Eltern töteten Bekannten der Tochter Urteil im Prozess um "Facebook-Mord" erwartet

Eschweiler/Aachen · Ein Ehepaar aus Eschweiler, das einen Mann getötet haben soll, der ihrer Tochter via Facebook zwei Nachrichten geschrieben hatte, steht in Aachen vor Gericht. Am Dienstag wird das Urteil erwartet. Gerechnet wird mit lebenslanger Haft wegen Mordes.

 Der Prozess findet in Aachen statt.

Der Prozess findet in Aachen statt.

Foto: dpa, mb mhe vfd

Als Karl-Heinz H. das erste Mal in seinem Leben einen Schwurgerichtssaal betrat, tat er das betont breitbeinig. Das Kreuz durchgedrückt, die Schultern hochgezogen, schaute er demonstrativ in die Zuschauerreihen und zwinkerte einem der Mitangeklagten verschwörerisch zu. Seine Körpersprache sagte: "Uns wird hier nichts passieren", so wie ihm, Karl-Heinz H., schon zuvor in diversen Gerichtssälen kaum etwas passiert war. Damals, am 9. Februar, strahlte Karl-Heinz H. enormes Selbstbewusstsein aus, von dem am Ende der Verhandlung nicht mehr viel übrig geblieben ist. Am Dienstag wird er sehr wahrscheinlich wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Für zwei Familien aus Eschweiler ist seit dem 14. August 2015 nichts mehr so, wie es mal war. An diesem Tag hat Karl-Heinz H. (39) zusammen mit seiner Frau Nadine (31) den damals 29-jährigen Christian L. in eine Falle gelockt und mit sieben Messerstichen erstochen. Es war der Tiefpunkt im Leben der Familie H., das über Jahre von Gewalt, Alkohol und Drogen geprägt war, auch von Karl-Heinz H.s wirklich vielen Vorstrafen. Der Auslöser für die Tat war letztlich ein falscher Verdacht. Unter den vielen Leidtragenden dieser Tragödie sind neben den Angehörigen des Opfers auch die Kinder der H.s — eine Tochter (13) und ein Sohn (10). Sie leben jetzt im Heim.

Die Staatsanwaltschaft sieht es seit Prozessbeginn als erwiesen an, dass Karl-Heinz und Nadine H. den Mord gemeinsam geplant haben, zusammen mit einem Freund der Familie, dem 26-jährigen Sven L. Zwei weitere Personen sind wegen Beihilfe angeklagt: der Ex-Schwager von Karl-Heinz H., Michael H. (42), der während der Tat auf die Kinder der H.s aufpasste, und Marlene M. (38), eine Ex-Freundin von Karl-Heinz H., die das Opfer mit sexuellen Versprechungen zum Tatort lockte.

Die Beweislage ist erdrückend, alles, was tatrelevant ist, wurde gefunden und identifiziert: das lange Messer, der Sägedraht, Schlagstock und -ring sowie die meisten Kleidungsstücke. Auch, wer wie und wann in die Planung eingebunden war, ist auf den Smartphones der Täter und Mittäter ziemlich genau dokumentiert. Einzig das Motiv für diesen Mord ist nach wie vor kaum zu fassen — denn auch nach 13 Verhandlungstagen und fast 30 Zeugenvernehmungen kann eigentlich niemand genau sagen, warum ausgerechnet Christian L. sterben musste.

Seine Mörder waren auf Rache aus, aber er, der einfach nur eine Freundin in seiner Heimatstadt finden wollte, hatte nichts von dem getan, was sich in ihren Köpfen festgesetzt hatte. Das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis in diesem Mordprozess, der drei Monate lang vor dem Aachener Landgericht verhandelt wurde: Das Verbrechen, dem Christian L. zum Opfer fiel, war sinnlos.

Die Angeklagten schweigen dazu, wie überhaupt zu allem. Fragen nach dem Wieso, Weshalb, Warum konnte sich der Vorsitzende Richter Arno Bormann sparen, sie wären nicht beantwortet worden. Lediglich über die Anwälte wurden Erklärungen abgegeben. Die von Karl-Heinz H. war trotzdem so etwas wie ein Geständnis. Er sei fest davon überzeugt gewesen, dass Christian L. seine damals zwölfjährige Tochter bei Facebook sexuell belästigt und von ihr Nacktfotos bekommen habe. Er habe diesen Mann bestrafen, aber niemals töten wollen. Als er auf sein Opfer traf, habe er dann "jegliche Kon­trolle" verloren. Seine Tat bedaure er zutiefst.

Die Sache mit den Nacktfotos hatte es ja tatsächlich gegeben, Anfang 2015. Vielleicht, weil die Eltern ihr Kind bei Facebook mit dem Profil einer 22-Jährigen angemeldet hatten. Eine Person namens "Binana" hatte die Tochter belästigt und massiv unter Druck gesetzt und so ein oder mehrere Nacktfotos von ihr erhalten. Die Mutter, Nadine H., hatte Anzeige gegen Unbekannt erstattet, doch die Ermittlungen waren im Juli eingestellt worden. Wer "Binana" ist, ist bis heute nicht geklärt. Aber definitiv war es nicht Christian L.

Doch dann schrieb Christian L. am 30. Juli die Tochter der H.s zwei Mal auf Facebook an: Um 9.46 Uhr schrieb er "Wie geht‘s Dir" und um 23.55 Uhr "Guten Abend". Die Tochter reagierte nicht. Aber der Vater, Karl-Heinz H., war derart von Wut und Ohnmachtsgefühl erfüllt, dass seine Fantasie, bei L. müsse es sich um "den Pädophilen" handeln, für ihn offenbar ganz real wurde. Er teilte seinen Verdacht mit Verwandten und Kollegen, und tatsächlich glaubten ihm alle. Einer nannte ihm sogar die Adresse von L. Warum?

Vielleicht, weil Karl-Heinz H. der Typ Mann ist, dem man nicht gerne widerspricht. Ein schmächtiger Kerl zwar, aber einer, bei dem die Dinge schnell aus dem Ruder laufen. Zwischen 1992, da war er erst 16, und 2012 war Karl-Heinz H. insgesamt 16 Mal straffällig geworden, meist wegen Körperverletzung, aber auch wegen Trunkenheit am Steuer, Fahrens ohne Führerschein und Drogenhandels, in den auch seine Mutter involviert war. Doch erst nach der zwölften Vorstrafe musste Karl-Heinz H. das erste Mal für sechs Monate ins Gefängnis. 2001 war das, als er zwei Bekannte verprügelt und mit einem Messer bedroht hatte.

Fast immer hatten seine Taten mit Alkohol zu tun, Zeugen sagten in den vergangenen Monaten vor Gericht aus, Alkohol mache Karl-Heinz H. unglaublich aggressiv. Er hat nicht nur Freunde und Bekannte angegriffen, sondern ganz oft auch seine Frau Nadine, die er einmal so heftig geschlagen hat, dass ihre Zahnprothese zerbrach. In Ehestreitereien drohte er wiederholt, ihr die Kinder wegzunehmen.

Wenn er wütend war, schlug er auch seine Nichte öfter mal ins Gesicht. Das sagt sie vor Gericht aus und findet es offenbar nicht sonderlich schlimm. Für sie, sagt die Nichte, bleibe Karl-Heinz H. der tolle "Onkel Heini", ein supernetter Kerl, solange er einigermaßen nüchtern ist.

Glaubt man den Aussagen der Zeugen, war dies alles in der Großfamilie H. mehr oder weniger normal. Man schlägt sich, man verträgt sich. Auch im Haus von Karl-Heinz und Nadine H. ging es turbulent zu, man saß Abende lang mit allen möglichen Leuten zusammen im Keller, es wurde viel getrunken, viel erzählt, Drogen waren immer vorhanden — auch für die Gäste. Vor Gericht attestieren Verwandte und Kollegen den Eheleuten Hilfsbereitschaft, Fröhlichkeit, Zuverlässigkeit. Als eine Freundin über Nadine H. sagt, sie sei "einer der nettesten Menschen, die ich kenne", fließen Tränen.

Die Frau, die nun mit 31 Jahren als eine Hauptangeklagte vor Gericht sitzt, war 15 Jahre alt, als sie den acht Jahre älteren Karl-Heinz H. kennenlernte. Beide hatten keinen Schulabschluss, keine Ausbildung. Aber sie hatten sich gefunden: die zielstrebige Nadine, die ohne Vater aufgewachsen war, und der 23-jährige Herumtreiber. Damals, im Jahr 2000, als die Geschichte der H.s anfing, hätte vielleicht sogar noch alles gut werden können. Irgendwann hatte Nadine H. bei der Volkshochschule den Hauptschulabschluss nachgeholt und sich von einer Hilfskraft zur Kassiererin hochgearbeitet. Ihr Mann war fast zehn Jahre lang einer geregelten Tätigkeit als Garten- und Landschaftsgehilfe nachgegangen. Doch der gute Weg, auf dem sich die H.s damals befanden, war immer steiniger geworden — Drogen und Alkohol, Geldsorgen, Streit und Gewalt.

13 Jahre nach der Hochzeit ist alles vorbei. Nadine und Karl-Heinz H. sitzen im Gerichtssaal hintereinander, er rechts außen, sie links außen, er mit Schnauzbart, rasiertem Kopf und im Kapuzenpulli, sie adrett in Bluse und Jeans.

Wenn er in den Gerichtssaal geführt wird, suchen seine Augen fast immer ihren Blick, er zwinkert ihr zu, doch sie schaut meistens starr auf den Tisch vor sich, hält den Blick hinter der schmalen Brille gesenkt. Die kleine Frau mit dem strengen und auffallend blassen Gesicht verfolgt aufmerksam jeden Verhandlungstag, schreibt häufig etwas in ihr Notizbuch. Die fast hüftlangen Haare, die im August blond waren, sind jetzt dunkel gefärbt, der Mund ist ein schmaler Strich, um den Hals trägt sie einen Rosenkranz, ein weiterer ist um die linke Hand geschlungen.

Gewaltbereitschaft und ein Hirngespinst haben zu einem furchtbaren Verbrechen geführt, für das Nadine und Karl-Heinz H. und die anderen drei Angeklagten am Dienstag sehr wahrscheinlich verurteilt werden. Wie auch immer das Urteil ausfällt, der Familie von Christian L. wird es kaum helfen, den Verlust des Sohnes und Bruders zu ertragen. Die Sinnlosigkeit seines Todes hinterlässt Fragen, die nun für immer unbeantwortet bleiben werden.

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