Schützenkönig-Streit in Werl Auf der Suche nach dem C

Düsseldorf · Darf sich ein Verein nur christlich nennen, wenn ausschließlich Christen Mitglieder sind? Diese Identitätsfrage steht hinter dem Streit um den muslimischen Werler Schützenkönig. Bloß auf die Statuten zu zeigen, reicht für eine Antwort nicht.

  Der Schützenkönig Mithat Gedik und seine Frau Melanie beim Schützenfest in Werl-Sönnern im Juli.

Der Schützenkönig Mithat Gedik und seine Frau Melanie beim Schützenfest in Werl-Sönnern im Juli.

Foto: dpa

Die Westfalen wieder! So mag mancher denken in diesen Tagen, da öffentlich über das Selbstverständnis der katholischen Schützenschaft debattiert wird. Der Anlass ist durchaus erstaunlich: Ausgerechnet aus Westfalen nämlich, oft milde belächelt, weil angeblich Neuem nur bedingt aufgeschlossen, drang - schon wieder - eine unkonventionelle Nachricht. Die Werler Bruderschaft St. Georg hat den Muslim Mithat Gedik zum König gekürt.

Dagegen schritt unter Verweis auf katholische Grundsätze und Statuten der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) als Dachverband ein - wie schon 2012, als ein schwuler Schützenkönig aus Münster seinen Partner mit auf den Thron nehmen wollte. Damals wie heute entbrannte eine Debatte um Integration und Diskriminierung. Die Kernfrage dieses Mal ist: Was ist "christlich" und "kirchlich"? Salopp: Darf "christlich" auf einem Verein nur draufstehen, wenn ausschließlich Christen drin sind? Umgekehrt: Stellt die Aufnahme nichtchristlicher Mitglieder den Verein außerhalb der Kirche?

Rechtlich ist der BHDS kaum angreifbar: Die Werler bezeichnen sich in ihrer Satzung selbst als "Vereinigung von christlichen Menschen" und verweisen aufs BHDS-Statut, das seinerseits außer von Katholiken nur von "Mitgliedern anderer christlicher Konfessionen" spricht. Gedik hätte also gar nicht Mitglied werden dürfen. Nehme man jetzt auch Muslime auf, verliere man den Status als katholischer Verband, heißt es beim BHDS. Dennoch will man Gedik als König dulden, aber nur "ausnahmsweise". Und am Bezirkskönigsschießen darf er nicht teilnehmen.

Alles klar also? Nicht ganz. Denn die vorherrschende Reaktion auf die Intervention des BHDS war eben nicht juristisches Kopfnicken, sondern harsche Kritik. Von einer "Peinlichkeit" sprach NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD), von Intoleranz die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Und der Werler Propst tat kund, er habe kein Problem mit dem Muslim auf dem Thron. Der Streit um Gediks Schützensilber hat offenbar eine zweite Ebene.

Und da geht es um christliche Identität. Robert Kleine, Kölner Domdechant und BHDS-Bundespräses, bringt es auf den Punkt: "Wir haben ein gewisses Profil. Und mit dem ecken wir natürlich in einer säkularer werdenden Gesellschaft an." Organisiertes Christentum ist in einer Republik, in der der Anteil der Kirchenmitglieder unter zwei Drittel gesunken ist, immer öfter nicht mehr Spiegel der Verhältnisse, sondern Stein des Anstoßes.

Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Und anders als offenbar beim BHDS verbreitet sich in den verfassten Kirchen die Einsicht, mit formaler Argumentation allein sei es nicht getan, vielmehr seien neue Regeln nötig. Die Kirchen dürfen zwar grundgesetzlich garantiert ihre Angelegenheiten völlig eigenständig regeln. Und sie dürfen die Religionsfreiheit der Mitarbeiter einschränken, indem sie Loyalität zu ihren Glaubensgrundsätzen verlangen.

Trotzdem stehen die Kirchen in der Frage, woran das Christliche ihrer Einrichtungen erkennbar sein soll, unter Druck. Ist ein katholischer Kindergarten in Sachsen nur katholisch, wenn die Mehrheit des Personals es auch ist? Das wäre das Aus für katholische Kitas in Ostdeutschland. Und das evangelische Krankenhaus im Ruhrgebiet, in dem reihenweise muslimische Putzfrauen arbeiten? Ideal und Wirklichkeit klaffen bisweilen auseinander, und die Bereitschaft der Gerichte steigt, in Streitfällen im Sinne der Religionsfreiheit der Mitarbeiter zu urteilen, also gegen die Kirchen - zumindest was Jobs angeht, die nicht unmittelbar mit der Verkündigung des Evangeliums zu tun haben.

Das zeigt Wirkung. Die evangelische Diakonie beispielsweise ist unter ihrem neuen Präsidenten Ulrich Lilie offen für neue Wege. Im November beschäftigen sich Experten in einem Workshop mit der Frage, was das Evangelische an evangelischen Einrichtungen sein kann - jenseits des Bekenntnisses der Putzfrau. Und selbst die katholische Kirche, bei der Reform des Arbeitsrechts sonst nicht eben an der Spitze der Bewegung, denkt um: Im neuen "Ordnungsrahmen" der Bischöfe heißt es zwar, die "Loyalität aller Mitarbeitenden zum kirchlichen Selbstverständnis" sei unabdingbar. Zu nichtchristlichen Mitarbeitern wird aber auch festgestellt: "Umgekehrt haben auch sie einen Anspruch darauf, dass ihre religiöse Orientierung geachtet wird und sie in die Teams der Einrichtung und die Dienstgemeinschaft integriert werden." Leitungsfunktionen dürften "in der Regel" nur Katholiken wahrnehmen - da steckt die Ausnahme schon drin. Um der eigenen Akzeptanz willen sind die Kirchen bereit, neue Wege zu gehen, ähnlich wie die CDU, die das Christliche im Namen trägt, mittlerweile aber Muslime sogar zu Ministern macht wie Aygül Özkan in Niedersachsen.

Erst vor wenigen Tagen hat einer, der es wissen muss, Katholiken und Protestanten Deutliches ins Stammbuch geschrieben: Hans Michael Heinig, Chef des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Der Verweis auf die gemeinwohldienende Dimension der Religion reicht als Legitimationsstrategie für ein ,Weiter so' nicht (mehr) aus", schrieb Heinig in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", und: "Religiöse Tradition hat keinen demokratischen Eigenwert." Harte Worte - von einem Protestanten, gewiss, und das katholische Schützenwesen dürfte Heinig bei Abfassung auch nicht gerade im Blick gehabt haben.

Trotzdem berührt er den wunden Punkt, und die Werler Schützen haben, wenn auch ungewollt, sozusagen (das Bild sei erlaubt) ebenfalls ins Schwarze getroffen, als sie einen Muslim zum König machten - der Streit, der folgte, beweist es: In der Frage, wie die Kirchen sinnvoll mit gesellschaftlichen Umwälzungen umgehen können, bleibt viel zu tun. Nur Statuten aus der Schublade zu ziehen, reicht jedenfalls nicht mehr.

(RP)
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