Fragen und Antworten Warum saßen weniger Flüchtlinge als geplant im Flieger nach Kabul?

Düsseldorf · 80 Afghanen sollten am Dienstag von Düsseldorf zurück in ihr Heimatland gebracht werden. Letztlich saßen aber nur 19 Flüchtlinge im Flugzeug. Unter ihnen Sexualstraftäter und ein Gefährder. Warum wurden die anderen nicht abgeschoben?

Eilverfahren, Gesundheitsprobleme oder Untertauchen - es gibt mehrere Gründe, warum nicht alle 80 angemeldeten Afghanen am Dienstag von Düsseldorf zurück in ihr Heimatland gebracht wurden. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

  • Wer wurde am Dienstag abgeschoben?

Acht der 19 Afghanen hielten sich zuvor in Bayern auf. Unter ihnen waren drei Straftäter und fünf sogenannte Identitätsverweigerer. Das teilte das bayerische Innenministerium auf Anfrage der Redaktion mit. Unter "Identitätsverweigerern" versteht man Asylbewerber, die ihre Herkunft gegenüber den Behörden verschleiern und bei der Aufklärung ihrer Identität nicht mithelfen. Wer als Identitätsverweigerer eingestuft wird, ist den einzelnen Bundesländern überlassen. Einige legen den Begriff strenger aus, andere weniger streng. Die Mehrheit der ursprünglich für die Rückführung angemeldeten Personen sollen Identitätsverweigerer gewesen sein.

Zwei der drei Straftäter aus Bayern sind wegen Sexualdelikten verurteilt worden. Der dritte hatte eine Haftstrafe wegen Diebstahls, Hausfriedensbruchs und Urkundenfälschung bekommen. Die Männer seien zwischen 2010 und 2015 nach Deutschland eingereist, teilte ein Sprecher am Mittwoch mit.

Aus NRW wurde ein Intensivtäter abgeschoben, über die Art der Delikte wurde nichts Näheres bekannt. In dem Flugzeug soll sich außerdem ein Gefährder befunden haben, den Thüringen zur Abschiebung angemeldet hatte.

Seit dem Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Kabul im Mai 2017 lässt die Bundesregierung nur noch Straftäter, Gefährder und Mitwirkungsverweigerer abschieben. Gegen die Sammelabschiebung hatten am Dienstag mehrere hundert Menschen am Flughafen demonstriert.

  1. Aus welchen Gründen kann nicht abgeschoben werden?

Der häufigste Grund ist laut Bundespolizei und Abschiebebeobachterin Dalia Höhne, dass die abgelehnten Asylbewerber nicht an ihrer Meldeadresse angetroffen werden. Manche haben vielleicht vorher von der Abschiebung erfahren und tauchen unter, andere wohnen nicht dauerhaft an ihrer Meldeadresse. Der Termin für die Abschiebung nach Afghanistan war über diverse Flüchtlingsinitiativen vor einigen Tagen bekannt geworden. "Bei Sammelabschiebungen kommt es fast immer vor, dass nicht alle angemeldeten Personen mitfliegen", sagt Höhne. Aber dass nur ein Viertel der geplanten Passagiere dabei sind, komme ihrer Erfahrung nach selten vor.

Krankheiten - akute oder chronische - können eine Abschiebung ebenfalls verhindern. Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen, müssen ihre Krankheit mit einem ärztlichen Attest nachweisen. Die Ausländerbehörden sind wiederum verpflichtet, für mehrere Tage Medikamente bereitzustellen, wenn eine Krankheit bekannt ist. Am Flughafen ist ein Arzt vor Ort, der auch kurzfristig eine Abschiebung abbrechen kann.

Eilverfahren Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, kann ein Asylbewerber dagegen klagen. Droht ihm die Abschiebung, kann er vor einem Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf Aussetzung des Verfahrens stellen. Wenn dieser Eilantrag positiv entschieden wird, wird die Abschiebung abgesagt. Das kann auch buchstäblich in letzter Minute passieren. Am Dienstag war ein Flüchtling schon eingecheckt und fast auf dem Weg in den Flieger, als sein Eilantrag bewilligt wurde. Bei der Bundespolizei ist eigens für diese Fälle eine Faxnummer geschaltet, an die die Eilanträge geschickt werden können. "Erst, wenn die Flugzeugtür geschlossen ist, gibt es kein Zurück mehr", sagt ein Sprecher der Bundespolizei am Düsseldorfer Flughafen.

Nicht nur aus medizinischen Gründen, sondern auch wegen Sicherheitsbedenken können Abschiebungen kurzfristig abgebrochen werden. Dann etwa, wenn abgelehnte Asylbewerber sich heftig gegen die Abschiebung wehren und dadurch während des Flugs zum Sicherheitsrisiko werden können. Das entscheidet die Bundespolizei. Bei einer Einzelabschiebung hat das letzte Wort der Flugkapitän. Er ist an Bord für die Sicherheit verantwortlich und kann es ablehnen, einen renitenten Asylbewerber mitzunehmen. 2016 wurden nur 69 von fast 5000 Maßnahmen wegen Sicherheitsbedenken abgebrochen, so steht es im Jahresbericht der Abschiebebeobachterin.

  1. Wie argumentieren die Abschiebungsgegner?

Die NRW-Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz (Grüne) begleitete die Rückführung am Dienstag als parlamentarische Beobachterin. Sie kritisiert die Sammelabschiebung nach Afghanistan und beschreibt die Atmosphäre im Gespräch mit unserer Redaktion als "sehr bedrückend". "Menschen dürfen nicht in Kriegsgebiete abgeschoben werden", sagt Aymaz. "Abschiebungen nach Afghanistan sind auch laut Amnesty International völkerrechtswidrig. Die Bundesregierung hat bis heute keinen umfassenden Lagebericht für Afghanistan vorgelegt. Dabei ist es nicht erheblich, ob es sich bei den Rückzuführenden um Straftäter handelt, die ja in Deutschland zur Rechenschaft gezogen werden."

(heif)
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