Höxter-Prozess Angelika W. schildert die verrohte Welt von Bosseborn

In Paderborn wurde der Mordprozess gegen Angelika und Wilfried W. fortgesetzt. Die Angeklagte schilderte das Zusammenleben mit ihrem Ex-Mann und den Opfern. Sie legte den Ermittlern eine Liste mit 66 Misshandlungsarten vor, die sie und der Angeklagte an vier Frauen vorgenommen haben.

 Die Angeklagte Angelika W. mit ihrem Anwalt Peter Wüller vor Gericht.

Die Angeklagte Angelika W. mit ihrem Anwalt Peter Wüller vor Gericht.

Foto: dpa, fld mhe

Angelika W. hat im Gefängnis eine Liste gemacht. In Spalten unterteilt ist dort aufgeführt, welche Frau wie misshandelt wurde. Hinter "gewürgt", "mit Heißwasser verbrüht" oder "kalt abgeduscht" steht jeweils ein W oder ein A — je nachdem, ob ihr Ex-Mann Wilfried W. der Täter war oder sie selbst zugelangt hat. Es sind 66 verschiedene Arten des Misshandelns, unterteilt in fünf Geschädigte, wie einer der Nebenklage-Anwälte an diesem dritten Verhandlungstag nüchtern zusammenfasst. "Alles, was ich hier sage ist die Wahrheit, wie ich sie erlebt habe", sagt die Angeklagte.

Was es mit dem Anketten auf sich hatte, will der Vorsitzende Richter Bernd Emminghaus wissen. Da erzählt die 47-Jährige, dass sie eine der Frauen, die zeitweise mit ihr und ihrem Ex-Mann auf einem Hof in Höxter-Bosseborn gelebt hat, mit Handschellen im Schweinestall angekettet hat. "Sie hatte Angst vor Schweinen", sagt sie. Sie selbst könne das nicht verstehen, sei mit Schweinen aufgewachsen. "Naja", sagt der Vorsitzende. "Das ist ja was anderes".

Der Richter will immer wieder darauf hinaus, ob Angelika W. kein Mitleid mit den Frauen hatte. Doch auch wenn sie durchaus reflektiert erzählt, einordnet und ein erstaunlich gutes Gedächtnis zu haben scheint — Empathie ist nicht spürbar. Sie sagt später an diesem Tag: "Das alles war für mich Alltag. Wenn Sie mir Zucker, Mehl und Backpulver hinstellen würden und mir sagen würden, ich solle einen Kuchen backen: Das wäre etwas Besonderes".

Angelika W. wollte ihrem Mann eine "Traumfrau" suchen

In der verrohten Welt des Paares, das nach seiner Scheidung mindestens vier Frauen misshandelt haben soll, herrschten eigene Regeln — und allein der 46-Jährige soll bestimmt haben. Zwei Frauen überlebten ihre Zeit im so genannten Horrorhaus von Höxter nicht. Christel P. ist das erste Opfer. 2011 zog die heute 51-Jährige zu Wilfried W.. Angelika W. gab sich als dessen Schwester aus. Zu Dritt wurde im Wohnzimmer geschlafen. Es war der einzig warme Raum auf dem heruntergekommenen Hof. Christel P. hatte auf eine Kontaktanzeige geantwortet, die Angelika W. für ihren Ex-Mann formuliert hatte. Sie sah es als ihre Aufgabe an, ihm eine neue Frau zu suchen, weil sie selbst ihm als "Traumfrau ja nicht genügte", wie sie sagt. Das Leben zwischen Ställe ausmisten, über Nichtigkeiten streiten und Essen spielte sich hauptsächlich nachts ab. "Wir sind zwischen 12 und 14.30 Uhr aufgestanden", sagt Angelika W. Während sie die Hühner gefüttert, Kaffee gekocht und "das Frühstück auf den Tisch geschmissen" habe, hätten die anderen beiden "sich im Bett vergnügt". Essen habe sie erst gedurft, wenn Wilfried W. auch dabei gewesen sei.

Wie denn die Arbeitsteilung gewesen sei, will der Richter wissen. "Die Frau hat gestaubsaugt, Wilfried gekocht, ich hab den ganzen Rest gemacht." Geputzt habe aber eigentlich niemand. "Das hat man auch irgendwann gesehen." Angelika W. sagt immer "die Frau", egal, über welche der Frauen sie spricht. Deshalb springt sie in ihrer Vernehmung oft zwischen den Opfergeschichten. Anika W. beispielsweise, die im Haus starb, habe nachts manchmal eingenässt, weil sie sich nicht traute, ins Bad zu gehen und Wilfried W. dabei zu wecken. Weil sie anfangs nachts gesagt habe: "Schatzi, ich muss mal pullern", habe sie auf einen Zettel schreiben müssen: "Ich verspreche meinem Hasen, das Wort 'Pullern' nicht mehr zu benutzen." Wilfried W. hatte gesagt: "Das sagt doch keine Frau."

Welchen Anteil an den Taten hatte Angelika W.?

Christel P. wurde nach Angaben von Angelika W. wie sie selbst früher fast täglich von ihm misshandelt. Die Schwurgerichtskammer muss herausfinden, welche Anteile Angelika W. an den Taten hatte. Sie gibt zu, "den Frauen das angetan zu haben, was ihr Ex-Mann ihr angetan hat". Christel P. hat sie Pfefferspray in die Augen gesprüht, sie hat sie an den Haaren gezogen, getreten und geboxt. "Kampfpanzer" habe Christel P. sie genannt. Wenn eine Frau im Haus war, habe sie selbst Ruhe vor den Ausbrüchen ihres Ex-Mannes gehabt und "ein bisschen Freizeit". Einmal habe Wilfried W. mit einer Schaufel auf die am Boden liegende Christel P. eingeschlagen. "Ich dachte, das war es", sagt Angelika W. Christel P. hat überlebt. Bevor sie von dem Paar nach sechs Monaten in die Freiheit entlassen wurde, musste sie ein Schreiben unterzeichnen, das Angelika W. aufgesetzt hatte. Darin stand, dass es im Haus in Höxter zu keinerlei Gewalttaten gekommen sei und man einvernehmlich auseinandergehe.

Den beiden Angeklagten drohen lebenslange Freiheitsstrafen. Der Prozess wird bis mindestens Ende März 2017 laufen.

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