Schließung des Opel-Werkes Bochum, was wird aus dir?

Bochum · Die Schließung des Opel-Werks naht. Auf viele der knapp 3000 betroffenen Mitarbeiter wartet eine ungewisse Zukunft. Die Stadt ist solche Rückschläge gewohnt. Ein Stimmungsbericht aus einer gebeutelten Stadt.

Das Opel-Werk in Bochum - ein Rückblick
Infos

Das Opel-Werk in Bochum - ein Rückblick

Infos
Foto: dpa

In einem Eintrag auf seiner Homepage solidarisiert sich Herbert Grönemeyer mit den Opelanern. Der in Göttingen geborene und in Bochum aufgewachsene Musiker appelliert "mit ganzem Herzen", den Opel-Standort Bochum zu erhalten. Die Menschen bräuchten wieder eine Perspektive. Denn: "Opel ist Bochum, und Bochum ist Opel", schreibt der Sänger, der einst den Kadett besang. Der Eintrag ist inzwischen zweieinhalb Jahre alt - und nur noch Makulatur. In knapp einer Woche wird es heißen: Bochum war Opel, Opel war Bochum.

Am Freitag wird der letzte Zafira im Bochumer Opel-Werk I vom Band fahren. Am 12. Dezember wird die Mehrheit der Beschäftigten ihren letzten Arbeitstag haben. Mehr als 60 Jahre nach der Fertigstellung des Werks geht eine Ära zu Ende. 3000 Mitarbeiter und weite Teile der Region sind betroffen.

2012: Opel-Werk in Bochum wird 50 Jahre alt
10 Bilder

2012: Opel-Werk in Bochum wird 50 Jahre alt

10 Bilder

Gerhard Heinz (47) und Günter Bärwolf (50) stehen vor dem Tor 1 am Opel Werk I. Sie blicken auf die Hauptverwaltung, auf die Plakate, auf denen die Opelaner vor einiger Zeit noch ihren Kampfgeist zum Ausdruck brachten. "Am Anfang war da bei mir nur Wut", sagt Heinz und ergänzt: "Jetzt möchte ich einfach abschließen." Abschließen mit dem Arbeitgeber, für den er seit 1990 in der Fließfertigung malocht hat, mit dem "Laden", wie er nur noch sagt. Für den zweifachen Vater geht es ab Januar zunächst in die Transfergesellschaft. "Ich habe keine Ahnung, wo die Reise danach hingeht", sagt der gelernte Elektroinstallateur.

2012: 150 Jahre Opel-Tradition
20 Bilder

2012: 150 Jahre Opel-Tradition

20 Bilder

Günter Bärwolf ist seit 1988 Opelaner, aktuell noch in der Logistik. "Für mich war es mehr als nur ein Job", sagt der Gelsenkirchener. Er hat sich mit der Marke identifiziert, bezeichnet sich als Opel-Fan. Es sei traurig, dass solch ein Traditionswerk schließt. Er fühle sich nun wie am Ende seiner Grundschulzeit. "Es wartet ein neuer Lebensabschnitt." Wäre sein nächstes Auto wieder ein Opel? "Ich weiß nicht, ob ich in Zukunft überhaupt genug Geld haben werde für ein neues Auto." Auf Bärwolf wartet ebenfalls die Transfergesellschaft. Er möchte entweder wieder in der Logistik oder als Radio- und Fernsehtechniker im IT-Bereich, seinem alten Beruf, arbeiten.

Da 2700 Opelaner zunächst in der Transfergesellschaft unterkommen, drohen dem Arbeitsmarkt kurzfristig keine Auswirkungen. Sie würden in der Arbeitslosen-Statistik zum Jahreswechsel nicht auftauchen, sagt Luidger Wolterhoff, Leiter der Agentur für Arbeit Bochum. Langfristig könnte sich das ändern. Schnellstmöglich müssten daher eventuell fehlende fachliche Qualifikationen sichergestellt werden. Wolterhoff: "Ein Opelaner mit 50 Jahren ist einfach zu jung, um abzuwarten und dann in Rente zu gehen." 2000 Betroffene seien schon beraten worden. Wolterhoff möchte den Opelanern möglichst nur nachhaltige Jobs und damit eine echte Perspektive vermitteln - etwas, das sie bei Opel nicht mehr hatten. "Je optimistischer, engagierter und systematischer wir das angehen, desto besser wird uns das gelingen."

Die Schließung des Opel-Werkes ist nur das jüngste Beispiel einer langen Serie von Rückschlägen, die die Ruhrgebietsstadt einstecken musste. 1958 gaben die 17 Zechen in der Stadt mehr als 40 000 Beschäftigten Arbeit. 1974 wurde die letzte stillgelegt. Zusammen mit der ebenfalls Anfang der 1960er Jahre gegründeten Ruhr-Universität stand Opel für den Aufbruch in ein neues Zeitalter. Ein Werk dieser Größe wurde danach nie mehr im Ruhrgebiet errichtet. Die Hoffnungen erfüllten sich zunächst: 9300 Menschen arbeiteten auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Dannenbaum, 15 Jahre später waren es doppelt so viele Opelaner. Mindestens weitere 40 000 Arbeiter in der Zulieferindustrie lebten indirekt vom Bochumer Opel-Werk.

Im Flur vor dem Büro von Rainer Einenkel, Opel-Betriebsratschef in Bochum und Aufsichtsratsmitglied, ist die Pinnwand voll mit Solidaritätsbekundungen. Aus der Politik. Aus der Wirtschaft. Von der Belegschaft anderer Autobauer. Schreiben von Opelanern anderer Standorte fehlen. "Die Solidarität aus den anderen Werken war gleich null", sagt Einenkel. Im Überlebenskampf sei sich jeder selbst der Nächste. Die anderen Werke seien froh gewesen, dass es sie nicht getroffen habe. Auch seitens der Landesregierung hätte er sich mehr Unterstützung gewünscht. Die umliegenden Stadtspitzen, allen voran Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz, lobt er hingegen für ihre Unterstützung.

Vor sechs Jahren machte bereits Nokia ein Werk in Bochum dicht. 2200 Menschen, die dort für den finnischen Konzern Handys bauten, verloren ihre Arbeitsplätze. Im kommenden Jahr wird erneut ein finnischer Konzern ein Werk in Bochum schließen: Outokumpu, der Ende 2012 die Nirosta-Sparte von ThyssenKrupp übernommen hatte, will dann das Bochumer Edelstahlwerk schließen. Diesmal werden 450 Arbeiter betroffen sein.

Die 380 000-Einwohner-Stadt steckt all die Rückschläge überraschend gut weg. Bochum ist längst nicht mehr nur Opel, und Gewerbesteuern hat der Autobauer ohnehin schon seit Jahren kaum noch gezahlt. Nur gut einen Kilometer vom Opel-Werk entfernt wächst im Medizinpark Ruhr ein neues Industriegebiet für Biomedizin-Firmen. Mehr als 20 Unternehmen haben sich dort eingemietet und erforschen Implantat-Technologien und neue Medikamente. Auch die IT-Technologie wächst in Bochum. G Data, einer der Pioniere der Anti-Viren-Software, schwört auf das Netzwerk der benachbarten zwei Technologie-Zentren in Bochum.

Das zehn Jahre lange Bangen um das Opel-Werk hat in Bochum Spuren hinterlassen. Auch wenn viele noch immer von einer "Sauerei" sprechen - der Großteil der Bürger hat damit abgeschlossen. Auf dem Weihnachtsmarkt ist Opel gar kein Thema. Anders als der fliegende Weihnachtsmann, der zwischen der Sparkasse und dem Kortum-Karree über dem Dr.-Ruer-Platz schwebt. Schau mal da oben. Oh, wie schön.

Auch an anderen Punkten der Stadt ist Opel schon so weit entfernt wie der VfL vom Aufstieg in die Bundesliga. Vor einigen Monaten hing am Parkhaus am Kurt-Schumacher-Platz noch ein Plakat, auf dem sich unter anderem VfL-Spieler mit den Opelanern solidarisierten. Jetzt sind dort andere Plakate angebracht. Sie werben für Currywurst und eine Ü-30-Silvesterparty.

Am Opel-Werk II an der Provinzialstraße im Stadtteil Langendreer erinnert kaum etwas an den Glanz früherer Tage, als noch Aggregate für den Kadett gefertigt wurden. 2013 wurde dort letztmals ein Getriebe produziert. Heute ist der große Parkplatz fast leer. Die Verwaltung ist verwaist, ein Bagger pflügt den Vorplatz um. Die Produktionsgebäude werden abmontiert.

Solche Szenen warten auch auf das Opel-Werk I am Opelring. Es sind Szenen, die jedem Opelaner weh tun. Nach all den Jahren.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort