Sorge um das Staatsexamen Letzte Chance für angehende Lehrer in NRW

Düsseldorf · Tausende angehende Lehrer bangen in NRW um ihr Staatsexamen. Wer vor 2011 mit dem Studium begonnen hat, muss bald fertig sein. Daran gibt es massive Kritik von Unis und Studierenden. Der Landtag beschäftigt sich mit dem Thema.

 Jonas Thiele, früherer Vorsitzender der Studentenvertretung Asta an der Universität Köln, studiert Sonderpädagogik mit Abschluss Staatsexamen. Er muss bis 2017 fertig sein.

Jonas Thiele, früherer Vorsitzender der Studentenvertretung Asta an der Universität Köln, studiert Sonderpädagogik mit Abschluss Staatsexamen. Er muss bis 2017 fertig sein.

Foto: Christoph Reichwein

Wie hat sich Saskia Richter angestrengt. Diese endlosen Tage in der Bibliothek der Universität Duisburg-Essen. Seit Monaten verbringt die angehende Grundschullehrerin dort den Großteil ihrer knapp bemessenen Freizeit, um sich auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten. Dabei hat sie eigentlich nicht viel Zeit zu lernen.

Sie ist alleinerziehende Mutter, jobbt nebenbei in einem Fastfood-Restaurant. Die 29-Jährige steht unter gewaltigem Druck. Sie muss jetzt fertig werden. Schafft sie es nicht, ihr Studium bis zum Sommer 2016 zu beenden, war es das für sie vermutlich. Dann läuft die alte Studienordnung aus, nach der sie studiert. Bis spätestens Ende Oktober muss sie sich für die Abschlussprüfungen angemeldet haben. "Ich weiß nicht, ob ich das schaffe", sagt sie.

"Sollte ich durchfallen, weiß ich auch noch nicht, ob ich die Prüfung wiederholen kann." Die Situation sei frustrierend. Ihr Sohn Jonas (3) könne jederzeit krank werden. "Und was mache ich dann?"

Die junge Mutter ist kein Einzelfall. Landesweit bangen Tausende Lehramtsstudenten um ihr Examen. An der Universität Köln sind es zum Beispiel 1800 angehende Lehrer, die betroffen sind. In Duisburg zittern mehr als 3000 junge Menschen um ihre Zukunft, und in Münster sind es noch einmal knapp 500, die fürchten, mit leeren Händen die Uni zu verlassen.

Betroffen sind diejenigen, die vor 2011 ihr Studium aufgenommen haben und somit noch nach alter Studienordnung eingeschrieben sind. Danach wurde von Staatsexamen auf das Bachelor- und Master-System umgestellt. Besonders eng wird es für angehende Grund-, Haupt- und Realschullehrer. Sie müssen bis 2016 fertig sein; wer an ein Gymnasium oder an eine Gesamtschule will, hat noch ein Jahr länger Zeit.

Myrle Dziak-Mahler leitet das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) an der Universität Köln. Sie hat fast täglich mit Studenten zu tun, die um ihren Abschluss fürchten. "Die betroffenen jungen Leute haben Gründe, wieso sie noch nicht fertig sind", sagt sie. Zwar gebe es, räumt sie ein, auch Bummel-Studenten unter ihnen, aber das seien nur einige wenige.

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Foto: dpa, Malte Christians

Bei der deutlichen Mehrzahl handele es sich um Studierende, die nebenbei viel arbeiten müssten, um junge Mütter, die zusätzlich ihre Kinder betreuten, und um welche, die während des Studiums durch Krankheiten eine Zeitlang pausieren mussten. "Deswegen setzen wir uns für eine Fristverlängerung ein", sagt Dziak-Mahler. Druck auszuüben, indem man die Betroffenen in einem engen Zeitfenster drängt, fertig zu werden, sei der falsche Weg.

Auch die Universitäten in Münster und Duisburg-Essen stehen hinter ihren Studenten. "Wir unterstützen sie und sprechen uns dafür aus, dass die Härtefallregelung aufgeweicht werden muss", sagt etwa Beate Kostka, Sprecherin der Uni Duisburg-Essen.

Saskia Richter müsste eigentlich so ein Härtefall sein, von dem Kostka spricht. Die junge Mutter spaziert über den Campus in Essen und schiebt ihren Kinderwagen vor sich her. Für sie zählt die Ausnahmeregelung bislang aber nicht, "obwohl ich während des Studiums wegen der Schwangerschaft aussetzen musste", klagt sie. "Man wird auch noch bestraft, wenn man ein Kind in die Welt gesetzt hat." Ungerecht sei das.

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Nicht nur die junge Mutter empfindet das so. "Mit einer Frist im Nacken kann man nicht vernünftig studieren", sagt Jonas Thiele (31), ehemaliger Asta-Vorsitzende an der Uni Köln. Er studiert Sonderpädagogik - ebenfalls nach alter Studienordnung. Er muss 2017 fertig sein. Als Asta-Chef hat er Druck auf die Hochschulpolitik des Landes ausgeübt. Er wollte bewirken, dass seine vielen Kommilitonen, die mit ihm vor 2011 angefangen haben, ruhig zu Ende studieren können. Ohne Druck, ohne Sorgen, ohne Existenzängste. Gelungen ist ihm das zwar nicht. "Aber die Politik wurde aufmerksam auf das Problem", sagt er. Das Amt gab er auf, weil ihm deshalb kaum Zeit blieb, zu studieren.

Die Kritik an der Studienordnung ist mittlerweile so massiv, dass die Härtefallregelung und die Probleme der Lehramtsstudenten sogar Thema im Landtag geworden sind. Das Schulministerium plant, die Fristen zu überarbeiten. So sollen nach Informationen unserer Zeitung nun auch in Sonderfällen wie dem von Saskia Richter eine mehrjährige Verlängerung der Frist ermöglicht werden.

"Eine Erweiterung dieser ,Härtefall'-Tatbestände wird derzeit geprüft und innerhalb der Landesregierung abgestimmt", sagte ein Sprecher von NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann. Endlos werde diese Frist aber nicht sein. Schon aus Kostengründen könne das Landesprüfungsamt sein Beratungsangebot zu den alten Staatsexamensstudiengängen nicht unbefristet für immer weniger werdende Einzelfälle aufrechterhalten.

Für Saskia Richter sind das gute Neuigkeiten. "Wenn ich ein Jahr länger Zeit hätte, wäre das sehr gut", sagt sie. Doch so lange das nicht feststehe und nur darüber gesprochen werde, bange sie weiter. "Irgendwie ist auch das unbefriedigend und unsicher", meint sie.

(RP)
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