgericht schildert, ist für alle Beteiligten nur schwer zu ertragen. Der Angeklagte hatte ihm erzählt, wie er sich nach den Taten gefühlt hat.

Marcel H. aus Herne: Mutmaßlicher Kindermörder in Bochum vor Gericht
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Mutmaßlicher Kindermörder Marcel H. vor Gericht

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Foto: Bernd Thissen/dpa

An der Stelle, als Marcel H. erzählen soll, wie er sich nach dem Mord an dem kleinen Jaden gefühlt hat, stehen drei Auslassungspunkte im Vernehmungsprotokoll. Die Auslassungspunkte bedeuten, dass Marcel H. eine kurze Pause zum Nachdenken gemacht hat. Anders habe er sich gefühlt, nachdem Jaden tot war, hat er dann in der Vernehmung gesagt. "Es war surreal.” So jedenfalls steht es im offiziellen Vernehmungsprotokoll der Polizei.

Am Dienstag sagt der Polizist vor Gericht aus, der Marcel H. nach seiner Festnahme am 10. März 2017 vernommen hat. Der Mann ist ein gestandener Beamter, hat als Mordermittler schon manches erlebt und war auch schon oft als Zeuge vor Gericht. Das verrät die Routine, mit der er die Formalien vor seiner Aussage aufsagt. Aber dieser Fall — der Doppelmord an dem neunjährigen Jaden und dem 22-jährigen Christopher in Herne — schnürt ihm die Kehle zu.

Heiser und gepresst klingt seine Stimme, als der 48-Jährige nacherzählt, wie H. seinen Nachbarsjungen Jaden umgebracht haben soll. Und kein Laut kommt ihm mehr über die Lippen, als er an die Stelle kommt, wie H. mit dem Messer auf Jaden eingestochen hat. Das ist der Moment, als die Mutter von Christopher die Hand von Jadens Mutter greift und ihre Finger sich verschränken.

Was der Vernehmungsbeamte an diesem Tag schildert, schmerzt. Und beide Mütter müssen hören, wie H. ihre Söhne umgebracht haben soll — wo er sie mit dem Messer getroffen hat, wie er sie gewürgt und mit ihnen gerungen hat, bis beide Opfer nicht mehr atmeten, wie er seine Taten dann dokumentierte und sich schließlich stellte. Ungläubigen Ekel fühlen die, die am Dienstag zuhören. Eine Frau schluchzt im Zuschauerraum, ein Mann findet Kraftausdrücke für seine Abscheu.

Der Angeklagte sitzt während der ganzen Zeit da, als betreffe ihn das alles überhaupt nicht. Er reagiert nicht auf die Schilderungen, blickt einfach nach vorne zum Vorsitzenden Richter Stefan Culemann, der sein 16-seitiges Vernehmungsprotokoll verliest — mit allen unfassbaren Details. H. sieht nicht einmal den Beamten an, der ihn in der Nacht vom 10. auf den 11. März drei Stunden lang vernommen hat. Solange bis H. müde war und lieber schlafen wollte, als sich weiter verhören zu lassen.

Sehr präzise habe H. ausgesagt, so schildert der Beamte seinen Eindruck. "Er wirkte vollkommen unberührt. Er wollte seine Geschichte erzählen.” Nach der Vernehmung vermerkte er folgenden Satz im Protokoll: "Bei mir stellte sich das Gefühl ein, er vollende durch die Berichterstattung sein Werk.”

Der Beamte erzählt, wie H. sich nach eigener Aussage zunächst habe selbst umbringen wollen, weil seine Bewerbung bei der Bundeswehr gescheitert war. H. soll am Nachmittag des 7. März mit einer Tasche bepackt in das leerstehende Haus seiner Familie in Herne gefahren sein, um sich dort umzubringen. Der Inhalt der Tasche: zwei Messer, ein Kabel, Grillanzünder, ein Toaster und einer Packung Schokobrötchen. Die Familie war etwa eine Woche zuvor in eine andere Stadt gezogen.

Später kaufte H. noch Grillkohle in einem Supermarkt. Er habe zuvor im Internet recherchiert, wie man sich mit Grillkohle umbringen kann. Er habe eine halbe Flasche Wein getrunken, die er im Haus gefunden hatte. "Das war das erste Mal, dass ich Alkohol getrunken habe”, hat H. dem Polizisten erzählt. Er soll die Grillkohle im Badezimmer im ersten Stock des Wohnhauses angezündet haben, bis schwarzer Rauch unter der Tür hervor quoll und die Brandmelder im Haus ansprangen. Da habe H. den Plan aufgegeben. Zuvor hatte er noch ein Bad eingelassen, in dem er sich stattdessen mit dem Toaster per elektrischem Kurzschluss habe umbringen wollen. Doch auch das tat er dann nicht mehr.

Stattdessen klingelte er bei seinen Nachbarn. "Der erste, der die Tür aufmacht, den bringe ich um”, hat H. zu Protokoll gegeben. Jaden öffnete die Tür, sein großer Bruder sei ans Treppengeländer im ersten Stock gekommen und auch Jadens jüngerer Bruder sei mit an der Tür gewesen. H. habe kurz überlegt, ob er aus einem Opfer zwei machen solle. So steht es im Protokoll. "Wenn einer schreit und Alarm macht, das ist mir dann zu viel”, soll H. gesagt haben. Jaden habe eine Leiter halten sollen, während er etwas an der Wand im Keller anbringe. So hat H. seinen neunjährigen Nachbarsjungen in den Keller gelockt. Jaden starb innerhalb von Minuten durch 52 Messerstiche, so steht es in der Anklage.

Nach der Tat habe er sich neben den toten Jungen gelegt — in die Blutlache — und Fotos von seinem Opfer gemacht, die er an einen Freund schickte und die später in anonymen Internetforen kursierten. Dann sei er durch die Terrassentür in ein nahe gelegenes Waldstück geflohen. "Die Option Selbstmord läuft nicht mehr, der Nachbar lebt nicht mehr”, habe er seinem Freund noch geschrieben. Dann machte er sich auf den Weg zu seinem zweiten Opfer.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

(heif)
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