Serie "Glaube & Gewalt" (2) "Frauen darf das Kopftuch nicht aufgezwungen werden"

Düsseldorf · Im Glauben dürfe es keinen Zwang geben, sagt der Vorsitzende des Kreises der Düsseldorfer Muslime im Interview mit unserer Redaktion. Er wünscht sich einen Aufstand der Imame gegen islamistischen Terror.

 Dalinç Dereköy spricht im Interview über die Rolle des Islam in Deutschland.

Dalinç Dereköy spricht im Interview über die Rolle des Islam in Deutschland.

Foto: andreas endermann

Das Gesicht des Islam in der Landeshauptstadt ist ein junger Anwalt für Baurecht. Dalinç Dereköy (36), geboren und aufgewachsen in Düsseldorf, ist Vorsitzender des Kreises der Düsseldorfer Muslime, in dem sich 25 Moscheevereine und islamische Initiativen zusammengefunden haben — auch als Ansprechpartner für Verwaltung und Sicherheitsbehörden.

Der 2012 gegründete Kreis vertritt nach eigenen Angaben gut die Hälfte der etwa 40.000 Muslime in Düsseldorf. Er setzt sich gegen Extremismus, für muslimische Wohlfahrtspflege und Jugendarbeit ein. Er unterstützt die Seelsorge für muslimische Häftlinge und ist Mieter des muslimischen Gebetsraums im Flughafen. 2010 vertrat die Kölner Kanzlei, in der Dereköy damals tätig war, den salafistischen Verein "Einladung zum Paradies" in einer Baurechtsangelegenheit. Heute würde er ein solches Mandat ablehnen, sagt Dereköy.

Herr Dereköy, rechtfertigt der Islam Gewalt?

Dereköy Nein. Gewalt im Namen des Islam ist ein Missbrauch, ein Kidnapping. Alle muslimischen Verbände haben sich klar von Extremismus und von bestialischen Anschlägen wie in Paris zu distanzieren. Es ist wichtig, das immer wieder zu tun.

Unaufgefordert?

Dereköy Der Dönerverkäufer und beispielsweise der muslimische Student nicht. Aber wer ein Amt innehat, wer uns Muslime repräsentiert, sollte das auch unaufgefordert tun, ja.

Also ein Aufstand der Imame?

Dereköy Das wäre schön. Viele haben das nach den Anschlägen von Paris getan. Aber um wahrgenommen zu werden, müssten alle Imame gut Deutsch können.

Warum können sie das oft nicht?

Dereköy Aus historischen Gründen — es gab vor 50 Jahren hier für die Gastarbeiter keine Vorbeter. Da hat man welche zum Beispiel aus der Türkei geholt.

In welcher Sprache wird in Düsseldorf gepredigt?

Dereköy Unterschiedlich — die muslimischen Gemeinden sind nicht homogen. Unter anderem auf Deutsch, in der Ditib-Gemeinde (Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, ist der größte islamische Dachverband in Deutschland, d. Red.) zum Beispiel auf Türkisch. Unser Imam — ich gehöre zur Ditib-Gemeinde — kann leider noch nicht genug Deutsch.

Wie eng sind die Vorgaben des Religionsamts in Ankara für die Predigten der Imame hier in Deutschland?

Dereköy Vorgaben gibt es nur für die Ditib-Moscheen: keine fertigen Texte, sondern einen Rahmen — thematische Vorschläge, wie zum Beispiel jetzt nach dem Attentat in Paris.

Tut es Ihnen weh, wenn Sie die Salafisten-Prediger am Werk sehen?

Dereköy Es tut mir weh, wenn junge Leuten durch eine fehlgeleitete Interpretation des Islam zur Radikalität verführt werden. Das ist für sie, für ihre Familien und unsere Gesellschaft eine Tragödie.

Wie sieht in Ihrem Islam-Verständnis die Rolle der Frau aus?

Dereköy Sie ist vor Gott gleichwertig. Und es darf keinen Zwang geben — jede Muslima entscheidet selbst, ob sie zum Beispiel Kopftuch trägt. Wenn Frauen aber das Kopftuch aufgezwungen wird, sollten wir Muslime und auch der Staat einschreiten. Denn das hat nichts mit Glaubensfreiheit zu tun.

Kennen Sie Frauen, die Burka tragen?

Dereköy Nein. Der sunnitische Islam aus der Türkei, zu dem ich gehöre, kennt Burkas nicht.

Sie sind CDU-Mitglied. Stören Sie Kreuze in Schulen?

Dereköy Nein. Als gläubiger Mensch begrüße ich, dass religiöse Symbole im öffentlichen Raum in unserem Land gezeigt werden können.

Darf man den Propheten karikieren?

Dereköy Aus moralischer, religiöser Sicht finde ich diese Karikaturen nicht richtig. Meinetwegen dürften Karikaturisten ruhig etwas mehr Rücksicht auf gläubige Menschen nehmen. Aber als Bürger begrüße ich, dass das Grundgesetz Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit garantiert. Und persönlich schätze ich Karikaturen generell sehr. Wer glaubt, dass Karikaturen seine Rechte verletzen, muss vor Gericht ziehen.

Wie sollen wir mit den "Pegida"-Demonstrationen umgehen?

Dereköy In einer pluralistischen Gesellschaft müssen wir Ängste ernst nehmen, auch wenn sie unberechtigt sind. Darüber müssen wir reden, dabei darf nichts tabu sein. Wir Muslime sollten auch aktiv auf "Pegida" zugehen, allerdings nicht auf einschlägige Rechtsextreme von "Pro NRW" bis NPD.

Im Kreis der Düsseldorfer Muslime ist auch die lokale Vertretung der Gemeinschaft Milli Görüs Mitglied. Deren Dachverband beobachtet der Verfassungsschutz.

Dereköy Auch Milli Görüs hat sich von Gewalt im Namen des Islam distanziert. Der Kreis der Düsseldorfer Muslime hat sich ja aus dem Bekenntnis zum Grundgesetz heraus gegründet. Wir haben Milli Görüs in Düsseldorf eingebunden in eine Struktur, wie sie in unserem Staat Tradition hat. Auch der Bundesinnenminister sitzt mit Milli Görüs für den Dialog an einem Tisch, allerdings sitzen weder er noch wir mit gewaltbereiten Extremisten zusammen.

Hat der KDDM Kontakte zu Salafisten?

Dereköy Nein der KDDM hat keine Kontakte zu Salafisten. Eine Gemeinde hat zwar 2009 Pierre Vogel eingeladen, nach Rücksprache mit den Sicherheitsbehörden und der Polizei aber wieder ausgeladen. Der Verfassungsschutz — mit dem wir einen engen Dialog pflegen - hat die Gemeinde darüber aufgeklärt, wer das ist. Wir haben auch schon Spenden von salafistischen Vereinen zurückgezahlt, die wir für den von uns betriebenen Gebetsraum im Düsseldorfer Flughafen erhalten haben.

Hat der Salafismus Platz in Ihrem Arbeitskreis?

Dereköy Jede Form von Extremismus und jeden "Ismus" in diesem Sinne lehnen wir ganz klar und entschieden ab. Und wenn eine Strömung innerhalb des Islam diesen Staat und die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt, wie es Salafisten in Deutschland tun, hat sie keinen Platz bei uns.

Warum hat die Kanzlei, für die Sie damals tätig waren, 2010 den salafistischen Verein "Einladung zum Paradies" vertreten?

Dereköy Es ging damals um eine baurechtliche Frage. Mein Vorgesetzter hat mich damit beauftragt.

Würden Sie als Chef einer Kanzlei ein solches Mandat ablehnen?

Dereköy Selbstverständlich! Mit der heutigen Kenntnis über Salafisten in Deutschland auf jeden Fall. Wir Muslime müssen uns klar von solchen radikalen Verführen abgrenzen.

Frank Vollmer fasste das Gespräch zusammen.

(RP)
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