Schuld sind Umweltveränderungen Brieftauben finden nicht mehr heim

Schuld sind Umweltveränderungen · Die Vögel gelten als Orientierungskünstler. Sie können aus Hunderten von Kilometern den heimischen Schlag ansteuern. Doch in dieser Saison gingen bis zu 50 Prozent der Tiere bei den Preisflügen verloren. Die sich immer stärker verändernde Umwelt ist nach Experten-Ansicht daran schuld.

 Brieftauben orientieren sich mit Hilfe von Eisenmineralien in ihrem Schnabel.

Brieftauben orientieren sich mit Hilfe von Eisenmineralien in ihrem Schnabel.

Foto: AP, AP

Der Oktober ist für die 60.000 Brieftaubenzüchter in Deutschland — etwa 20.000 davon gehen in Nordrhein-Westfalen ihrem Hobby nach — eigentlich eine ruhige Zeit: Die Preisflug-Saison für Jungtauben ist im September zu Ende gegangen. Derzeit befinden sich die Tiere in der Mauser, werden geschont und bleiben meist im heimischen Schlag. Erst im nächsten Monat treffen sich die Züchter mit ihren besten Fliegern zu den großen Ausstellungen, bevor im Januar die Zucht vorbereitet wird und im März das Training für die neue Flugsaison beginnt.

Dennoch herrscht in einigen Brieftauben-Vereinen Unruhe. Viele Preisflüge endeten mit großen Verlusten. Eine extrem hohe Anzahl von Brieftauben fand den Weg in den heimischen Schlag nicht. "Ging man in anderen Jahren von Verlusten in einer Größenordnung von etwa fünf Prozent aus, so ergeben sich jetzt solche von 30, in Einzelfällen sogar von 50 Prozent und mehr", berichtet Karl Ebbers vom Verein "Luftbote" in Kranenburg-Nütterden im Kreis Kleve.

Laut Reiner Schrörs aus Nettetal-Leuth erlitten auch einige Züchter der Reisevereinigung Grenzland im Kreis Viersen Verluste bis zu 50 Prozent. Der Sonsbecker Willi Matten von der Reisevereinigung Geldern berichtet: "Normalerweise gehen zwei, drei Tauben verloren. In diesem Jahr waren es auch schon mal zehn."

Der belgische Tierarzt und Brieftauben-Experte Fernand Marien schreibt in der Fachzeitschrift "Brieftaubensport international": "Verluste unter den Jungtauben hat es zu allen Zeiten gegeben, aber längst nicht in dem Ausmaß wie zur Zeit." In der Verbandszeitschrift "Die Brieftaube" ist zu lesen: "Aus allen Teilen des Verbandsgebietes kommen Klagen über Verluste."

"Die haben total verrückt gespielt"

Reiner Schrörs vermutet, dass die zunehmenden Strahlungen durch Mobilfunksender die Orientierungsfähigkeit der Vögel beeinträchtigen. Als vor vier, fünf Jahren etwa 300 Meter von seinem Taubenschlag entfernt ein entsprechender Sender in Betrieb gegangen sei, habe er — ebenso wie ein Züchter in seiner Nachbarschaft — sofort eine deutliche Verhaltensänderung bei den Tieren festgestellt. "Die haben total verrückt gespielt", berichtet der 59-Jährige.

Dass die starke Veränderung der Umwelt durch die Strahlung moderner Kommunikationsmittel es den Brieftauben möglicherweise immer schwerer macht, den Heimweg zu finden, vermutet ebenfalls der belgische Tierarzt Fernand Marien. Auch Imker würden bereits den Verlust ganzer Bestände beklagen und hätten dafür den Begriff "Verschwindungskrankheit" geprägt.

Experten sehen aber weitere mögliche Ursachen für die zunehmenden Orientierungsprobleme der Brieftauben. Richtungswechsel bei den Preisflügen könnten den Vögeln ebenso Schwierigkeiten machen. So starten beispielsweise — seit Frankreich seine Grenzen wegen der Vogelgrippe geschlossen hat — die Züchter vom Niederrhein nicht mehr von dort aus Südwest-Richtung, sondern beispielsweise vom Raum Würzburg/Nürnberg/Passau aus Südost-Richtung.

Probleme haben die Brieftauben zudem bei bestimmten Witterungslagen (wolkenloser Himmel, große Hitze). Unklar ist auch, ob Windräder oder Sonneneruptionen die Tiere beeinflussen, die sich mit einem Sinnesorgan in ihrem Schnabel am Magnetfeld der Erde sowie zudem optisch am Stand der Sonne orientieren.

Doch auch der Sprecher des Verbandes der deutschen Brieftaubenzüchter in Essen, Klaus Kühntopp, sieht Anzeichen dafür, dass Radar oder Funksender die Brieftauben bei ihren Flügen in die Irre leiten. So hätte es bei Preisflügen während des G-8-Gipfels Anfang Juni 2007 in Heiligendamm und den damit verbundenen massiven Radar-Aktivitäten in dieser Region erhebliche Probleme gegeben, während Vögel in anderen Landesteilen ohne Schwierigkeiten in den heimischen Schlag zurückgefunden hätten. "Die Brieftauben flogen wie vor einen Vorhang und kamen nicht durch", erinnert sich Klaus Kühntopp. Ähnliche Irritationen der Tiere seien während des Irak-Krieges in der Region um den US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz zu beobachten gewesen.

Wo die Ursachen für die Orientierungsprobleme der Brieftauben auch tatsächlich liegen, mancher Züchter und Verein hat Konsequenzen aus den erheblichen Verlusten gezogen. So stellte eine Reisevereinigung aus dem Südharz bereits nach den ersten drei Flügen für Jungtauben den Wettkampfbetrieb ein. Karl Ebbers aus Nütterden ist überzeugt, man habe es mit einem Phänomen zu tun, das die Züchter womöglich nur zu einem geringen Teil zu verantworten hätten und allein auch nicht bewältigen könnten. Der Züchter macht sich Sorgen: "Die große Mehrheit der Züchter wird nicht bereit sein, Taubenzucht und -spiel fortzusetzen, wenn es in den nächsten ein, zwei Jahren erneut derart hohe Verluste gibt."

(RP)
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