Offener Brief WDR, zeig' den Niederrhein doch so!

Dormagen · In der Comedy-Serie "Meuchelbeck" will der WDR vom Leben in der niederrheinischen Provinz erzählen. Unser Autor ist aus Uedem und fragt sich in einem offenen Brief, was die Serie mit seiner Heimat zu tun hat.

 Die pure Idylle. Auch wenn die Hohe Mühle heute anders aussieht als im 14. Jahrhundert: Ein markanter Punkt der Landschaft war sie schon immer.

Die pure Idylle. Auch wenn die Hohe Mühle heute anders aussieht als im 14. Jahrhundert: Ein markanter Punkt der Landschaft war sie schon immer.

Foto: Evers

Lieber WDR,

du hast dich dazu entschlossen, in einer fiktiven Serie vom Niederrhein zu erzählen. Grundsätzlich ist das eine Idee, die ich sehr unterstütze. Weil der Niederrhein in Film und Fernsehen deutlich unterrepräsentiert ist. Kein "Tatort" und keine andere Krimi-Serie spielt am Niederrhein. Kein Heimatfilm wurde am Niederrhein gedreht. Außerhalb des Niederrheins kennt den Niederrhein nur, wer dort weggezogen ist.

Ich bin am Niederrhein aufgewachsen, im Kreis Kleve, und ich finde, dass diese Region mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Blöd nur, dass ausgerechnet du mit deiner sechsteiligen Serie "Meuchelbeck" für diese Aufmerksamkeit sorgen willst. Denn das, was du für den Niederrhein hältst, ist kein Niederrhein. Nicht im Geringsten. Also gut, auch am Niederrhein haben die Menschen zwei Arme und zwei Beine, und auch für sie gelten die Gesetze der Schwerkraft. Aber sonst?

 Beruf verfehlt: Der Pfarrer aus Meuchelbeck entscheidet sich gerade für die Liebe.

Beruf verfehlt: Der Pfarrer aus Meuchelbeck entscheidet sich gerade für die Liebe.

Foto: WDR/Ziegler Film/Frank Dicks

"Meuchelbeck" erzählt die Geschichte von Witwer Markus, einem Enddreißiger, der nach 20 Jahren in Berlin wegen beruflicher Misserfolge wieder in sein fiktives Heimatdorf Meuchelbeck zurückkehrt. Er bringt seine Teenager-Tochter mit, die keine Lust auf die Provinz hat. Sie ziehen in die Pension, die ihm zur Hälfte gehört und von seiner Schwester betrieben wird, der eher knorrigen Mechthild.

Lieber WDR, ich habe dir drei Vorwürfe zu machen: das Drehbuch, die Fehler im Detail und die Degradierung des Niederrheins zur bloßen Kulisse.

Dass die Pension "Zum Höllentor" heißt, ist noch einer der subtileren Einfälle des Drehbuchautors, der in Duisburg zur Welt kam. Auch Niederrhein, aber städtisch. Gleich in der ersten Szene fährt Vater Markus eine Kuh an. Eine Kuh. Haha. Verstehste? Wir sind auf dem Land. Habe ich begriffen.

 Es gibt nur eine Polizistin in Meuchelbeck - und die ist in die Hauptfigur Markus verliebt.

Es gibt nur eine Polizistin in Meuchelbeck - und die ist in die Hauptfigur Markus verliebt.

Foto: WDR/Ziegler Film/Frank Dicks

Noch schneller begreife ich, dass es in Meuchelbeck nur so von skurrilen Gestalten wimmelt. Die Dorfpolizistin hat einen Waffentick, ist schon immer in Markus verliebt gewesen und beschattet ihn ohne Pause. Ein alter Mann trägt eine Puppe auf der Schulter, die seiner toten Frau nachempfunden ist. Der Pfarrer legt sich auf die Straße, um überfahren zu werden. Der Tierarzt behandelt auch Menschen und lebt mit einer Ziege zusammen. Alle haben etwas zu verbergen, eventuell sogar Mord und Totschlag. Die einzige nicht-skurrile Figur ist Julia, die Jugendliebe von Markus, mit der er sogleich wieder anbandelt. Deshalb ist die Serie nicht nur Comedy, sie ist nicht nur Mystery, sondern auch Romanze. Es ist bisher weltweit niemandem gelungen, diese drei Genres stimmig zu verbinden.

Auch die Detailfehler sind haarsträubend. Das Ortsschild ist aus Plastik, und es ist nicht einmal der Landkreis angegeben. Der Ort hat zwar keine Bank, aber ein Gymnasium, eine Polizeistation und ein eigenes Nummernschild. Jeder Ort am Niederrhein hat exakt zwei Banken, eine Volksbank und eine Sparkasse, höchstens fünf Meter voneinander entfernt. Der Ort Meuchelbeck ist nur über eine schmale Straße zu erreichen. Dabei sind breite Straßen am Niederrhein wirklich kein Problem. Das ist nicht die Eifel. Der Niederrhein ist zwar Provinz, aber man ist ganz schnell weg. Außerdem scheint Meuchelbeck wie entvölkert. Für mehr als fünf Statisten gab es wohl kein Geld.

Worauf ich hinaus will: Für den Niederrhein interessierst du dich überhaupt nicht. Nicht für seine Menschen, nicht für seine Probleme wie Landflucht und Überalterung. Der Niederrhein ist für dich bloße Kulisse. Dir war der Niederrhein so egal, dass du nicht mal dort gedreht hast. Also jedenfalls nicht dort, wo der Niederrhein eindeutig Niederrhein ist. Sondern im Dormagener Stadtteil Zons. Das ist im besten Fall niederrheinisches Randgebiet, aber alle Dormagener, mit denen ich gesprochen habe, fühlen sich nicht als Niederrheiner. Der Bürgermeister von Dormagen, Erik Lierenfeld, freut sich zwar, dass in seiner Stadt gedreht wurde, er ordnet Dormagen auch am äußersten Zipfel des Niederrheins ein, aber er sagt: "Ich fühle mich als Rheinländer."

Der Grund für den Dreh im äußersten Zipfel: "Aus Kostengründen haben wir versucht, uns nicht zu weit von Köln zu entfernen", sagt Thorsten Flassnöcker von der Produktionsfirma Zieglerfilm. Lieber WDR, du bist ein Heimatsender, aber du bringst nicht das Budget auf, um in den Kreis Kleve, Wesel oder Viersen zu fahren? Dabei spielt die Serie in der Nähe von Wachtendonk, das ist tiefster Niederrhein, knapp 70 Kilometer von Dormagen entfernt.

Das erklärt dann aber auch, warum so wenig Landschaft in der Serie zu sehen ist - weil dann der Niederrheiner rätselt: Moment mal, wo soll das denn bitte sein? Obwohl es einige Außenaufnahmen gibt, wirkt es wie ein Kammerspiel. Die Kamera ist meist nah dran, bloß nicht verraten, dass wir nur bis nach Dormagen gekommen sind. In den ersten beiden Folgen - mehr wollte ich nicht - habe ich nicht einmal den Rhein gesehen. Ich habe nicht einen Fahrradfahrer gesehen und nicht eine Pappelreihe. Ich habe ja nicht mal eine vernünftige Landstraße gesehen. Mir ist auch klar, dass du keine Doku hast drehen lassen - aber künstlerische Freiheit sollte keine Ausrede sein, sich vollständig von der Realität zu lösen.

Ich wünsche mir fast, dass am Ende der Serie herauskommt: Die angefahrene Kuh hat das ganze Geschehen nur geträumt. Und dann versammeln sich alle an einer niederrheinischen Kaffeetafel, gucken auf den Rhein und wundern sich, warum eigentlich noch niemand eine gute Serie über den Niederrhein gemacht hat.

Sendetermin Der WDR zeigt die erste Folge am Montag um 20.15 Uhr. Alle Folgen sind aber schon in der Mediathek des WDR online zu sehen.

(seda)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort