Selbst ernannte "Bürgerwehr" Neonazis gehen in Dortmund auf Streife

Dortmund · Als selbst ernannte "Bürgerwehr" patrouillieren Rechtsradikale auf Dortmunds Straßen. Ihr Erkennungszeichen sind gelbe T-Shirts mit der Aufschrift "Die Rechte - Stadt Schutz Dortmund". Ein Gericht verhinderte eine Verbotsverfügung.

Sie sagen, sie seien vom "Stadtschutz Dortmund" und wollten nur mal nach dem Rechten schauen. Als selbst ernannte Ordnungshüter gehen Neonazis in Dortmund auf Streife - neuerdings auch im Öffentlichen Nahverkehr. Dabei treten sie auf wie Kundenberater, fragen die Fahrgäste, vorwiegend ältere Menschen, ob sie sich sicher fühlten. Es habe ja in letzter Zeit so viele Übergriffe und Bedrohungen in Dortmunder Bussen und U-Bahnen geben, argumentieren sie. Die Rechtsradikalen, allesamt Mitglieder Partei "Die Rechte", treten bei ihren Streifengängen einheitlich auf, tragen demonstrativ gelb-schwarze T-Shirts, die Vereinsfarben von Borussia Dortmund - eine bewusste Provokation.

Stadt: Patrouillen sind "PR-Gag"

Die Stadt Dortmund beobachtet die Entwicklung mit Sorge, warnt aber davor, die Sache zu hoch zu hängen. Die Nazi-Patrouillen seien nicht mehr als ein "PR-Gag", heißt es im Rathaus. "Die Rechten wollen mit solchen Aktionen nur in die Öffentlichkeit kommen", sagt ein Stadtsprecher. Die Polizei geht allerdings hart gegen den "Stadtschutz" vor. Man dulde keine Bürgerwehr, schon gar keine rechtsextremistische, heißt es im Dortmunder Polizeipräsidium. Doch verbieten kann die Polizei die Streifen der Biedermänner in den gelben T-Shirts nicht. Eine Verbotsverfügung scheiterte vor Gericht. Polizeipräsident Gregor Lange hatte in den Hemden eine Uniformierung gesehen. Der Richter nicht. Ihn erinnerten die T-Shirts eher an die, die bei Junggesellenabschieden getragen werden.

Die Stadt Dortmund gilt bundesweit als eine Hochburg des Rechtsradikalismus. Innenminister Ralf Jäger (SPD) erklärte mal, dass es in dieser Stadt die landesweit dichteste rechtsextremistische Szene gebe, die durchsetzt sei mit Kriminellen. Die Keimzelle rechten Gedankenguts liegt ausgerechnet in Dorstfeld, einem jener multikulturellen Viertel, in denen Eltern eigentlich nicht mit der Sorge hinter den Gardinen hervorspähen müssen, ihren Kindern könnte beim Spielen auf der Straße etwas zustoßen. Die Menschen kennen sich, achten aufeinander.

Dorstfeld liegt im Westen der Stadt, sechs U-Bahn-Stationen vom Hauptbahnhof entfernt. Am Wilhelmsplatz, dem Ortskern, gibt es ein italienisches Eiscafé, einen türkischen Supermarkt und internationale Imbissbuden. Neben dem Platz erinnert ein jüdisches Mahnmal an die alte Synagoge. Auf der Inschrift ist zu lesen: "Die jüdischen Menschen wurden von 1933 bis 1945 verschleppt und ermordet. Vergiss es nicht!"

Zwei Dortmunder Straßen fest in Neonazi-Hand

Doch nur zwei Häuserblocks weiter würden einige Anwohner dieses Denkmal am liebsten abreißen lassen. Denn die, die dort wohnen, gehören der militantesten Neonazi-Szene Deutschlands an. Zwei Straßen sind fest in ihrer Hand. Die Extremisten haben diesen von Migranten geprägten Ortsteil zu ihrem "national befreiten" Kiez erklärt - unabhängig davon, dass der Großteil der Bewohner das ganz anders sieht. Wer das aber öffentlich sagt, läuft Gefahr, bedroht zu werden, sagen Anwohner. Das gilt auch für kritische Journalisten. So wurde etwa ein Autor von Neonazis mit Steinen beworfen und bedroht. Zudem wurden im Internet falsche Todesanzeigen von Journalisten verbreitet. Bei den Dreharbeiten zu einem "Tatort"-Krimi in Dortmund, bei dem es um Rechtsextremismus ging, fühlten sich Schauspieler bedroht.

Im vorigen Jahr zog Dortmund dann alle Blicke auf sich, als in der Nacht nach der Kommunalwahl vom 25. Mai Rechtsradikale vor das Dortmunder Rathaus marschierten und es zu stürmen versuchten. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei und Gegendemonstranten, bei denen zehn Personen verletzt wurden. Bei den Krawallen mit dabei: Siegfried Borchardt, Mitglied der Partei "Die Rechte" und in einschlägigen Kreisen auch "SS-Siggi" genannt. Er konnte bei der Wahl einen Sitz im Stadtrat erobern, den er aber schon bald darauf wieder aufgab.

Wenig später machte die Partei erneut von sich reden, als sie von der Stadtverwaltung eine Übersicht anforderte, wo überall im Stadtgebiet Juden leben. Anfang des Jahres zogen die Neonazis mit Fackeln vor eine Flüchtlingsunterkunft. "Sie tauchen in der Regel da auf, wo eine Unterkunft steht", sagt ein Stadtsprecher.

"Man sieht die Probleme da unten nicht"

Von seinem Balkon im 13. Stock seiner Wohnung in Dorstfeld hat Erwin K. einen wunderbaren Ausblick. Auf das Stadion von Borussia Dortmund, den Fernsehturm und die Dächer der Stadt. "Fällt Ihnen etwas auf?", fragt der 86-Jährige. "Von hier oben sieht alles so friedlich aus. Man sieht die Probleme da unten nicht." Mit Problemen meint er auch die Neonazis, von denen welche bei ihm im Hochhaus wohnen.

Er sei aber zu alt und zu schwach, um gegen sie noch etwas zu unternehmen. Wenn sie aber bei ihm an der Tür klopfen würden, um nach dem Rechten zu fragen, würde er sie zum Teufel jagen. "Man muss was tun. Ich habe noch selbst miterlebt, wozu das führen kann, wenn man die Nazis unterschätzt."

(RP)
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