Nach massiver Kritik Essener Tafel verteidigt Aufnahmestopp für Migranten

Berlin · Der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, hat den umstrittenen Aufnahmestopp für Migranten verteidigt: "Ich stehe dazu." Der Sozialverband Deutschland sieht hinter dem Essener Fall ein größeres Problem.

 Menschen stehen bei einer Tafel an, um Essen anzunehmen (Archivbild).

Menschen stehen bei einer Tafel an, um Essen anzunehmen (Archivbild).

Foto: dpa, cas wie

Es sei im Tafel-Vorstand lange diskutiert worden über den Entschluss, abgesehen von den bisherigen Kunden vorerst keine weiteren Migranten neu aufzunehmen, sagte Sartor am Freitag in Essen. "Wir wollten erreichen, dass der Weg in die Tafel für alle wieder offen ist", sagte Sartor. Zuletzt seien aber weniger Alleinerziehende und Rentner gekommen. Der Aufnahmestopp sei nur eine vorübergehende Maßnahme, "wahrscheinlich nicht über den Sommer hinaus".

Mit dem Schritt hatte die Hilfsorganisation für Bedürftige nach eigenen Angaben die Konsequenzen aus einem steigenden Migrantenanteil beim Kundenandrang gezogen. Von Wohlfahrtsverbänden, anderen Tafeln und aus der Politik hatte es Kritik gegeben. Sartor sagte dagegen, die Reaktionen, die er erhalte, seien zu 80 Prozent positiv.

Die Entscheidung der Essener Tafel stößt bundesweit auf Kritik und Unverständnis. Auch Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach von einem falschen Weg. Die Arbeit der Tafeln zeichne sich durch den Gedanken der Nächstenliebe und Barmherzigkeit aus. "Und Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennen grundsätzlich keine Staatsangehörigkeiten", sagte Laumann. Bei großem Andrang müssten Kriterien gefunden werden, wie begrenzte Mittel verteilt werden könnten. "Ob die Staatsangehörigkeit hier das richtige Mittel ist, daran habe ich persönlich Zweifel", kritisierte der Minister.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hat den Aufnahmestopp für Migranten bei der Essener Tafel kritisiert, Ursache für den Andrang seien aber unzureichende staatliche Leistungen. "Ganz klar ist, was die Essener Tafel macht, ist nicht richtig. Aber dahinter steht ein größeres Problem", sagte der Leiter Sozialpolitik des NRW-Verbandes, Michael Spörke.

"Die Tafeln sind Lückenbüßer dafür, dass staatliche Leistungen nicht reichen", sagte Spörke. Der Andrang sei deshalb groß. Die Menschen hätten dabei Ängste, wenn sie anstehen. "Das Eigeninteresse ist hoch, etwas zu bekommen." Ängste bei Älteren seien nachvollziehbar.

Dem Paritätischen Gesamtverband zufolge laufe die Maßnahme der Essener Tafel auf eine "ethnische Diskriminierung hinaus und ist völlig inakzeptabel", erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider am Freitag in Berlin. Diese Praxis müsse sofort beendet werden. Es gebe genug andere Beispiele in der Praxis, wie man in einer solchen Situation auch anders agieren könne.

"Hilfe für Menschen in Not von Herkunft und Ethnie abhängig zu machen - das geht gar nicht", fügte Schneider hinzu. Offensichtlich sei der von ehrenamtlichem Engagement getragene Verein angesichts einer großen Zahl an Bedürftigen überfordert. Auch die Politik, sowohl kommunal als auch auf Bundesebene, sei nun in der Pflicht: "Die Verantwortlichen vor Ort, Tafel, Kommune, nach Möglichkeit auch die Wohlfahrtsverbände, müssen sich umgehend an einen Tisch setzen und Maßnahmen erarbeiten, wie die Situation in Essen gelöst werden kann."

Der Vorsitzende des Dachverbands Tafel Deutschland, Jochen Brühl, sagte im ARD-"Morgenmagazin", der Essener Fall zeige die "Hilfslosigkeit und Überforderung" von Tafeln. Not und Bedürftigkeit stünden bei den Tafeln immer im Vordergrund, nicht die Herkunft. In Essen sei kein Rassismus am Werk, sondern "da wird gerade die Notbremse gezogen", sagte Brühl unter Verweis auf die Tatsache, dass 75 Prozent der Kunden dort Migranten seien. Er halte dies nicht für den richtigen Weg, vielmehr müssten Gespräche darüber geführt werden, wie das Problem gelöst werden könne.

Nach den Grundsätzen des Dachverbandes "Tafel Deutschland e.V." sei die Hilfe der gemeinnützigen Essensausgaben für alle gedacht, die dieser Unterstützung bedürften, sagte die Vorsitzende der Berliner Tafel, Sabine Werth. "Für die Berliner Tafel gibt es keine Bedürftigen erster oder zweiter Klasse."

Ähnlich äußerten sich auch andere Landesverbände der Tafeln, etwa in Niedersachsen, Bremen und Hessen. "Wir sind für alle Bedürftigen da, egal welche Hautfarbe oder Nationalität sie haben", sagte auch der Thüringer Landesvorsitzende Nico Schäfer am Freitag. Der Paritätische Wohlfahrtsverband in NRW kritisierte die Entscheidung ebenfalls. "Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Tafeln unter großem Druck stehen und ihre Ressourcen im Blick haben müssen", sagte Landesgeschäftsführer Christian Woltering am Freitag. "Aber Maßnahmen wie ein Aufnahmestopp sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten".

Es widerspreche den Grundsätzen der Tafeln in Deutschland, die Essensvergabe an die Staatsangehörigkeit zu koppeln, teilte der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) mit.

(lsa/dpa)
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