Besuch in Hilden Großeltern statt Kita

Hilden · Rund ein Drittel der Großeltern betreut ihre Enkel - Tendenz steigend. Für die Espinosas aus Hilden besteht der Alltag aus Trubel, Kinderserien und Brettspielen. Damit es keinen Streit über Erziehung gibt, raten Pädagogen zum Dialog.

 Eingespieltes Team: Die Großeltern Carlos und Carmen Espinosa mit ihren Enkeln Carla (7) und Pablo (4). Bis zu drei Nachmittage in der Woche verbringen sie gemeinsam. Die Großeltern wollen gerne an der Erziehung mitwirken.

Eingespieltes Team: Die Großeltern Carlos und Carmen Espinosa mit ihren Enkeln Carla (7) und Pablo (4). Bis zu drei Nachmittage in der Woche verbringen sie gemeinsam. Die Großeltern wollen gerne an der Erziehung mitwirken.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Bunte Plüschtiere sitzen auf dem Sofa, über der Stuhllehne hängt Kinderkleidung. Im Regal liegen DVDs von "Shrek" und "Prinzessin Lillifee", daneben stapeln sich Brettspiele. Ein bestens ausgestattetes Kinderzimmer - in der Wohnung von Carmen (73) und Carlos Espinosa (75).

Seit mehreren Jahren kümmern sich die beiden um ihre Enkelkinder Carla (7) und den vierjährigen Pablo. Deren Eltern gaben Carla mit rund elf Monaten vormittags zu einer Tagesmutter. Die Nachmittage verbrachte sie zuhause - davon zwei Tage pro Woche bei den Großeltern. "Wenn Carla krank war, haben wir uns auch fast immer um sie gekümmert", erzählt Carmen Espinosa. Mittlerweile sind die Kinder meist drei Tage in der Woche nachmittags bei Oma und Opa.

Rund ein Drittel der Großeltern in Deutschland ist an der Betreuung der Enkel beteiligt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Zentrums für Altersfragen aus dem Jahr 2014. Demnach ist der Anteil betreuender Großeltern im Vergleich zum Zeitraum 1996 bis 2008 erstmals wieder gewachsen. Die Autoren vermuten, dass die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen dazu beiträgt. Laut der Studie ist ihr Anteil schneller gestiegen als der Ausbau öffentlicher Betreuungseinrichtungen.

Während der Schwangerschaft mit Pablo passte Mutter Monica Espinosa auch auf Carla auf. "Doch mit meinem neuen Job ist es schwieriger", sagt sie. Deshalb übernahmen wieder die Großeltern. "Mit der Zeit haben wir immer häufiger auf die beiden aufgepasst - auch spontan", erzählen sie. Aus diesem Grund arbeitete Carlos Espinosa, der denselben Namen trägt wie sein Vater, das vergangene Jahr über in Teilzeit. "Ich wollte mehr Zeit für meine Kinder haben und auch meine Eltern entlasten."

Großer Vorteil der Espinosas: Sie wohnen alle in einer Stadt - in Hilden. Carlos Espinosa, der als IT-Fachmann in Düsseldorf arbeitet, holt seine Kinder auf dem Heimweg bei den Eltern ab. "So können sie auch länger bleiben, wenn ich Überstunden mache oder im Stau stehe. Schließlich sind sie in ihrem zweiten Zuhause." Solch eine Hilfe ist nicht selbstverständlich: Laut der Altersstudie wächst die Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern. 1996 lebten noch mehr als 38 Prozent am selben Ort, 2014 war es nur jeder Vierte.

Die Großeltern Espinosa haben Routine. "Zuerst holen wir Pablo vom Kindergarten ab, dann Carla von der Schule", erzählt Carmen Espinosa. Mittwochs bringen sie Carla zum Ballett. "Ich sehe, wie viel Spaß sie beim Tanzen hat - das macht mich glücklich", sagt die Oma. Der Trubel, die Betreuung - "das ist natürlich anstrengend, vor allem körperlich", sagen die Großeltern, "aber wir haben uns daran gewöhnt." Sie mögen es, eine Aufgabe zu haben. Wenn sie die beiden nicht sehen, vermissen sie sie. Auch mit den anderen Enkeln, die mittlerweile erwachsen sind, verbrachten sie viel Zeit. "Wir sehen das als Chance, an der Erziehung mitzuwirken."

Aber führen zwei Erziehungsstile zu Ärger? "Es gab bisher keine Konflikte mit meinen Eltern", sagt Carlos junior. "Im Gegenteil. Sie bestätigen uns in der Erziehung." Das ist aber nicht immer der Fall. Erziehung ist Ansichtssache und wird von Trends beeinflusst. Egal, ob es um Fernseh-Konsum oder Spielzeugmenge geht: Machen Großeltern Vorwürfe oder mischen sich stark ein, kann das zu Streit führen. "Ansichten, Prinzipien und Methoden haben sich verändert", erklärt der Essener Familientherapeut Björn Enno Hermans.

Damit aus solchen Diskussionen keine Konflikte entstehen, müsse es "eine Kommunikation auf Augenhöhe" geben, sagt Sozialpädagogin Sylvia Görnert. Sie hat mehrere Ratgeber geschrieben. "Es ist gar nicht so einfach, wenn aus Kindern Eltern werden", sagt sie. Gemeinsam Verantwortung für Kinder zu übernehmen, erfordere, dass alle Beteiligten alte Muster hinter sich lassen.

"Ich bin gerne bei Oma und Opa", sagt Pablo Espinosa. An manchen Wochenenden übernachten Carla und er auch dort. Dann dürfen sie länger wach bleiben und mehr naschen. "Die Kinder werden bei ihren Großeltern mehr verwöhnt als bei uns", sagt Vater Carlos Espinosa. "Die beiden wissen aber, dass nicht alles erlaubt ist und sie auf ihre Großeltern hören müssen."

Indirekte Vorwürfe wie "Wenn du meinst, dass das richtig ist" seien kontraproduktiv und fachen einen Konflikt über Erziehungsstile eher an, sagt Familientherapeut Hermans. "Kinder bekommen das mit, sie hören es sofort am Tonfall." Das Kind könne so in einen Loyalitätskonflikt geraten. "Wenn Großeltern versuchen, Konflikte mit Macht zu lösen, können sie eigentlich nur verlieren", erklärt Eckart Hammer, Professor für Gerontologie an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg. Da Eltern am längeren Hebel sitzen, rät er, nicht zu weit von deren Erziehungskonzept abzuweichen.

Das bedeute jedoch nicht, dass der Erziehungsstil eins zu eins übernommen werden muss, sagt Sozialpädagogin Görnert. Bei den Großeltern dürfe es auch mal ein Stück Schokolade mehr sein. "Kinder verstehen sehr gut, dass dort andere Regeln gelten." Um Missverständnisse zu verhindern, seien Absprachen mit den Eltern allerdings sinnvoll. "Großeltern müssen nicht permanent erziehen, sie dürfen mit dem Herzen denken."

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