Identifizierung von Toten "Der Zahnstatus ist auch bei stärkerer Fäulnis noch verlässlich"

Düsseldorf · Immer wieder birgt die Feuerwehr Leichen aus dem Rhein, um wen es sich dabei handelt, ist schwer zu klären. Stefanie Ritz-Timme, Leiterin der Rechtsmedizin an der Uni Düsseldorf erklärt, wie Wasserleichen identifiziert werden, und ob sie wirklich blaue Hautfarbe haben.

 Feuerwehr und Taucher holen eine Leiche aus dem Rhein (Archivbild).

Feuerwehr und Taucher holen eine Leiche aus dem Rhein (Archivbild).

Foto: Gerhard Berger

Was kommt am Rhein häufiger vor: Unfälle oder Tötungsdelikte?

Ritz-Timme Darüber gibt es keine Zahlen. Aber gefühlt kommen die Unfälle häufiger vor. Da sind zum einen diejenigen, die ins Wasser fallen. Das passiert vor allem Betrunkenen, die ihre Blase am Rhein leeren wollen. Dann gibt es die, die schwimmen gehen wollen und von den massiven Strömungen im Rhein mitgerissen werden. Außerdem kommt es immer wieder zu Suizid. Menschen, die von der Rheinbrücke ins Wasser springen. Natürlich kann ein Grund für eine Wasserleiche auch sein, dass ein Mensch im Wasser ertränkt wird oder die Leiche in den Fluss geworfen wird.

Oftmals ist die Identität einer Wasserleiche nur schwer zu klären. Woran liegt das?

Ritz-Timme Das hängt davon ab, wie lange sie im Wasser gelegen hat. Nach drei Stunden ist der Befund noch recht einfach. Wenn sie aber schon Tage oder Wochen im Wasser gelegen hat, wird es deutlich schwieriger, weil dann die Verwesung einsetzt. Die wiederum hängt von der Jahreszeit ab, weil warmes Wasser die Fäulnisprozesse beschleunigt. Und es kommt darauf an, wie stark die Leiche durch Einflüsse im Wasser verändert wurde. Hände und Knie können von Steinen am Boden verändert werden. Außerdem herrscht im Rhein ein reger Schiffsverkehr. Häufig werden Wasserleichen durch Schiffsschrauben verletzt. Gar nicht so selten findet man deshalb an einer Stelle etwa nur ein amputiertes Bein findet und der Rest des Körpers über die folgenden zwei Wochen in Stücken auftaucht.

 Stefanie Ritz-Timme leitet das Institut für Rechtsmedizin an der Uniklinik in Düsseldorf.

Stefanie Ritz-Timme leitet das Institut für Rechtsmedizin an der Uniklinik in Düsseldorf.

Foto: Stefanie Ritz-Timme

Wie gehen Sie in solchen Situationen vor?

Ritz-Timme Es gibt eine Vielzahl von Identifikationsmöglichkeiten. Narben und Tätowierungen gehören grundsätzlich dazu, auch wenn sie sehr unsicher sind. Wichtig ist dagegen der Zahnstatus. Denn der ist auch bei starker Fäulnis noch verlässlich.

Wie nutzen Sie den Zahnstatus?

Ritz-Timme Wenn eine Wasserleiche gefunden wird, übermitteln wir so viele Details wie möglich an die Polizei. Also Geschlecht, Größe, eventuell Haarfarbe und Alter. Dann wird geprüft, ob Personen als vermisst gelten, die auf diese Beschreibung passen. Deren Zahnstatus wird dann beim Zahnarzt erfragt und mit dem Leichengebiss abgeglichen. Hat die Leiche eine künstliche Hüfte oder ein künstliches Knie, sind darauf auch oft Seriennummern zu entnehmen, über die man die Identität feststellen kann.

DNA-Spuren nutzen Sie gar nicht?

Ritz-Timme Dafür braucht man zum einen ein sehr gutes Labor, zum anderen muss man dafür den Personenkreis einengen können. Nur, wenn die Kripo ein Indiz hat, um wen es sich handeln könnte, kann sie auch eine Vergleichs-DNA beispielsweise aus einer Zahnbürste oder von möglichen Verwandten einholen.

Was lässt sich an einer Leiche besonders schwer bestimmen?

Ritz-Timme Das Alter. Das Geschlecht ist meistens mit dem bloßen Auge erkennbar. Die Körpergröße lässt sich messen, aber das Alter ist sehr relativ. Sie wissen selbst, dass ein 30-Jähriger aussehen kann wie 50 und umgedreht. Das gleiche gilt auch für das Innere eines Menschen. Deshalb haben wir in Düsseldorf ein spezielles Verfahren entwickelt, bei dem wir uns die Aminosäuren der DNA ansehen und das Alter somit ziemlich gut bestimmen können. Wir sind damit sogar weltweit führend.

Im Film haben Wasserleichen immer eine blau-graue Hautfarbe. Stimmt das?

Ritz-Timme Nein. Wenn eine Wasserleiche recht frisch ist, ist sie gar nicht gefärbt. Wenn sie bei sehr kalten Temperaturen im Wasser liegt, dauert es auch länger, bis sich die Haut verändert. Am Anfang kommt es dann zur sogenannten Waschhautbildung. Sie kennen das auch, wenn Sie etwa lange in der Badewanne gelegen haben, dann kriegen sie schrumpelige Finger. Bei einer Wasserleiche verändern sich die ganzen Hände entsprechend. Es kann auch sein, dass ihnen die Fingernägel ausfallen. Als nächstes fault die Leiche. Das passiert, weil die Bakterien, die wir im Darm haben, nach dem Tod austreten und sich über den Blutweg im Körper verteilen. Das geht sehr schnell und verursacht tatsächlich eine grünliche Hautfarbe.

Werden noch andere Dinge in Krimiserien falsch dargestellt?

Ritz-Timme Tatsächlich vieles. Oftmals denke ich, dass gerade die spannenden Sachen nicht berücksichtigt werden. 2017 gab es im Tatort Köln eine Serie von Rheinleichen. Wir haben diese Fälle analysiert und festgestellt, dass vieles falsch dargestellt wird. So wurde zum Beispiel behauptet, man würde an einer mit Wasser gefüllten Lunge erkennen, dass ein Mensch im Wasser gestorben ist. Das ist allerdings Unsinn. Denn die Lunge füllt sich auch dann mit Wasser, wenn die Leiche erst nach dem Tod in den Rhein gelegt wurde. Das passiert ja ganz automatisch.

Aber es gibt ein Erkennungszeichen dafür, dass ein Mensch durch Ertrinken gestorben ist?

Ritz-Timme Nicht immer, aber oft bildet sich ein sogenannter Schaumpilz vor dem Mund. Das ist eine richtige Schaumblase, die entsteht, wenn Wasser aktiv eingeatmet wird und in Kontakt mit der Bronchialschleimhaut gerät. Durch das heftige Schütteln der Bronchien beim ruckartigen Atmen kommt es zu einem chemischen Prozess bei dem sich eiweißhaltiges Sekret und Wasser vermischen. Das Gemisch tritt dann aus Nase und Mund aus.

Wie prüfen Sie, ob es sich um einen Unfall handelt oder um einen Mord?

Ritz-Timme Dafür klären wir verschiedene kriminalistische Fragen: Sind an der Leiche Verletzungen zu erkennen? Und wurden sie noch zu Lebzeiten oder erst nach dem Tod zugefügt? War der Mensch noch lebendig oder schon tot, als er ins Wasser kam? Und wie lange lag die Leiche schon im Wasser? Das ist gar nicht so einfach zu bestimmen, weil es sehr stark von Umweltfaktoren abhängig ist. Aber es gibt eine Tabelle von einem Düsseldorfer Professor, der an über 200 Rheinleichen dokumentiert hat, welche Veränderungen sich je nach Liegezeit, Wasserbeschaffenheit und Klimatemperatur an einer Leiche ergeben. Das war in den 70er Jahren, aber sie ist heute noch aktuell.

Stimmt es, dass Wasserleichen besonders schlimm riechen?

Ritz-Timme Das ist eine sehr subjektive Interpretation. Es hängt davon ab, wie lange eine Leiche schon im Wasser gelegen hat. Nach einem Tag riecht sie genauso wie eine Leiche, die an der Luft gelegen hat. Aber man darf sich da nichts vormachen. Eine Leiche, die lange in einem Zimmer gelegen hat, riecht auch nicht gerade gut. Je länger der Tod zurückliegt, desto stärker riecht eine Leiche. Es ist nur so, dass Leichen im Wasser oft erst später gefunden werden. Das ist ja auch der Grund, warum sie überhaupt ins Wasser geworfen werden.

Stimmt es denn, dass man eine Leiche im Wasser besonders gut verschwinden lassen kann?

Ritz-Timme Es ist so: Entgegen dem, was man in den meisten Filmen sieht, treiben Leichen nicht an der Wasseroberfläche. Sie bleiben ja auch nicht an der Wasseroberfläche, wenn Sie aufhören, Schwimmbewegungen zu machen. Leichen gehen also zunächst im Wasser unter und verschwinden, das stimmt. Allerdings setzen auch im Wasser Fäulnisprozesse ein. Hat sich im Körper so viel Fäulnisgas wie Körpergewicht angesammelt, bekommt die Leiche Auftrieb und taucht wieder an der Wasseroberfläche auf. Allerdings tut sie das meist an einem ganz anderen Ort, weil die Strömung sie inzwischen mitgerissen hat. Diese Leichen stinken dann allerdings wirklich.

(ham)
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