Chronik im Fall Anis Amri Die Ohnmacht der Behörden

Düsseldorf · Anis Amri stand unter Beobachtung. Man wusste um seine potenzielle Gefährlichkeit. Festnehmen konnte man ihn aber nicht.

Anschlag in Berlin: Fotos von Anis Amri
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Anis Amri - der Attentäter von Berlin

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Foto: ap, LR

Der Weg des Attentäters von Tunesien bis zum Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt hat monatelang durch NRW geführt. Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann zeichnete seine Spur im Innenausschuss nach.

5. April 2011 Anis Amri reist illegal über Lampedusa nach Europa ein. Ein Gericht verurteilt ihn in Italien wegen krimineller Straftaten zu einer vierjährigen Haftstrafe. Er wird 2015 entlassen.

6. Juli 2015 Die Polizei Freiburg greift Amri auf.

22. Juli 2015 Ihm wird in Karlsruhe eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (Büma) auf den Namen Anis Amri ausgestellt. Eine weitere Büma erhält er sechs Tage später in Berlin, ausgestellt auf den Namen Mohammad Hassan.

3. August 2015 Amri wird bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Dortmund vorstellig, wo er sich als Mohamed Hassan ausgibt.

Bis zum 18. August wird er den Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) des Landes in Hemer und Rüthen sowie dann der Kommunalen Unterbringungseinrichtung der Stadt Emmerich zugewiesen.

29. Oktober 2015 Eine erneute Meldung als Asylsuchender unter dem Namen Ahmed Almasri bei der Registrierstelle Münster führt zu einer Unterbringung in der ZUE Dinslaken. Im Anschluss erfolgt die Zuweisung an die Stadt Oberhausen, wo er bis zum 18.

Mai 2016 unter dem Namen Ahmed Almasri gemeldet ist. Mitte Dezember 2015 lässt er sich aber noch unter einem weiteren Namen in Berlin als Asylsuchender registrieren.

28. April 2015 Im Rahmen der Asylantragstellung von Amri bei der Außenstelle Dortmund des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wird bekannt, dass er zuvor bereits unter anderen Personalien der Stadt Emmerich zugewiesen worden ist.

27. Oktober 2015 Die Polizei Kleve erfährt, dass ein Zimmernachbar von Amri in Emmerich auf dessen Mobiltelefon Fotos von schwarz gekleideten Personen gesehen habe, die mit Schnellfeuerwaffen (Kalaschnikow) bewaffnet waren und mit Handgranaten posierten. Die Polizei erstellt dazu am Folgetag einen sogenannten "Prüffall Islamismus".

17. November 2015 Den Sicherheitsbehörden in NRW wird im Rahmen eines vom Landeskriminalamt (LKA) und dem Generalbundesanwalt geführten Verfahrens wegen Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland bekannt, dass ein Anis in Deutschland "etwas machen" wolle.

Durch verdeckte Maßnahmen wird bekannt, dass Anis mutmaßlich Anschläge mittels Kriegswaffen begehen wolle. Zudem recherchiert er im Internet offenbar nach Sprengmitteln.

Dezember 2015 Das LKA informiert Sicherheitsbehörden bundesweit sowie den Generalbundesanwalt über mögliche Gefahren durch den zu diesem Zeitpunkt noch nicht identifizierten Anis.

2. Dezember 2015 Im Rahmen eines vom LKA NRW strafrechtlich geführten Verfahrens gegen andere Personen wird mit zeitlich gestaffelten Beschlüssen des BGH die Telekommunikation von Anis vom 2. Dezember 2015 bis zum 25. Mai 2016 überwacht. Anis gilt hierbei als sogenannter "Nachrichtenmittler" eines Beschuldigten in dem Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Anis ist also nicht selbst Beschuldigter des Verfahrens.

16. Dezember 2015 Das BKA führt eine Koordinierungsbesprechung in Berlin durch, wobei das LKA NRW seine Erkenntnisse zu der Person Anis und dessen früherem Aufenthalt in Italien vorstellt.

Eine Identifizierungsanfrage des BKA bei den italienischen Behörden ergibt kurz darauf, dass es sich bei Anis möglicherweise um Anis Amri handelt.

29. Dezember 2015 Aus verdeckten Überwachungsmaßnahmen ergeben sich Hinweise auf einen von Amri geplanten Raub in Berlin. Er erhofft sich offenbar, damit terroristische Aktivitäten finanzieren zu können. Dies ist Anlass für eine Besprechung zwischen den Landeskriminalämtern NRW und Berlin.

Auf Grundlage der Information regt die Polizei Berlin bei der dortigen Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren an. Dieser Anregung folgt die Justiz jedoch nicht.

4. Februar 2016 Das LKA NRW initiiert eine Sitzung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin (GTAZ). Bei der Besprechung gelangen die teilnehmenden Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zu dem Ergebnis, dass die vorgetragene Lage ein schädigendes Ereignis eher unwahrscheinlich erscheinen lasse.

Das LKA NRW möge weiterhin relevante Erkenntnisse übermitteln und ihre bisherigen Maßnahmen in eigener Zuständigkeit fortführen.

5. Februar 2016 Das BKA erstellt eine Gefährdungsbewertung zu Amri und gibt diese bundesweit an alle Sicherheitsbehörden weiter. Amri steht auf Initiative des LKA NRW frühzeitig im Fokus aller deutschen Sicherheitsbehörden.

17. Februar 2016 Weil sich Amri im Zeitraum vom 22. Januar bis zum 12. Februar auch in Dortmund aufgehalten hat, stuft die Polizei Dortmund ihn als "Gefährder NRW im Bereich Islamismus" ein. Trotz komplexer Überwachungsmaßnahmen ergeben sich für das LKA NRW bereits in dieser Zeit jedoch keine konkreten Hinweise auf eine Anschlagsplanung oder Beschaffung von Waffen oder Sprengmitteln durch Amri.

24. Februar 2016 Durch verdeckte Maßnahmen wird bekannt, dass Amri, der zu dieser Zeit schon seinen Lebensmittelpunkt in Berlin hat, "im Auftrag von Allah" töten und sich in Berlin mit einem unbekannten IS-Sympathisanten treffen wolle, der ihn bei seiner Anschlagsplanung unterstütze.

25. Februar 2016 Mit den in NRW verdeckt erlangten Erkenntnissen über eine mutmaßliche Anschlagsplanung durch Amri regt das LKA NRW beim GBA ein Verfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat an. Der GBA informiert hierüber die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und bittet um dortige Verfahrensführung.

26. Februar 2016 Im Rahmen einer Sitzung des GTAZ in Berlin breiten die Teilnehmer erneut den aktuellen Sachstand zu Amri auf.

Wiederum wird von allen Teilnehmern einvernehmlich festgestellt, dass sich aus dem Aufenthalt in Berlin keine Hinweise auf konkrete Gefahren ergeben haben und die bisherige Bewertung weiterhin Bestand habe. Gleichwohl vertreten alle Teilnehmer die Ansicht, dass der Sachverhalt weiterhin einer dringenden Aufklärung bedarf.

10. März 2016 Da Amri seinen Lebensmittelpunkt in Berlin hat, wird er in NRW als Gefährder ausgestuft und dafür einen Tag später in Berlin als Gefährder eingestuft.

Behördlich gemeldet bleibt er allerdings weiterhin in Emmerich.

14. März 2016 Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin leitet ein Strafverfahren gegen Amri wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Tötungsdelikt ein. Mit der Verfahrensführung wird das LKA Berlin beauftragt. In diesem Zusammenhang werden vom 5. April bis zum 21. September 2016 verdeckte Maßnahmen durchgeführt. Auch diese erbringen keine Hinweise hinsichtlich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Ende März 2016 Amri reist für einige Tage nach Dortmund und Oberhausen. Eine in diesem Zusammenhang erneut angeordnete polizeirechtliche Observation in NRW belegt zwar ebenfalls seine Kontakte zum radikal-islamistischen Milieu; hinsichtlich einer Anschlagsplanung oder der Beschaffung von Waffen oder Sprengmitteln können jedoch keine Hinweise erlangt werden.

April 2016 Das LKA NRW findet heraus, dass Amri zur Finanzierung seines Lebensunterhalts in mehreren Kommunen durch Angabe abweichender Personalien staatliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hatte.

Das LKA NRW erstattet daher gegen ihn Strafanzeige wegen Leistungsbetrugs und Falschbeurkundung und regt einen Haftbefehl an. Die Staatsanwaltschaft Duisburg eröffnet ein Strafverfahren, lehnt die Beantragung eines Haftbefehls gegen Amri jedoch ab.

30. Juli 2016 Amri will mit dem Fernreisebus von Berlin nach Zürich, in Friedrichshafen wird der Bus durch die Bundespolizei kontrolliert. Der Tunesier wird vorläufig festgenommen.

Er hat keine Papiere dabei und kommt in die Justizvollzugsanstalt Ravensburg (JVA).

1. August 2016 Amri wird aus der JVA entlassen. Aber er ist darauf hingewiesen worden, dass versucht werde, Amris Ersatzpässe aus Tunesien zu bekommen. Dies koste aber Zeit, so dass ein Antrag auf Abschiebungshaft aussichtslos sei.

18. August 2016 Amris Spur in NRW verliert sich, es gibt keine Anhaltspunkte mehr, wo er sich aufhält.

In den Tagen zuvor war er unter anderem in Dortmund und Emmerich.

26. September 2016 Das LKA NRW wird von tunesischen und marokkanischen Sicherheitsbehörden informiert, dass Amri IS-Anhänger sei, Kontakt zu mutmaßlichen tunesischen Terroristen in Libyen habe, in Deutschland ein Projekt ausführen wolle und sich in Berlin aufhalte.

Oktober 2016 Die Polizei versucht erfolglos, Amri an seiner Meldeanschrift in Emmerich zu treffen.

(RP)
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