200 Jahre Wiener Kongress: Als das Rheinland preußisch wurde

Düsseldorf · Vor 200 Jahren gestaltete der "Wiener Kongress" die deutsche Landkarte neu. Berlin bekam eine Schlüsselrolle im Westen.

 Eine Karikatur auf die von den Monarchen vertretenen Gebietsansprüche.

Eine Karikatur auf die von den Monarchen vertretenen Gebietsansprüche.

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Nachdem der König von Preußen den Willen der wirklich Mächtigen zur Kenntnis genommen und sich ihm gebeugt hatte, wurde er grundsätzlich: "Diese deutschen Urländer müssen mit Deutschland vereinigt bleiben; sie können nicht einem anderen Reich angehören, dem sie durch Sprache, durch Sitten, durch Gewohnheiten, durch Gesetze fremd sind." So schrieb Friedrich Wilhelm III. noch im April 1815 aus Wien an "die Einwohner der mit der preußischen Monarchie vereinigten Rheinländer". Dort war man nicht begeistert, aber auch nicht empört. Dem Kölner Bankier Abraham Schaaffhausen wird ein sarkastischer Kommentar zugeschrieben: "Da hierode mer ever en ärm Familich."

Noch war Napoleon nicht endgültig geschlagen, noch war die Schlussakte des "Wiener Kongresses" nicht unterzeichnet, da war Preußens neue Rolle am Rhein und in Westfalen schon fixiert. England wollte dort einen starken Staat, der neue Ausdehnungsgelüste Frankreichs nach Osten unterbinden konnte. Österreich wollte Preußen, das gern das wirtschaftlich erfolgreiche Sachsen vereinnahmt hätte, nicht als direkten Nachbarn. Also agierten London und Wien gemeinsam, schützten das Königreich Sachsen und wiesen Berlin die Rolle des Wächters am Rhein zu.

Das in durchaus neuer Form. Zwar hatte Preußen schon im Lauf des 17. und 18. Jahrhundert einige Besitzungen am Rhein durch Erbschaften und rasches Zugreifen erworben: Kleve, Mark und Ravensberg (beim heutigen Bielefeld), später die Grafschaft Moers mit der Exklave Krefeld, nach 1800 auch die Abteien Essen und Werden. Doch es hatte diese Gebiete in den Kriegen nach der französischen Revolution und gegen Napoleon wieder verloren. In Wien aber, und nach Napoleons endgültiger Entmachtung, bekam Preußen viel mehr, als es im Westen je besessen hatte: Die alten Herzogtümer Jülich und Berg, Kurköln, ganz Westfalen, die Gebiete links und rechts des Rheins von der niederländischen Grenze bis Kreuznach und Saarbrücken - ein Gebiet mit gut zwei Millionen Menschen, die zu den gut vier Millionen Alt-Preußen kamen.

Radikale Vereinfachung

In diesem Gebiet hatte es bis 1794 etwa 150 verschiedene Herrschaftsterritorien gegeben. Mit vielen Machtzentren. Das wurde jetzt radikal vereinfacht. Nach einigem Hin und Her residierte der oberste Verwaltungsbeamte, der Oberpräsident, in Koblenz, darunter gab es sechs Regierungspräsidenten in Aachen, Köln, Kleve (bald wieder abgeschafft), Düsseldorf, Koblenz und Trier. Köln wurde Sitz des obersten rheinischen Gerichts, Düsseldorf ab 1826 Sitz des neuen Provinziallandtags, der zunächst nur wenige Rechte hatte, nach 1860 aber einflussreicher wurde. Die Einrichtung der Provinziallandtage galt als sehr kleine Einlösung eines Versprechens, das der König 1810, dann am 22. Mai 1815 und noch einmal 1820 gegeben hatte. Die Einführung einer Verfassung, die dann nicht kam. Andere Versprechen hielt der König. Nachdem die Franzosen die Universitäten in ihrem Herrschaftbereich aufgelöst hatten, bekam Bonn nun eine neue Universität.

1815 war das Rheinland wirtschaftlich entwickelter als die agrarischen Stammlande Preußens. Der Publizist Joseph Görres begrüßte dennoch die neue Herrschaft. Er hoffte auf Preußens Reformer, auf mehr Bürger-Beteiligung als im alten Reich oder unter französischer Besatzung. Doch der preußische Reformeifer ließ schnell nach. Als Görres das Aufkommen der Reaktion und die Bürokratie kritisierte, wurde sein "Rheinischer Merkur" schon Anfang 1816 verboten.

Der Machtwechsel interessierte keinen

Den meisten Menschen im Rheinland war der Machtwechsel zunächst egal. Die Obrigkeit behielt ihr Gesicht, weil die meisten Beamten im Amt blieben. Bald aber schlugen die neuen Machtverhältnisse auf die Wirtschaft durch. Die Franzosen hatten seit 1794 das linke Rheinufer besetzt, es seit 1801 Frankreich einverleibt. Die dortige Industrie erlebte durch die gegen England gerichtete Kontinentalsperre einen Aufschwung. Einige Unternehmer vom rechten, ebenfalls französisch besetzten Rheinufer errichteten deshalb linksrheinische Tochterfirmen. Als 1814 Frankreich nach Westen zurückgedrängt wurde, neue Zollschranken kamen, gerieten diese Unternehmen in die Krise. Dazu kam 1816/17 ein Hungerwinter. Der leichte gewerbliche Aufschwung in den ersten Jahrzehnten nach 1815 erlebte viele Rückschläge. Die Früh-Industrialisierung in Aachen, Mönchengladbach, Krefeld und im Bergischen Land war überschattet von der Verelendung weiterer Bevölkerungsschichten. Auch die preußische Freihandelspolitik forderte Opfer, viele Betriebe waren der englischen Konkurrenz nicht gewachsen, auch viele Winzer an der Mosel litten unter dem Freihandel.

Das Rheinland fremdelte ein wenig mit den neuen Herren. Die Franzosen hatten den Code Napoleon eingeführt, das hieß: Für alle Bürger galt die Gleichheit vor dem Gesetz. Preußens Allgemeines Landrecht kannte so etwas nicht. Berlin nahm die Kritik aus dem Rheinland ernst, Teile des Code Napoleon galten linksrheinisch noch bis 1900, als das Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt wurde. Bis 1845 galt im Rheinland auch die französische Gemeindeordnung weiter, die keinen Unterschied zwischen Stadt- und Landbewohnern machte, das blieb auch nach 1845 so - im Gegensatz zu anderen preußischen Provinzen.

Preußen war die Schutzmacht des Protestantismus

Vorsichtig ging man zunächst auch mit religiösen Gegensätzen um. Preußen verstand sich als Schutzmacht des Protestantismus, was im Bergischen Land, aber auch in Teilen des alten Herzogtums Kleve und der Grafschaft Mark begrüßt wurde. Doch der größere Teil des Rheinlands war katholisch. Die Franzosen hatten das altehrwürdige Erzbistum Köln mit seinen rheinischen und westfälischen Besitzungen kurzerhand abgeschafft. Friedrich Wilhelm III. ließ es im Einvernehmen mit dem Vatikan in neuer Form - ohne großen Grundbesitz - neu errichten.

Doch 1825 verlangte Preußen, die Kinder protestantisch-katholisch gemischter Ehen seien in der Konfession des Vaters zu erziehen. Diese Bestimmung unterstützte die Protestanten, weil viele Beamte und Offiziere aus den preußischen Stammlanden in den Westen versetzt wurden. Kölns Erzbischof Graf Ferdinand August von Spiegel nahm das hin, sein Nachfolger Freiherr Clemens August von Droste zu Vischering nicht. Er suchte den Konflikt mit dem Staat, wurde 1837 verhaftet und in der Festung Minden inhaftiert. 1842, in Berlin regierte jetzt Friedrich Wilhelm IV., wurde der Konflikt mit einem neuen Erzbischof beigelegt. Der König förderte außerdem die Fertigstellung des seit 1560 als Ruine ruhenden Doms. Die dauerte bis 1880. Die Feier mit dem neuen deutschen Kaiser Wilhelm I. versöhnte viele Katholiken mit Preußen, in dem sich zuvor - in Bismarcks Kulturkampf - die protestantisch-katholischen Gegensätze noch verschärft hatten.

1871 entstand unter Preußens Führung das neue Deutsche Reich. Da hatte sich viel getan. In den vierziger Jahren hatte sich - man sieht es an vielen Sparkassen-Gründungen - die Wirtschaft belebt. Nach 1850 war die Rheinprovinz, wie Preußens Westen seit etwa 1830 genannt wurde, durch Kohle, Stahl und Chemie zum wichtigsten deutschen Industrie-Revier geworden. Und viele Rheinländer überzeugte Preußen.

(RP)
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