Elf NRW-Supermärkte betroffen Wieso Real und die Post ihre Kunden scannen

Düsseldorf · Die Supermarktkette Real sorgt für Aufsehen: Zu Werbezwecken werden Kunden an der Kasse von einer Kamera gescannt. Auch Märkte in NRW sind betroffen. Ein ähnliches System testet die Post bereits länger. Fragen und Antworten zu einem umstrittenen Projekt.

Wer einen Real-Supermarkt betritt und genau hinsieht, dem fällt beim genauen Hinsehen im Kassenbereich ein Schild auf: "Dieser Markt wird videoüberwacht", heißt es darauf. Klar, Ladendiebe sollen so abgeschreckt oder gegebenenfalls identifiziert werden. Doch wie jetzt erst bekannt wurde, lässt der Einzelhändler in ausgewählten Märkten schon seit Herbst 2016 die Gesichter all seiner Kunden filmen, um Daten für zielgerichtetere Werbung zu erheben. Datenschützer und Politiker üben Kritik.

Wie werden die Aufnahmen gemacht?

Eine "Blickkontakterfassung von Werbebildschirmen im Kassenbereich", nennt Real das System, welches der Werbedienstleister "Echion" aktuell testet.

Die Kameras zum Gesichtsscan sind auf Bildschirmen im Kassenbereich montiert. Auf diesen laufen Werbevideos oder Nachrichten-Programme, welche die Kunden während der Wartezeit an der Kasse unterhalten sollen. Die Bildschirme selbst sind dabei nicht neu, schon seit 2012 lässt Real auf diese Weise Werbeflächen vermarkten.

Was wird aufgenommen?

Das System soll durch Aufnahmen des Gesichts in 0,15 Sekunden Alter und Geschlecht des Kunden erkennen und speichern. Außerdem soll erfasst werden, wie lange der Kunde auf den Werbe-Bildschirm schaut. In einer Datenbank wird dann beispielsweise gespeichert: "Männlich, 25-30 Jahre alt, Werbung zehn Sekunden verfolgt". Die dafür erfassten Kundenbilder selbst werden laut einem Unternehmenssprecher "weder übertragen noch gespeichert, sondern sofort wieder verworfen". Real selbst gelange nicht an die erfassten Daten. Diese nutze ausschließlich Werbepartner "Echion".

Wie viele Filialen sind in Nordrhein-Westfalen betroffen?

Real betreibt bundesweit 283 Supermärkte, in jedem ist "Echion" als Werbedienstleister sowohl für die Marktradios als auch die TV-Bildschirme im Kassenbereich zuständig. Die Testphase läuft aktuell in 40 dieser Läden an jeweils fünf Kassen. "Wann wir die Tests beenden, ist noch offen", sagt Real-Sprecherin Ilka-Nadine Mielke unserer Redaktion.
In NRW wird in insgesamt elf Filialen getestet.

  • Dortmund-Aplerbeck
  • Bochum-Wattenscheid
  • Essen - Haedenkampstraße
  • Duisburg - Berliner Straße
  • Leverkusen
  • Sankt Augustin
  • Castrop-Rauxel
  • Köln-Porz
  • Köln-Gremberg
  • Düsseldorf-Bilk
  • Düsseldorf-Heerdt

Benutzen auch andere Unternehmen solche Systeme?

Die Deutsche Post startete bereits Ende 2016 ein identisches Testsystem. Wobei nicht die großen Filialen der Post-Tochter Postbank, sondern nur sogenannte Partner betroffen sind – kleine Läden wie Reisebüros oder Lotto-Annahmestellen. In 100 dieser Läden hat das Berliner Unternehmen "Indoor Advertising (IDA)" Kameras an den Werbebildschirmen installiert. Laut Unternehmen werden auch hier zu Werbezwecken Alter, Geschlecht und Blickdauer erhoben. "Die Testphase läuft noch bis Ende 2016 in Filialen in Berlin, Hamburg, Köln und München", erklärt Unternehmenssprecherin Sarah Preuß. Die Teilnahme an dem Projekt sei für die Partner freiwillig: "Die betroffenen Filialen wurden zuvor angefragt und ihre Zustimmung eingeholt."

Andere Handelsbereiche scheinen ebenfalls nicht abgeneigt, die Technik künftig einzuführen. Eine Sprecherin des Technikhändlers Saturn sagte Spiegel Online: "Innovative Systeme wie die Gesichtserkennung über Sensoren ermöglichen eine gezieltere Kundenansprache, wovon Händler wie Kunden profitieren können." Auf Verbraucherseite sehe man ebenfalls wenig Gegenargumente, solange der Kunde Bescheid wisse: "Je transparenter man die Kunden informiert, umso größer wird auch deren Akzeptanz sein."

Real-Konkurrent Rewe ließ eine Anfrage unserer Redaktion zunächst unbeantwortet.

Werden die Kunden über die Datenerhebung informiert?

Nicht direkt. Real hält die eingangs erwähnten Schilder mit dem Hinweis auf die Videoüberwachung im Kassenbereich für eine ausreichende Kunden-Information, teilte ein Sprecher mit.

In den Partner-Filialen der Post bleiben die Kunden hingegen komplett uninformiert. "Während der Testphase verzichten wir auf Informationen für unsere Kunden", erklärt Post-Sprecherin Preuß und begründet: "Die erhobenen Daten greifen nicht in die Persönlichkeitsrechte unserer Kunden ein. Wir erheben lediglich anonymisierte Metadaten." Für deren Erhebung sei ein Hinweis für die Kunden nicht nötig. Ob sich das bei einer flächendeckenden Einführung ändern soll, lässt die Post zurzeit offen.

Was sagen Verbraucher- und Datenschützer?

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Helga Block, erklärt über ihren Pressesprecher, eine Gesichtserfassung in Supermärkten durch Kameras zum Zweck der personalisierten Werbung werde "grundsätzlich kritisch" gesehen. Die Erfassung des Gesichts sei eine Erhebung personenbezogener Daten, egal ob der Name bekannt sei und wie lange die Daten gespeichert würden. Sie sprach zudem von einer "anlasslosen Informationserhebung mit einer großen Streubreite".

In dieselbe Richtung geht auch die Verbraucherzentrale NRW. Eine Sprecherin sagt: "Für den Fall, dass hier wirklich Gesichter zu Werbezwecken aufgenommen und analysiert werden, haben wir große Bedenken." Allerdings müsse man für eine abschließende Bewertung genauere Einblicke in die Methode erhalten.

Um diese zu bekommen, ist das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht aktiv geworden. Sie will das von Real beauftragte Unternehmen "Echion" in seinem Hauptsitz in Augsburg aufsuchen. " Wir prüfen, wie weit bei der Echion AG mit personenbezogenen Daten umgegangen wird", sagt ein Sprecher dem Westfalen-Blatt.

Wie reagiert die Politik?

Die Grünen haben im neuen NRW-Landtag eine kleine Anfrage zu dem Thema gestellt. Unter dem Titel "Einmal hin, alle Daten drin? Gesichtserkennung im Supermarkt" fragt der Bielefelder Abgeordnete Matthi Bolte-Richter: "Wie bewertet die Landesregierung den dargestellten Vorgang insgesamt in datenschutzrechtlicher Hinsicht?"

Bolte-Richter will eine politische Reaktion anregen: "Aktuell haben wir eine Lücke, es besteht keine Informationspflicht für die Unternehmen. Wir müssen aktiv werden und die Betroffenenrechte stärken", fordert der Landtagsabgeordnete.

Eine Antwort soll Bolte-Richter innerhalb der kommenden vier Wochen erhalten.

(cbo)
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