Tochter von türkischen Gastarbeitern aus Neuss Wie Dilek Gürsoy Herz-Chirurgin wurde

Neuss · Sie war die erste Frau in Europa, die einem Patienten ein komplettes Kunstherz einsetzte. Die Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie aus Neuss gehört zu Deutschlands besten Herzchirurgen. Am Donnerstag wird sie die Kanzlerin treffen.

 Dr. Dilek Gürsoy.

Dr. Dilek Gürsoy.

Foto: daniel elke/privat

Dr. Dilek Gürsoy (40), die Tochter eines türkischen Gastarbeiter-Ehepaares, spricht nicht über Integration. Sie ist integriert. Sie sitzt in der September-Sonne vor einem Café, schaut auf das Quirinus-Münster, das Wahrzeichen von Neuss, und erzählt aus ihrem Leben: geboren in einem von Neusser Nonnen gegründeten Krankenhaus, eingeschult in die Martin-Luther-Grundschule, Abitur am Quirinus-Gymnasium, Medizinstudium in Düsseldorf, Assistenz-, Fach- und Oberärztin im Team von Professor Dr. Reiner Körfer (75). Dilek Gürsoy ist deutsche Staatsbürgerin und darf am Sonntag wählen.

Mit dem angesehen Herzchirurgen Körfer ging sie von Bad Oeynhausen über Essen nach Duisburg. In ihrer Körfer-Zeit stieg die Neusser Transplantationschirurgin zur ersten Frau in Europa auf, die einem Patienten ein komplettes Kunstherz einsetzte. Auch heute noch macht Dilek Gürsoy in einem Forschungsprojekt von Körfer mit, der seine Schülerin gern mit den Worten vorstellt: "Diese Doktorin ist meine Beste . . ." Forschungsziel ist ein Kunstherz, das für die Stromversorgung und die Steuerung nicht mehr ein Kabel benötigt, das aus den Körper hinausführt. Das System habe, so Gürsoy, in der Entwicklung das Stadium der Tierversuche erreicht.

Heute trifft Dilek Gürsoy die Kanzlerin, um mit ihr über ihren Alltag am Operationstisch und ihre Forschungsarbeit zu sprechen. Am Rande eines Wahlkampfauftrittes in Neuss ist Angela Merkel neugierig auf die Frau geworden, die sich als türkisches Arbeiterkind in der vermeintlich reinen Männerwelt der (Transplantations-)Chirurgen durchsetzt. "Es ist nicht immer leicht", sagt die temperamentvolle Gürsoy selbstbewusst, "aber mit Können und mit meinem Charme schaffe ich das."

"In Neuss habe ich mein Glück gemacht"

Sie wollte ihren medizinischen Horizont erweitern. Darum wechselte sie im Herbst des Vorjahres nach Bremen. Dort operiert sie als Oberärztin jeden Tag im Krankenhaus Links der Weser. Neuer Chef, neue Kollegen, neues Denken, neue Strukturen, neue Instrumente. "Das hat mir gut getan", sagt Dilek Gürsoy, die an der Weser längst die Probezeit überstanden hat, sich wohlfühlt, aber zu Hause ist am Rhein. Sie liebt die Wochenenden in ihrer Wohnung in der Neusser Altstadt, sie liebt ihre Heimatstadt, und sie kann sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben: "In Neuss habe ich mein Glück gemacht." Und bis Mönchengladbach ist es nicht weit. Die 40 Jahre alte Ärztin ist Fußball-Fan. Ihr Herz schlägt für die Borussia. Sie hat eine Dauerkarte, und sie ist Vereinsmitglied.

Zu ihrem bemerkenswerten Lebensweg gehören die Eltern, die es "zugelassen haben, dass ich Glück habe". Dilek lernte im Kindergarten die deutsche Sprache und begegnete dort dem Ehepaar Bisping, das ihr als aufmerksamer Lotse in der deutschen Welt, in der Neusser Gesellschaft diente. Ihre Mutter habe als Kind keine Schule besuchen dürfen, habe sich selbst etwas Lesen und Schreiben beigebracht, erzählt Dilek Gürsoy. Als der Vater Ende der 1980er Jahre am plötzlichen Herztod verstarb, war die Mutter alleinerziehend.

Der Arbeit wegen waren die Eltern 1969 nach Neuss gekommen. Seit 45 Jahren steht Mutter Zeynap bei Pierburg am Fließband, war schon dabei, als die Pierburg-Frauen vor 40 Jahren für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit streikten. Tochter Dilek studierte als Einzige. Ihre beiden Brüder haben in Mönchengladbach und in der Türkei ihr Auskommen.

"Was wir schaffen, ist Kunst"

Dilek Gürsoy war nicht besonders gut in der Schule. Aber sie wollte Ärztin, sie wollte Chirurgin werden. Das stand für sie schon als Kind fest. Warum, weiß sie nicht: "Ich hatte nie etwas anderes im Kopf!" Dem Vorurteil, Chirurgen seien Metzger, widerspricht sie energisch: "Was wir schaffen, ist Kunst, ist Kunsthandwerk. Es gibt nichts Schöneres als ein schlagendes Herz." Die Herzchirurgie sei unblutiger als die allgemeine Chirurgie und überhaupt: "Ich empfinde unsere Arbeit als absolut ästhetisch."

Immer wieder sagt Dilek Gürsoy Sätze, die aufhorchen lassen: "Ich will Gutes tun, denn Gott hat mir die Hände dafür gegeben, Leben zu retten." Der Glaube sei für sie das Wichtigste. Sie faste und bete zwar nicht täglich, aber sie lade dafür im Ramadan regelmäßig zum Fastenbrechen und Opferfest ein. Die Muslimin geht aber auch in den Kölner Dom oder ins Quirinus-Münster, um eine Kerze anzuzünden: "Das gehört zu meinem Leben ebenso dazu."

Und am liebsten würde Dilek Gürsoy in Neuss arbeiten, "weil ich der Stadt und den Menschen so dankbar bin, dass ich in Neuss so viel Glück haben durfte". Aber die Krankenhäuser in Neuss haben (noch) keine Herzchirurgie.

(-lue)
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