Erst SPD, jetzt AfD Der Seitenwechsler

Essen · 26 Jahre lang war der Essener Guido Reil in der SPD, nun könnte der Gewerkschafter von der AfD für den Landtag aufgestellt werden. Gut reden kann er, viele Stimmen bringen könnte er auch, aber mit der Faktentreue hapert es etwas. Ein Portrait.

 Als langjähriger Kommunalpolitiker ist Guido Reil (Mitte) im Stadtteil Karnap im Essener Norden bestens verdrahtet - einige Bekannte bitten ihn direkt an ihren Tisch des "Café Fee" am Marktplatz, als er dort zum Treffen vorbeikommt.

Als langjähriger Kommunalpolitiker ist Guido Reil (Mitte) im Stadtteil Karnap im Essener Norden bestens verdrahtet - einige Bekannte bitten ihn direkt an ihren Tisch des "Café Fee" am Marktplatz, als er dort zum Treffen vorbeikommt.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Wer zur AfD geht, wird Außenseiter? Zumindest für den langjährigen Sozialdemokraten Guido Reil scheint das Gegenteil zu gelten: Als der 46-Jährige gestern zum Treffen in das "Café Fee" im Essener Arbeiterstadtteil Karnap kommt, begrüßt er in kurzer Hose erst einmal ein Dutzend anderer Gäste an den Tischen. "Schön, dass Du da bist", sagt Erika Adler, schon länger im Ruhestand. Klaus Spies, 65, war viele Jahre lang im Schützenverein mit Reil und sagt: "Wir verstehen uns weiter bestens." Nur die 64-jährige Christa Kitsch meint später: "Der Guido ist schon ein guter Typ, und wir waren auch lange zusammen in der SPD, bevor ich vor Jahren austrat. Aber nur wegen ihm wähle ich die AfD doch nicht."

Am Wochenende wird sich entscheiden, ob Reil einen aussichtsreichen Platz auf der AfD-Liste für die Landtagswahl im Mai bekommen wird. Landeschef Marcus Pretzell gilt als Befürworter einer Kandidatur, weil Reil im Stammland der Sozialdemokraten die Stimmen vieler früherer SPD-Anhänger bringen könnte - immerhin ist der Gewerkschafter und Betriebsrat als Kritiker der Flüchtlingspolitik bundesweit bekannt. Er trat am Montag auch bei "Hart aber fair" im Ersten auf.

Andererseits gibt es in der rechtspopulistischen Partei Widerstand: Noch im Mai hatte Reil kurz nach seinem SPD-Austritt einen Beitritt zur AfD ausgeschlossen, weil er ihre "Ideologie" ablehne - das sieht er nun anders. "Das sind viele vernünftige Leute in der Partei. Also glaube ich, meine Vorstellungen als konservativer Sozialdemokrat dort einbringen zu können." Er selber will sich noch nicht auf eine Kandidatur festlegen: "Wenn es Skepsis gibt, weil ich erst so kurz dabei bin, habe ich dafür Verständnis und mache eben weiter mit meiner Arbeit als direkt gewähltes Ratsmitglied."

Egal wie es kommt, der Parteiwechsel steht für die Entfremdung großer Teile des Arbeitermilieus im Ruhrgebiet von der SPD. "Das ist doch keine Arbeiterpartei mehr", sagt Reil, "fast alle Ämter werden von Akademikern übernommen, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und viele reine Parteikarrieristen überwiegen." Bei ihm waren Vater und Großvater in der SPD, er kam mit 20 Jahren dazu, war lange im Ortsvereinsvorstand, kam in den Stadtrat und arbeitet als Steiger im letzten Bergwerk NRWs. "Meistens mache ich Nachtschicht, schlafe dann bis 13 Uhr und habe danach Zeit für Politik und etwas Freizeit."

Klar, dass dem Abtrünnigen aus seiner alten Partei scharfe Kritik entgegenschallt. Es sei unglaubwürdig, sich noch Anfang Mai als stellvertretender Vorsitzender der SPD in Essen beworben zu haben und dann zur AfD gegangen zu sein, heißt es aus dem Umfeld von Essens SPD-Chef Thomas Kutschaty, der im Hauptberuf NRW-Justizminister ist. Reil sieht das genau umgekehrt: "Meine Bewerbung war damit verbunden, dass ich eine klare Kurswende in der Flüchtlingspolitik forderte und so auch die SPD retten wollte. Und als ich damit scheiterte, bin ich eben gegangen."

Tatsächlich hängt der Bruch zwischen Reil und der etablierten Politik fast nur mit der Flüchtlingsthematik zusammen. Im Januar rechnete er in einem Interview der "Funke Gruppe" mit Berlin ab. Der Zuzug von hunderttausenden jungen Männern aus arabischen Staaten werde scheitern, weil diese sich mangels Sprachkenntnissen und wegen ihrer Kultur schwer integrieren ließen. Wörtlich sagte er in Richtung Kanzlerin: "Wir schaffen es nicht" - und wurde als SPD-Rebell bundesweit zitiert.

Als in seinem Stadtteil Karnap, in dem bereits viele Immigranten leben, hunderte Flüchtlinge hinzukommen sollten, organisierte Reil als SPD-Mann eine Demonstration dagegen. Sogar Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) war alarmiert und erreichte die Absage der Kundgebung. Die Pläne für den Zuzug wurden geändert.

Ist der Ex-Genosse nun wegen seiner scharfen Kritik an der Zuwanderung ein Rassist? Reil sagt, gegen andere Völker habe er nichts. Immerhin sei seine Ehefrau Russin, mit den 17 türkischen Mitarbeitern in der von ihm geführten Gruppe arbeite er gut zusammen. Selbst die AfD befürworte ja gezielte Zuwanderung von Ausländern nach einem Punktesystem nach Qualifikation.

Allerdings ist schwer zu leugnen, dass es Reil bei seiner Polemik gegen die Flüchtlingspolitik nicht immer genau mit den Fakten nimmt: Bei "Hart aber fair" erweckte er den Eindruck, in allen Supermärkten Essens seien Sicherheitsleute aus Sorge vor Flüchtlingen angeheuert worden - wenn überhaupt, trifft der Sachverhalt aber nur für einige Geschäfte zu.

(RP)
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