Urteil zu Diesel-Fahrverboten Schluss mit Augen zu und durch!

Meinung | Berlin · Diesel-Fahrverbote in Städten sind grundsätzlich zulässig. Dieses Gerichtsurteil ist mutig und angemessen. Jetzt ist es aber wichtig, dass die Politik Druck auf die Autobauer macht. Die Konzerne müssen betroffenen Autofahrern eine kostenlose Hardware-Nachrüstung anbieten.

 Ein langer Stau in Stuttgart. (Archiv)

Ein langer Stau in Stuttgart. (Archiv)

Foto: dpa, mut cul

Millionen Halter von älteren Dieselautos müssen damit rechnen, künftig nicht mehr in die Innenstädte Düsseldorfs, Stuttgarts und anderer Großstädte fahren zu dürfen. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist der Weg für Diesel-Fahrverbote in über 50 deutschen Städten grundsätzlich frei. Nur für Fahrzeuge mit der Euro-5-Abgasnorm wird es eine Übergangsfrist bis zum 1. September 2019 geben.

Für alle anderen älteren Dieselfahrzeuge sind Fahrverbote schon deutlich früher möglich. Wenn die Länder ihre Luftreinhaltepläne der neuen Rechtslage angepasst haben und Fahrverbote in den Kanon ihrer Instrumente aufgenommen haben, können Fahrverbote verhängt werden — das könnte für ältere Dieselfahrzeuge noch im Laufe dieses Jahres sein.

Eine mutige Entscheidung

Das Leipziger Urteil ist eine mutige, folgerichtige und angemessene Entscheidung. Mutig, weil Fahrverbote mehrere Millionen Verbraucher betreffen, weil sie Hemmnisse und Einbußen für die lokale Wirtschaft, den Handel und die Autoindustrie bedeuten. Dass auch die Anleger an den Börsen diese Bedeutung sehen, zeigte der massive Verlust der Autowerte an den Börsen sofort nach dem Urteil. Folgerichtig ist die Entscheidung, weil der Schutz der Gesundheit schwerer wiegt als die Interessen der betroffenen Autofahrer und der Wirtschaft. Angemessen ist das Urteil, weil es zumindest für Euro-5-Fahrzeuge eine Übergangsfrist und auch Ausnahmen für das Handwerk, Lieferanten und Anwohner vorsieht.

Um zu verhindern, dass jetzt ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen in den Städten entsteht, ist der Druck auf die mögliche große Koalition, zu einer bundeseinheitlichen Regelung zu kommen, immens gewachsen. Bisher lehnen Union und SPD die "Blaue Plakette" noch ab. Sie ist im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen. Diese Haltung der Verweigerung — nach dem Motto: Augen zu und irgendwie durch — ist der Koalition ab sofort nicht mehr möglich. Zu Recht fordert der Städtetag die Einführung der "Blauen Plakette". Zwei Argumente dafür sind nicht zu entkräften: Erst durch die "Blaue Plakette" auf den Windschutzscheiben werden Fahrverbote für die Polizei überhaupt kontrollierbar. Und nur mit der Plakettenpflicht gäbe es bundeseinheitliche Regeln. Der Aufwand für die Verkehrsteilnehmer ließe sich damit auf den Erwerb der Plakette begrenzen, sie müssten im Alltag nicht mit bösen Überraschungen rechnen.

Alte Diesel verlieren massiv an Wert

Das Urteil trifft vor allem Dieselfahrer, von denen viele erst vor wenigen Jahren oder Monaten im guten Glauben ein Fahrzeug mit der Euro-5-Norm erworben haben. Ihr Fahrzeug verliert jetzt nicht nur an Wert, sie müssen eben auch mit Behinderungen rechnen. Es ist jetzt dringende Aufgabe der Bundesregierung, die Autoindustrie zu zwingen, diesen Autofahrern die kostenlose Hardware-Nachrüstung ihrer Fahrzeuge anzubieten und zu ermöglichen. Die Industrie hat nicht nur zu lange auf die Dieseltechnologie und zu starke Motoren gesetzt. Sie hat die Öffentlichkeit zudem getäuscht, indem sie Schummel-Software in den Fahrzeugen verwendete. In die Erforschung von Dieseltechnik mit geringeren Abgaswerten investierten sie zudem insgesamt fahrlässig wenig.

Die Autohersteller haben trotz des Dieselskandals zuletzt wieder enorme Gewinne erzielt. Sie werden sie verwenden müssen, um geschädigte Dieselfahrer in Deutschland und Europa nicht allein auf dem Schaden sitzen zu lassen. Es wäre ein Armutszeugnis der neuen Bundesregierung, wenn am Ende doch wieder fast nur die Steuerzahler für den Schaden aufkommen müssten, den die Industrie aktiv und die Politik durch Nichtstun verursacht haben.

(mar)
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