Traueranzeige für die Toten von Aleppo "Beten hilft ja offenbar nicht mehr"

Aachen · Eine Traueranzeige in den Aachener Nachrichten hat in dieser Woche viele Menschen bewegt. "Ich trauere um die Toten von Aleppo. In großer Hilflosigkeit." steht darin. Die Aachenerin Angelika Becker-Held erzählt, was sie zur Schaltung der Anzeige bewogen hat.

 Das ist die Traueranzeige in der Aachener Zeitung.

Das ist die Traueranzeige in der Aachener Zeitung.

Foto: Harald Krömer

Sie habe die Anzeige geschaltet, um ihr Mitgefühl und ihre Hilflosigkeit auszudrücken angesichts der unzähligen Toten und der notleidenden Menschen in der umkämpften syrischen Stadt, sagt Becker-Held im Gespräch mit den Aachener Nachrichten. "Das war mein ureigenes Empfinden. Ich verspüre Trauer, weil wir so machtlos sind." Was dann passiert, lässt sich nur mit den Mechanismen der digitalisierten Welt erklären.

Es sind nur wenige Worte, aber sie drücken offenbar aus, was viele Menschen in diesen Tagen bewegt. Ein Foto der Traueranzeige wurde bei Facebook gepostet, wo es die Aktivistengruppe "Zentrum für Politische Schönheit" veröffentlicht. Allein dort reagieren mehr als 5600 Menschen auf den Beitrag, mehr als 2000 Mal wird die Anzeige geteilt. Die Reaktionen sind gemischt. "Ich finde es gut, was Frau Becker-Held macht: Sie macht aufmerksam. Und das zählt", schreibt eine Nutzerin. Auch auf "Aachen gedenkt", einem Trauerportal aus Aachen, gibt es viele Reaktionen. "Das spricht vielen — so auch mir aus der Seele. Danke für die Initiative", heißt es dort etwa.

Doch es gibt auch andere Stimmen: "Das Geld für die Anzeige hätte man aber auch spenden können", kritisiert ein Nutzer bei Facebook. Ein anderer fragt: "Was ist mit den anderen Tausenden von Toten, die unschuldig auf dieser Welt ums Leben kommen!?" Selbst in den "Tagesthemen" am Samstagabend ist die Anzeige zu sehen. Sie ist im Hintergrund eingeblendet, als Moderatorin Pinar Atalay einen Bericht zur aktuellen Lage in Syrien anmoderiert.

 Auch in den Tagesthemen wurde über die Anzeige berichtet.

Auch in den Tagesthemen wurde über die Anzeige berichtet.

Foto: Screenshot: RP Online

Mit der riesigen Resonanz auf ihre Anzeige hat Angelika Becker-Held nicht gerechnet. Die 54-Jährige hat keinen Account bei Facebook und erst über ihre Tochter mitbekommen, dass ihre Anzeige im Netz gelandet ist und dort vielfach kommentiert und geteilt wird. "Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Anzeige das ausgesprochen habe, was viele Menschen empfinden", sagt Becker-Held.

Die ganze Aufmerksamkeit — verschiedene Online-Medien haben das Thema aufgegriffen — ist ihr aber auch etwas unangenehm. Deshalb war Becker-Held zwar bereit, mit der Aachener Zeitung zu sprechen, fotografieren lassen wollte sie sich aber nicht. Denn die Anzeige war für sie vor allem ein Akt der Trauer. Es ging ihr, so sagt sie, gar nicht darum, die Öffentlichkeit wachzurütteln. "Ich wollte einfach nur meine Trauer teilen und der Toten gedenken."

 Eine Traueranzeige, die viele Menschen bewegt. Aufgegeben hat sie die Aachenerin Angelika Becker-Held.

Eine Traueranzeige, die viele Menschen bewegt. Aufgegeben hat sie die Aachenerin Angelika Becker-Held.

Foto: Harald Krömer

"Beten hilft ja offenbar nicht mehr"

Es ist die Hilflosigkeit, die sie zu diesem Schritt angetrieben hat und die auch im Gespräch mit ihr deutlich zu spüren ist: "Was soll man denn tun? Putin einen Brief schreiben? Beten hilft ja offenbar nicht mehr", sagt die Referentin für Arbeitsablauforganisation beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor. Becker-Held ist praktizierende Christin. Auch deshalb fällt es ihr schwer, einfach so zu tun, als ob die humanitäre Katastrophe, die sich in Aleppo und ganz Syrien vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, sie nichts angeht. Hier in Deutschland hat Becker-Held Kleidung für Flüchtlinge gespendet. Vergangenes Weihnachten hat sie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Weihnachtsgruß geschrieben und ihre Flüchtlingspolitik gelobt.

"Dass meine Anzeige den Krieg in Syrien und das Leid der Menschen in Aleppo nicht lindert, weiß ich ja selbst." Aber die Anzeige hat ihr Erleichterung verschafft. Wieder einmal. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Becker-Held diesen Weg gewählt hat. 1995, als mehr als 8000 muslimische Jungen und Männer im bosnischen Srebrenica von fanatisierten Serben ermordet wurden, schaltete Becker-Held ebenfalls eine Traueranzeige.

Für die Menschen in Syrien hofft die Aachenerin nun auf schnelle humanitäre Hilfe und schließlich Wiederaufbau und Versöhnungsarbeit. Doch Becker-Held weiß auch: "Jeder Tote hinterlässt eine Wunde." Und sie weiß auch: Der Weg zum Frieden in Syrien ist noch weit.

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