Landwirtschaft in NRW Bauern bleiben auf Tierschutz-Kosten sitzen

Rheurdt · Viele Schweine- und Geflügelbauern wollten in das Wohl ihrer Tiere investieren und haben ihre Ställe modernisiert. Dafür stellte der Handel ihnen Geld in Aussicht - 85 Millionen Euro standen bereit. Zu früh ist der Geldtopf leer.

 Wilhelm Hellmanns hält in seinem Betrieb in Rheurdt 1500 Ferkel. Etwa 10 000 Euro hat er investiert, das Geld bekommt er wohl nicht erstattet.

Wilhelm Hellmanns hält in seinem Betrieb in Rheurdt 1500 Ferkel. Etwa 10 000 Euro hat er investiert, das Geld bekommt er wohl nicht erstattet.

Foto: klaus Dieker

Wer in den Schweinestall von Bauer Wilhelm Hellmanns will, muss sich in der Zugangsschleuse erst einmal vollständig entkleiden und unter die Dusche stellen, richtig einseifen und desinfizieren. Anschließend gibt es frische Unterwäsche, einen Overall und Gummistiefel. Hat man die neuen Sachen angezogen, darf man endlich rein zu den Ferkeln. "Es dürfen keine fremden Keime von draußen in den Stall gelangen", erklärt Hellmanns die strengen Hygienevorschriften der Europäischen Union. So sollen die Tiere gesund bleiben, damit langfristig der Einsatz von Arzneimitteln reduziert wird.

Hellmanns (45) betreibt mit seiner Frau Christiane (42), einer gelernten Krankenschwester, in zweiter Generation einen Schweinemastbetrieb in Rheurdt am Niederrhein. Den Hof hat der vierfache Familienvater vor elf Jahren von seinem Vater übernommen. Momentan hat er rund 1500 Ferkel, Platz hätte er für 2150.

Um seinen Tieren mehr Lebensqualität zu bieten, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht, nahm er an der von den großen Handelsketten initiierten Aktion "Tierwohl" teil. Die Supermärkte, für die die Landwirte produzieren, stellten den Bauern für die Modernisierungsmaßnahmen in diesem Jahr eine Summe von 85 Millionen Euro zur Verfügung - für die Schweine- und Geflügelzucht. Der Lebensmittelhandel hatte zuvor von jedem verkauften Kilogramm Fleisch vier Cent in den Topf eingezahlt. Es ist eine bundesweite Aktion.

Eigentlich eine gute Sache, dachten sich viele Landwirte wie Hellmanns und machten mit. Sie traten in Vorleistung und rüsteten ihre Ställe auf, indem sie unter anderem das Platzangebot für die Tiere um durchschnittlich zehn Prozent vergrößerten und größere Fenster einbauten, damit mehr Tageslicht in den Stall gelangt.

Doch die 85 Millionen Euro waren schnell aufgebraucht, weil deutlich mehr Bauern teilnahmen, als erwartet worden war. Hunderte Landwirte gingen deshalb leer aus und sitzen nun zum Teil auf Schulden - sie sind wütend und wollen das nicht hinnehmen. "Nur 43 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe war es möglich, an dieser Aktion teilzunehmen, stellte sich hinterher heraus", erklärt Hellmann, der rund 10 000 Euro in die Modernisierung seines Stalls investierte. Über noch höhere Einbußen klagt Heinz Lax (56), der einen Ferkelaufzuchtbetrieb in Wachtendonk unterhält. Auch er wurde nicht berücksichtigt und trat sogar mit rund 30 000 Euro in Vorleistung. "Ich bin sehr enttäuscht", sagt er. Die Initiative hätte sonst die Kosten komplett übernommen.

"Zahlreiche Landwirte haben bereits viel Geld in die Ställe investiert und laufen nun Gefahr, leerauszugehen, weil die Tierwohlinitiative von der großen Bereitschaft der Landwirte förmlich überrannt worden ist", betont auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Er würdigt das Engagement der Bauern. "Es beeindruckt mich, dass die Bereitschaft so groß ist, dass die ,Brancheninitiative Tierwohl' zwischen Bauernverband und Lebensmitteleinzelhandel bereits im ersten Jahr ihrer Existenz zweifach überzeichnet ist."

Unterstützung erhalten die betroffenen Landwirte vom Rheinischen Landwirtschafts-Verband. "Die Landwirte, die nicht mitmachen dürfen, sind natürlich gekniffen", sagt Verbandssprecherin Andrea Bahrenberg. Sie hätten sehr viel Geld in die Hand genommen, damit die Tiere noch besser gehalten werden können. Sie unterstützt die Forderung des Bundesministers, dass der Handel finanziell nachbessern müsse - und das wäre ein Leichtes, meint sie und rechnet vor: "Wenn der Handel pro Kilo geschlachtetes Fleisch nicht vier, sondern acht Cent in den Topf zahlen würde, wäre genug Geld für alle Landwirte da." Auch der Präsident des Westfälisch-Lippischen Bauernverbandes, der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Röhring, stellt sich hinter die betroffenen Landwirte und fordert finanzielle Nachbesserungen.

Bei den Organisatoren der "Initiative Tierwohl", hinter der bereits rund 85 Prozent des deutschen Einzelhandels stehen, habe man Verständnis für die Enttäuschung der Bauern, und man arbeite bereits an einer Lösung, heißt es aus Einzelhandelskreisen. Wie die konkret aussehen könnte, ist nicht bekannt.

Dabei geht es den Bauern nicht nur ums Geld. Sie wollten der Öffentlichkeit mit der Teilnahme an der Aktion vor allem auch zeigen, dass ihnen gute Tierhaltung sehr wichtig ist - denn Kritiker werfen ihnen oftmals das Gegenteil vor. "Dass so viele Landwirte mitgemacht haben, beweist das ja", sagt Tobias Leurs (26), Schweinemastbauer aus Issum. "Wir tun wirklich alles, was wir können, damit es den Tieren gut geht, aber wir stehen in einem harten internationalen Wettbewerb und kämpfen um jeden Cent", erklärt Leurs.

So konkurrierten die rheinischen Schweinebauern auf dem Weltmarkt auch mit Landwirten aus Südamerika, die sich anders als sie kaum an Vorschriften bei der Unterbringung zu halten hätten und das Fleisch deshalb wesentlich günstiger anbieten könnten. "Viele von uns kämpfen ums Überleben - und jetzt fehlt auch noch das Geld, das sie in den Umbau ihrer Ställe investiert haben."

(jd)
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