Arbeit am Limit Auf Streife mit Flüchtlingskontrolleuren

Aachen · Flüchtlinge, die illegal bei Aachen nach Deutschland einreisen, bringen die Bundespolizei an die Grenzen der Belastbarkeit. Insbesondere die Einzelschicksale und die ärztlichen Untersuchungen gehen den 170 Beamten unter die Haut. Nur selten fassen sie die Schlepper.

Polizei kontrolliert Flüchtlinge bei Aachen
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Polizeimeister Thomas Faust streift sich grüne Gummihandschuhe über. Dann beginnt er mit der Untersuchung. "Die Hand bitte hier drauf legen", sagt der 33-Jährige zu dem jungen Mann in Trainingshose, der angibt, aus Marokko zu kommen. Faust hat ihn vor einer halben Stunde mit drei Westafrikanern an der deutsch-belgischen Grenze in Aachen-Lichtenbusch aus einem Bus geholt. Die Männer können sich nicht ausweisen. Der Marokkaner spricht kein Wort Französisch. Das macht Faust stutzig. "Wer von dort kommt, kann die Sprache normalerweise", sagt er. Der Polizeimeister vermutet, einen Schleuser vor sich zu haben. In vier Minuten weiß er mehr. Dann liegen die Datenbankergebnisse des Fingerabdruckabgleichs vor.

Fünf Stunden zuvor, kurz nach 13 Uhr, hat für Thomas Faust die Schicht begonnen. Er steht am Gleis 9 des Aachener Hauptbahnhofs. Er wartet mit seinen Kollegen Volker Lürken (49) und Polizeimeisteranwärter Dirk Schnitzler (24) auf den Regionalexpress RE 29 aus Lüttich - ein Zug, mit dem viele Flüchtlinge illegal einreisen. Die Bundespolizisten wollen die Passagiere kontrollieren, wenn sie aussteigen. Fausts Funkgerät vibriert: Ein Bahn-Mitarbeiter meldet, der RE 29 verspäte sich. Deshalb gehen die Beamten zunächst in die Bahnhofshalle, suchen dort nach verdächtigen Personen.

Blick in das Flüchtlingsheim in Essen
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Faust und seine Kollegen gehören zu den 170 Beamten, die für die Bundespolizeiinspektion Aachen die Grenzen zu Belgien und den Niederlanden sichern. Zuständig sind sie für 2500 Quadratkilometer, ein Gebiet dreimal so groß wie Berlin. Ihre Aufgabe ist, unerlaubte Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Ihre Ausrüstung: Handschuhe, Schlagstock, Pfefferspray, Taschenlampe, Handschellen, schusssichere Weste und ihre Dienstwaffe, die Heckler & Koch P 30.

Es gibt viel zu tun, Volker Lürken empfindet die Arbeit derzeit wie einen Kampf gegen Windmühlen. "Das kann manchmal frustrieren", sagt er. Man arbeite am Limit. Kollegen, die lieber anonym bleiben möchten, berichten von stark unterbesetzten Dienststellen. Der Krankenstand sei extrem hoch, nur 59 Prozent der Stellen seien aufgefüllt. Einige ließen sich aus Frust und wegen der hohen Belastung versetzen. Ersatz gäbe es selten. Es käme kaum jemand nach, wenn ältere Kollegen in Rente gingen. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Thomas Mischka, weiß um die Misere. Wegen Personalmangels hätten seine Kollegen an den Grenzen dem gewaltigen Flüchtlingsstrom kaum mehr etwas entgegenzusetzen.

50 Prozent mehr Flüchtlinge in Duisburg
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Foto: dpa, lix lof

Mit 24-minütiger Verspätung fährt der RE 29 aus Lüttich in Aachen ein. Der Zug ist fast leer. Wer aussteigt, versucht schnell vom Gleis zu kommen. Nicht auffallen, das heißt, sich nicht umschauen, nicht stehenbleiben. Nicht die Blicke der Bundespolizisten auf sich ziehen. "Orientierungslosigkeit ist verdächtig", sagt Faust, der zwei jugendliche Mädchen mit einem Kind entdeckt, die aus dem Zug gestiegen sind. Er spricht sie an. Sie hätten keine Pässe dabei, sagt die Älteste der drei, gerade 14 Jahre alt, "zu Hause in Belgien vergessen". Sie seien zum Einkaufen nach Aachen gekommen. Die Polizisten glauben den Mädchen. Menschenkenntnis. Sie dürfen gehen.

Nicht die viele Arbeit lässt Faust an die Grenzen der Belastbarkeit stoßen. Es sind die Einzelschicksale der Flüchtlinge, die er in den Vernehmungen zu hören bekommt. Die entstellten Körper, die bei ärztlichen Untersuchungen entdeckt werden. "Was man da sieht, macht einen fassungslos", sagt Faust. Er berichtet von Fünfmarkstück-großen Brandnarben auf den Rücken junger Männer. Von einer Frau, der man das Baby bei vollem Bewusstsein aus dem Leib gerissen habe, nur weil ihr Mann es nicht haben wollte. Oder von einem Mann, dessen Vater in Syrien vor seinen Augen enthauptet worden sei. "Auf der Flucht ertranken dann seine beiden Brüder", sagt Faust.

So viele Flüchtlinge sind in NRW-Einrichtungen untergebracht
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Foto: dpa, bom fdt Ken jol

Die Bundespolizisten brechen ihre Kontrolle am Bahnhof für diesen Tag ab und fahren zum fünf Kilometer entfernten Grenzübergang Aachen-Lichtenbusch. Sie haben einen Tipp bekommen, dass ein Bus aus Paris mit Flüchtlingen unterwegs nach Deutschland sei. Mit der Zahl der Flüchtlinge steigt auch die Zahl der Schleuser. Gefasst werden nur die "kleinen Lichter", die die Flüchtlinge über die Grenzen schmuggeln. "An die großen Hintermänner kommen wir nicht ran", sagt ein Sprecher der Bundespolizei. Menschenhandel sei längst zu einem Milliardengeschäft geworden, auf einer Stufe mit Drogenhandel und weltweit organisierter Kriminalität. Allein die Mitnahme auf einem Flüchtlingsschiff von Afrika nach Italien kostet 5000 Euro. Für die gesamte Flucht verlangen die Schleuser bis zu 30 000 Euro pro Person. Das Geld wird meist in Etappen bezahlt. Wer nicht mehr zahlen kann, wird zurückgelassen oder muss das Geld auf illegalem Weg beschaffen. Im schlimmsten Fall wird man über Bord geworfen oder auf andere Art getötet. Mittellose Frauen werden oft in die Prostitution gezwungen. Die Schleuser arbeiten in Deutschland mit Banden zusammen, vermitteln die Frauen ins Rotlichtmilieu. Auch Rocker sollen an dem Geschäft mitverdienen.

Grenzübergang Aachen-Lichtenbusch, es dämmert bereits. Lürken steht an die Tür seines Fahrzeuges gelehnt und schaut auf die Autos, die an ihm vorbeirauschen. Er habe es im Gefühl, welchen Wagen er rausziehen muss und welchen nicht. Erfahrungssache. Dann sieht er in der Ferne den Bus kommen, auf den sie warten.

Die Bundespolizisten kontrollieren die Fahrgäste. Bei dem jungen Marokkaner, der kein Französisch kann, bestätigt sich ihr Verdacht nicht. Er ist wohl kein Schleuser, gegen ihn liegt nichts vor - zumindest sagen das die Ergebnisse des Fingerabdruckabgleichs. Ein Polizeitransporter bringt den 17-Jährigen und drei weitere festgesetzte, minderjährige Flüchtlinge aus Westafrika zum Jugendamt. Das Letzte, was Faust von den Vieren sieht, bevor sich die Türen schließen, ist eine schwarze Hand. Sie winkt.

(RP)
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