Serie Unser Rhein (Folge 21) Die Fischfanggründe vor dem Brüter

Kleve · Als eine der größten Investitionsruinen Deutschlands schrieb der Schnelle Brüter in Kalkar unrühmliche Geschichte. Heute ist das 3,6 Milliarden Euro teure, aber nie ans Netz gegangene Kernkraftwerk ein Vergnügungspark. Wo Besucher im "Wunderland Kalkar" Achterbahn fahren und Pommes essen, gingen die legendären Rheinfischer bis vor circa 100 Jahren ihrer harten Arbeit nach. Häfen wie Grieth, heute Ortsteil von Kalkar, lebten von Fischerei und Schifffahrt. Der Name Grieth geht zurück auf "Gritt", was Kies bedeutet.

 Gegenüber von Rees wurde der Schnelle Brüter gebaut. Das Atomkraftwerk ging nie ans Netz, heute ist das Gelände ein Freizeitpark.

Gegenüber von Rees wurde der Schnelle Brüter gebaut. Das Atomkraftwerk ging nie ans Netz, heute ist das Gelände ein Freizeitpark.

Foto: Stephan Kaluza/Rheinprojekt-Edition

Und eben jene Kiesbänke, die zur Rheinmitte abfallen, waren ideale Fanggebiete für die Fischer, die ihre langen Netze dort leicht auslegen und einholen konnten und meist stattliche Lachse, genannt Salme, aus dem Rhein holten. Auf Stromkilometer 834,6 befand sich eine der besten Lachsfangstellen am Rhein. In Körben mit Eisstücken wurden die schönsten Exemplare an die Herrscherhäuser und Luxushotels in ganz Deutschland geliefert.

"Zwei schwere Wintersalme, die 1881 oberhalb von Rees gefangen wurden, kamen sogar in Berlin bei der Hochzeit des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II., auf den Tisch", weiß Jutta Groot-Severt. Die Reeser Stadtführerin hat ihre Prüfung zum Niederrhein-Guide zum Thema Salmfischerei abgelegt und eine spezielle Tour namens "Salmo salar L. - Auf den Spuren des ehemaligen Brotfisches vom Niederrhein und seiner Fischer" erarbeitet. Diese wird auf Anfrage gestartet und beginnt im Reeser Museum Koenraad Bosman, wo Ölgemälde und ein Stadtmodell Aufschluss über den Jahrhunderte alten Berufsstand der Fischer geben.

Per Boot geht es weiter ins sieben Kilometer flussaufwärts gelegene Grieth, das im Jahre 1540 Mitglied im Städtebund der Hanse wurde. Die spätgotische Pfarrkirche St. Peter und Paul weist bis heute viele gestalterische Elemente aus Fischerei und Schifffahrt auf, überall in Grieth erzählen Infotafeln, wie früher in einzelnen Häusern Körbe oder Netze hergestellt wurden.

 Die Fähre "Inseltreue" verbindet die beiden Orte Grieth (linksrheinisch) und Grietherort (rechtsrheinisch).

Die Fähre "Inseltreue" verbindet die beiden Orte Grieth (linksrheinisch) und Grietherort (rechtsrheinisch).

Foto: Scholten

Direkt am Rheinufer verweilten die Fischer in schlichten Holzhütten von drei mal fünf Metern. Eine Wand trennte den Wohn- vom Schlafbereich, obenauf lagerten Taue, Netze und Werkzeuge. Ein Ofen wurde mit Kohle befeuert, die von vorbeifahrenden Schiffen im Tausch gegen Bratfische erstanden wurde. Der Ofen trocknete die nasse Arbeitskleidung, erlaubte aber auch die Zubereitung von Suppe und Muckefuck. Meist arbeiteten sechs Salmfischer gemeinsam in Tag- und Nachtschichten. Das Leben war hart, der klare Schnaps oft ein wichtiger Begleiter. Der Lachs wurde vor allem mit Flachnetzen an langen Stangen gefangen. Ein ausgefahrenes Zegennetz konnte 120 bis 200 Meter lang und vier bis acht Meter breit sein. Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein gab es im Rhein so viele Lachse, dass sie ein verbreitetes Grundnahrungsmittel waren. Allein 1885 wurden in Deutschland und den benachbarten Niederlanden 250 000 Lachse aus dem Rhein gezogen. In Kölner Herrenhäusern setzte das Personal durch, pro Woche nicht öfter als zweimal mit Lachs beköstigt zu werden.

Doch der Salmfang ging Stück für Stück nieder: Überfischung, Raubfischerei durch Aalschokker, Abwässer der Großindustrie, Ölverschmutzung durch moderne Schiffe und zunehmende Abkiesung für den Straßenbau führten zum Ende der Salmfischerei. 1952 wurde der letzte Rheinlachs der Art Salmo salar L. aus dem Niederrhein gezogen. Erst 1986 startete die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) ein Aktionsprogramm. "Lachs 2020", fortgesetzt im Programm "Rhein 2020" hat das Ziel, das Ökosystem des Rheins so zu verbessern, dass der Lachs und andere Wanderfische im Rhein in spätestens sechs Jahren wieder Wildbestände aufbauen können. Offenbar mit Erfolg: Denn bislang sind nachweislich mehr als 5000 Lachse aus der Nordsee den Rhein hinaufgewandert, um zu laichen.

Mit steigender Wasserqualität und Artenvielfalt nimmt auch die Fischerei zu. Zwar ist die Zahl der Berufsfischer weiterhin minimal, doch dafür nimmt die Zahl der Sportfischer wieder merklich zu. Gefangen werden vor allem Rotaugen, Rotfedern und Weißfische, vor wenigen Monaten biss sogar der erste Maifisch an, der im Rhein eigentlich als ausgestorben galt.

(RP)
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