Vorsitzender des Richterbundes NRW "Strafrecht nicht effektivste Lösung des Gefährder-Problems"

Düsseldorf · Unser Autor Christian Schwerdtfeger hat mit dem Vorsitzenden des Bundes der Richter und Staatsanwälte NRW, Christian Feldhoff, über Gefährder gesprochen und ob man das Strafrecht deshalb verändern sollte.

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Foto: dpa, brx rho

Wieso sind Änderungen im Strafrecht das falsche Instrument, um sogenannte Gefährder festzusetzen?

Christian Friehoff Wenn ein Straftatbestand erfüllt ist, ergeben sich sehr effektive Handlungsmöglichkeiten. Wenn es aber nur beim Verdacht bleibt, diskutiert man immer neu die Ausweitung von Strafvorschriften.

Ist das so falsch?

Friehoff Wir leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat. Das bedeutet, dass grundsätzlich alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich ausnahmsweise verboten ist. Nur die Einhaltung der wichtigsten Verbote wird durch das Strafrecht geschützt. Das ist grundsätzlich auch richtig so, da sich Freiheit in erster Linie durch Handlungsfreiheit und nicht durch die möglichst große Menge an strafrechtlichen Verboten definiert.

Was bedeutet das für den Gesetzgeber?

Friehoff Strafrecht muss stets das letzte Mittel zur Durchsetzung von Werten sein. Weicht man von dieser Grundregel ab — Populismus und Aktionismus tendieren hierzu —, gerät unser von Freiheit und Demokratie geprägter Lebensstil in ernste Gefahr. Genau das ist das Ziel der Terroristen. Strafvorschriften müssen zudem eindeutig das noch-nicht-Strafbare von dem schon-Strafbaren unterscheiden. Aber egal, wo man die Grenze zieht, wird es immer Fälle geben, die diese Grenze gerade so eben nicht erreichen.

Kann man Strafrecht nicht verändern?

Friehoff Die Lösung mag man punktuell, aber nicht grundsätzlich in einem ständigen Ausweiten dieser Grenzen suchen. Dennoch können und müssen die Ereignisse der letzten Monate für ein Nachdenken genutzt werden, ob und welche Änderungen im Strafrecht hätten helfen können. Vermutlich ist die effektivste Lösung aber im Bereich der sogenannten Gefahrenabwehr, also dem vorbeugenden Polizei- und Ordnungsrecht, nicht im zeitlich nachrangigen Strafrecht zu finden. Das Strafrecht kann seinem Wesen nach — jedenfalls in einem demokratischen Rechtsstaat — erst ganz am Schluss einer denkbaren Handlungskette greifen.

Hätte der Attentäter von Berlin denn nicht wenigstens in Abschiebungshaft genommen werden können?

Friehoff Was im Fall Amri konkret möglich gewesen wäre oder nicht, wer was versäumt hat oder nicht, dazu kann ich schon deswegen nichts sagen, weil ich den Fall nur aus der Zeitung kenne.

Unabhängig vom konkreten Fall: Wie sieht es denn generell aus mit Abschiebungshaft?

Friehoff Abschiebungshaft dient der Durchsetzung einer Ausreiseverpflichtung durch vorsorgliche Verhaftung. Inhaftierung ist in einem Rechtsstaat der wohl größtmögliche Grundrechtseingriff. Sie kann deswegen nach geltender Rechtslage nicht "auf Vorrat" vollzogen werden. Sie ist nur dann zulässig, wenn die Abschiebung in absehbarer Zeit möglich ist. Dies setzt voraus, dass geklärt ist, welcher Staat den abgelehnten Asylbewerber aufnimmt. Dazu müssen für diese Person Ausweispapiere dieses Staates zur Verfügung stehen, da er andernfalls nicht aufgenommen wird.

Aber damit kann man sich doch nicht einfach so abfinden ...

Friehoff Es bestehen vor allem faktische Probleme, weniger rechtliche: Wenn ein Staat seine Bürger verfolgt, so nimmt er Ihnen zumeist die Ausweispapiere weg, damit sie schlechter flüchten können. Von denen, die in Deutschland zu Recht Asyl beantragen, werden daher die wenigsten Papiere haben. Das wissen auch die, die keine Asylgründe vorbringen können, und werfen ihre Papiere weg.

Und das bekommen unsere Behörden nicht in den Griff?

Friehoff Mit diesem Problem werden die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Asylberechtigung noch relativ gut fertig. Unter anderem in Zusammenarbeit mit den diplomatischen Vertretungen und vor dem Hintergrund nachrichtendienstlicher Erkenntnisse können wirkliche Verfolgung und erfundene Verfolgungsgeschichten zumeist gut unterschieden werden. Bei der Abschiebung taucht das Problem allerdings wieder auf.

Das heißt?

Friehoff Anders als bei der Durchsetzung des "bürgerlichen" Hausrechtes gibt es in dieser Situation kein "vor die Tür setzen", ohne zugleich im Hoheitsbereich eines anderen Staates zu sein. Also muss die Bundesrepublik Deutschland mit dem (vermeintlichen) Herkunftsstaat die (Wieder-) Aufnahme des Abzuschiebenden abstimmen. Dabei gilt, dass der Beweis, dass die Verfolgungsgeschichte erfunden ist, noch lange kein Beweis ist, aus welchem Staat die Person kommt. Die Zusammenarbeit mit den vermeintlichen oder auch tatsächlichen Herkunftsstaaten gestaltet sich dabei oft sehr kompliziert und langwierig. Hier Verbesserungen zu erreichen, ist eine schwer zu lösende Aufgabe der bundesdeutschen Außenpolitik.

(RPO)
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