Gewalt auf dem Amt Mitarbeiter in NRW-Behörden in Angst

Düsseldorf · Beschäftigte im öffentlichen Dienst berichten in einem internen Erfahrungsprotokoll, welcher Gewalt und Bedrohung sie täglich am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Die Sicherheitsvorkehrungen seien oft mangelhaft.

 Im Neusser Jobcenter hatte ein Arbeitsloser im Jahr 2012 eine Mitarbeiterin mit mehreren Messerstichen getötet.

Im Neusser Jobcenter hatte ein Arbeitsloser im Jahr 2012 eine Mitarbeiterin mit mehreren Messerstichen getötet.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Übergriffe auf Mitarbeiter in Jobcentern und anderen öffentlichen Ämtern sind längst keine Einzelfälle mehr. "Sie gehören zur Tagesordnung", sagt Jano Hillnhütter, Vorsitzender der Nachwuchsvertretung Deutscher Beamtenbund und Tarifunion (dbb) NRW. In vielen Einrichtungen seien die Beschäftigen den Anfeindungen schutzlos ausgesetzt. "Erst wenn etwas ganz Schlimmes passiert, verändert sich was, aber auch meistens nur in dem betroffenen Amt", sagt er.

Als Beispiel dafür nennt er den Mord im Jobcenter Neuss im Herbst 2012. Dort hatte ein Arbeitsloser eine Mitarbeiterin mit mehreren Messerstichen getötet. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden in dem Gebäude anschließend massiv erhöht. "Die Mitarbeiter in dem Jobcenter werden jetzt vorbildlich geschützt, aber dafür musste bedauerlicherweise erst jemand sterben", so Hillnhütter.

Wie gefährlich es im Alltag vieler Beschäftigter zugeht, die nicht in so gut geschützten Ämtern wie dem Neusser Jobcenter arbeiten, haben Betroffene auf einer Sicherheitskonferenz geschildert. Das interne Protokoll liegt unserer Zeitung vor. (Namen von der Redaktion geändert).

Januar 2012: Mann erschießt Staatsanwalt in Dachauer Gerichtssaal
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Svenja S., Jobcenter in Ostwestfalen Sicherheitsschulungen für das Personal würden nicht angeboten, darum müssten sich die Mitarbeiter in ihrer Freizeit selbst kümmern. Ein Alarmsystem existiere vor Ort zwar, funktioniere aber seit der Umstellung der Telefonanlage seit sechs Jahren nicht mehr. Wenn es zu Übergriffen komme, sei es den Mitarbeitern untersagt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Verena K., Beitragsservice Sie und ihre Kollegen seien fast täglich mit psychischer Gewalt konfrontiert. Beleidigungen, Beschimpfungen und sogar Bedrohungen stünden an der Tagesordnung. Auch erhielten die Beschäftigten regelmäßig die verschickte Post mit Fäkalien beschmiert zurück. Regina D. berichtet ebenfalls über vermehrte körperliche Gewalt. So habe sich vor Weihnachten ein Täter gewaltsam Zugang zum Gelände verschafft, Zäune zerschnitten, Farbbomben geworfen und mit einer Axt in der Hand die Pforte überwunden. Der Täter sei mit der Gebührenverordnung nicht einverstanden gewesen und habe seinen Unmut durch diese Tat zum Ausdruck bringen wollen würden. Weiter berichtet Regina D., dass viele Kollegen Angst hätten. Es gebe zwar einen Betriebspsychologen, der habe jedoch aufgrund der Zahl an Vorfällen viel zu tun. Eine Nachbetreuung nach Gewaltübergriffen gebe es nicht.

Doris L., Einwohnermeldeamt im Bergischen Land Wegen enormen Personalmangels bestehe teilweise eine Wartezeit von neun Stunden. Einige Bürger kämen schon nachts zum Amt, um morgens an der Reihe zu sein. Diese enorme Wartezeit führe zu großer Unzufriedenheit, weshalb es bereits Prügeleien unter den Wartenden gegeben habe und die Arbeit teilweise nur unter Polizeischutz durchgeführt werden könne. Der bestehende Notfallbutton sei derzeit außer Betrieb, und er sei nur über den Desktop am PC zu betätigen. Aufgrund des Personalmangels und aus Kostengründen würden Sicherheitsschulungen abgesagt. Derzeit sei im Einwohnermeldeamt jeder zweite Mitarbeiter erkrankt, viele psychisch.

Neusser Jobcenter-Mord: eine Chronik
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Sabine F., Finanzamt im Ruhrgebiet Sie berichtet von vielen Übergriffen und Beleidigungen gegen Kollegen, die im Vollstreckungsdienst oder in der Finanzkasse arbeiteten. Da seien viele sicherheitsrelevante Vorfälle bekannt. In den Ämtern gebe es zwar sogenannte Notfallbuttons, aber niemand wüsste so richtig, wie die funktionierten, weil es noch keine Einweisungen dafür gegeben habe. Sicherheitspersonal sei vor Ort nicht vorhanden, lediglich Pförtner im Eingangsbereich. Die könnten aber im Ernstfall nichts ausrichten. Eine Kollegin, erst seit kurzem im Außendienst der Finanzbehörde tätig, ergänzt, dass sie als junge Frau stets alleine unterwegs sei. An Seminaren zum Thema Deeskalation könne man erst nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit teilnehmen.

Karola T., Lehrerin an einer Schule im Rheinland Auffällig an Schülern sei der enorme Respektverlust gegenüber Autoritätspersonen. Im Fall von aggressiven Schülern gebe es kein Sicherheitskonzept. K. schildert einen Fall, bei dem einer Kollegin so heftig gegen den Hals getreten wurde, dass die Lehrerin für mehrere Wochen dienstunfähig gewesen sei. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit Eltern, besonders mit denen von verhaltensauffälligen Kindern, sei schwierig. Häufig gebe es in diesen Familien keinen sozialen Rückhalt. Thomas N., Auszubildender an einem Universitätsklinikum im Rheinland Das Thema Gewalt gegenüber Pflegekräften werde in der Ausbildung nicht thematisiert - obwohl es viele Übergriffe gebe. Eine Krankenschwester sei nachts einmal von Drogenabhängigen überfallen worden, die ihr den Schlüssel vom Giftschrank, in dem die Betäubungsmittel lagern, entwendet haben. Den Giftschrank hätten die Täter jedoch nicht gefunden. Am Klinikeingang gebe es lediglich einen Pförtner, jeder könne jederzeit ein und ausgehen - besonders nachts stelle das ein enormes Risiko dar.

Stefanie R., Mitarbeiterin in einem städtischen Amt am Niederrhein, Fachbereich Schule Die Zahl der Übergriffe sei gestiegen, trotzdem habe sich nichts verändert. Sie nennt ein Beispiel: Ein Asylbewerber habe eine Kollegin mit einem Tacker angegriffen. Nach dem Angriff seien die Sicherheitsvorkehrungen im Gebäude kurzzeitig erhöht worden, dann aber wieder zurückgefahren worden. Über einen Sicherheitsknopf verfüge das Amt nicht. Schulungsanfragen zum Thema Deeskalation würden vom Dienstherrn abgelehnt.

Regina N., Sozialamt Raum Aachen Dort gebe es zwar ein Sicherheitssystem, dieses melde jedoch oft Systemfehler. Über die korrekte Nutzung des Sicherheitsnotrufs gebe es eine Din-A4-lange Anleitung, etwaige Alarme müssen von den oberen Dienststellen quittiert werden. Häufig komme es vor, dass bei Notrufen nicht reagiert werde. Auf das Sicherheitspersonal könne man sich kaum verlassen, da dieses meistens nicht motiviert und schlecht ausgebildet sei.

Neusser Jobcenter-Mord-Prozess: das Urteil
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Christiane R., Zentrale Ausländerbehörde im Ruhrgebiet Sie habe bei ihrer Tätigkeit, sagt sie, dienstlich auch immer wieder mit aus dem Gefängnis entlassenen Mördern, Vergewaltigern und anderen Schwerstkriminellen zu tun. Sie werde von ihren Klienten in den Gesprächen oft bedroht und eingeschüchtert. Die Stadt, in der sie arbeitet, ignoriere die Sicherheitsprobleme.

(RP)
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