Prozess gegen Folterpaar von Höxter "Ich glaube, die nibbelt uns ab"

In Paderborn hat der Mordprozess gegen Angelika W. und Wilfried W. aus Höxter begonnen. Am ersten Prozesstag ging es um die Details der brutalen Misshandlungen und Erniedrigungen von Frauen im Haus des Paares.

Höxter: Prozessauftakt gegen Ex-Ehepaar wegen Misshandlungen
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Prozessauftakt im Fall Höxter

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Foto: dpa, mku kno

Wilfried W. versteckt sich nicht vor den dutzenden Kameras, die ihm entgegengehalten werden. Ganz im Gegenteil. Der 46-Jährige schaut fest in die Objektive der Fotografen, er wirkt selbstbewusst, aber auch unaufgeregt, fast gleichgültig. Ganz anders seine Ex-Frau Angelika W. Die 47-Jährige hält sich auch dann noch eine Aktenmappe vors Gesicht, als die Kamerateams und Fotografen längst den Saal verlassen haben. Keine zwei Meter trennt die beiden, zwei Justizbeamte sitzen zwischen ihnen. Und doch versucht Wilfried W. Blickkontakt zu seiner Ex-Frau aufzunehmen. Immer wieder reckt er den Kopf in ihre Richtung. Der Mann mit der unauffälligen Brille, den Geheimratsecken und dem Bart ist so groß, dass er locker über die Beamten hinwegschauen kann. Ein halbes Jahr hat das Ex-Paar sich nicht mehr gesehen. Im April waren sie verhaftet worden.

Doch Angelika W., eine kleine untersetzte Frau mit dunklem Pony, wird ihn an diesem ersten Prozesstag keines Blickes würdigen. Ihre dicke Winterjacke behält sie an. Ihr Anwalt, Peter Wüller, hatte vor Beginn gesagt, seine Mandantin solle so weit entfernt wie möglich von Wilfried W. sitzen, damit er sie nicht beeinflussen könne.

Der Fall Höxter – eine Chronologie der Gewalt
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Foto: dpa, mku gfh

Wilfried W. wollte neue Partnerin kontrollieren

Die Plätze in Saal 205 des Paderborner Landgerichts reichen nicht aus an diesem Morgen für all die Zuschauer, die den Mordprozess beobachten wollen. Wahrscheinlich wollen viele einfach mal einen Blick werfen auf das so genannte Folterpaar von Höxter. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Paar zweifachen Mord durch Unterlassen vor, außerdem 30 Fälle von Körperverletzung. Das Paar soll mindestens sechs Frauen schwer misshandelt haben, zwei Frauen starben. Möglicherweise gibt es noch mehr Opfer. Die Ermittlungen laufen während des Prozesses weiter. Die Akten füllen mehr als 3000 Seiten.

Angelika und Wilfried W. haben laut Anklage im März 1992 geheiratet. Als sie sich 2003 scheiden ließen, lebten sie trotzdem weiter zusammen — seit 2010 in dem etwas heruntergekommenen weißen Haus in Höxter-Bosseborn, dem späteren Tatort. Das Paar entschied im Sommer 2013, dass "Wilfried eine neue Partnerin benötigt." Die neue Verbindung sollte laut Anklage vor allem ein Ziel haben: Das Leben der neuen Frau zu kontrollieren und sie wie eine Leibeigene zu halten. Wilfried W. schaltete eine Kontaktanzeige, in der er eine Frau "für eine gemeinsame Zukunft" suchte.

Opfer Anika W. heiratete ihren Peiniger

Das Paar lud Anika W. ein, die wenig soziale Kontakte hatte, und damals 33 Jahre alt war. Sie hatte auf die Annonce geantwortet. Wilfried W. spielte ihr vor, sie sei seine große Liebe. Schon im Herbst 2013 zog Anika W. bei ihm und Angelika W. ein, die er ihr als seine Schwester vorstellte. Alle drei schliefen im Wohnzimmer, dem einzigen beheizten Raum des alten Hofes — Angelika W. auf einer Matratze, ihr Ex-Mann und seine neue Freundin auf dem Sofa daneben.

Schon bald soll das Paar angefangen haben, die neue Mitbewohnerin zu drangsalieren und zu quälen. Laut Anklage überschüttete Wilfried W. sie mit kochend heißem Tee oder er trat ihr die Beine weg und stellte seinen Fuß auf ihre Kehle, wenn sie am Boden lag. Er soll ihr Glutamat ins Essen gemischt haben, obwohl er wusste, dass sie allergisch darauf reagierte, ihre Gelenke anschwollen. "Die Misshandlungen führten dazu, dass ihr Wille gebrochen wurde", sagt Oberstaatsanwalt Ralf Meyer. Es ging um Machtausübung, Manipulation und Erniedrigung.

Doch Anika W. blieb. Und sie heiratete Wilfried W. Sie musste seinen Urin trinken, man schlief weiterhin zu dritt im Wohnzimmer. Folgt man der Anklage, wurde Anika W. ab Mai 2014 nachts mit Handschellen gefesselt, weil Angelika W. und Wilfried W. verhindern wollten, dass sie zur Toilette geht. Sie wollten nicht geweckt werden. Nach 21 Uhr durfte Anika W. deshalb nichts mehr trinken. Die Frau nässte sich ein, woraufhin sie nachts in einer wächsernen Decke auf dem Fußboden schlafen musste. Das Ex-Paar brachte sie erst in den ersten Stock des Hauses und kettete sie dort an die Heizung. Weil das Klappern der Handschellen am Heizkörper die beiden störte, schafften sie Anika W. in den Keller. Dort ketteten sie die geschwächte Frau an Händen und Füßen in einer Badewanne an. Tag und Nacht war Anika W. dort, meistens nackt, ihr Kopf war kahl geschoren. Mal soll Angelika W. die Wanne mit kaltem Wasser gefüllt, mal soll sie Anika W. mit 70 Grad heißem Wasser verbrüht haben. Einmal ließ sie laut Anklage die Wanne voll laufen, in der Anika W. mit dem Kopf nach unten lag. Dann ging sie nach oben und sagte: "Die ersäuft jetzt." Wilfried W. zog die Bewusstlose aus der Wanne, ließ sie liegen, bis sie wieder zu sich kam.

Höxter: Paar quält Frau in Wohnhaus zu Tode
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Paar misshandelt Frauen in Höxter

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Foto: dpa, mku gfh

Spätestens im August 2014 konnte Anika W. nicht mehr gehen. Sie versuchte trotzdem, sich aus dem Keller in die Scheune auf dem Hof zu schleppen. Das Paar schickte sie zurück, bei einem Sturz verletzte sie sich so schwer am Kopf, dass sie sich nicht noch einmal erholte. "Ich glaube, die nibbelt uns ab", soll Wilfried W. gesagt haben. Ihre Leiche sollen die beiden verbrannt haben.

Keine zwei Jahre später lockten die beiden die nächste Frau in ihr Haus. Wieder war eine Anzeige geschaltet worden, Susanne F. aus Niedersachsen meldete sich. Schon einen Monat später zog die 41-Jährige ein. Wilfried W. schlief neben ihr auf der Couch, seine Ex-Frau wieder auf der Matratze daneben. Die beiden brachten ihr neues Opfer im März 2016 zunächst zurück nach Hause, holten Susanne F. aber nach sechs Tagen wieder ab. Und sie ging mit.

Laut Anklage hatte Wilfried W. es wieder innerhalb kürzester Zeit geschafft, die Frau derart zu manipulieren, dass sie offenbar nicht anders konnte, als ihm zu folgen. Auch Susanne F. soll von beiden gequält, misshandelt und gedemütigt worden sein. Die letzten Monate ihres Lebens ähneln auf grausame Weise Anika W.s Leidensgeschichte. Am 21. April dieses Jahres entschieden Angelika und Wilfried W. aber, die todkranke Frau zurück nach Niedersachsen zu bringen. Da konnte sich Susanne F. schon nicht mehr auf den Beinen halten. Als der Opel Corsa eine Panne hatte, rief Angelika W. einen Krankenwagen. Die Ärzte verständigten die Polizei und die Ermittlungen begannen. Susanne F. starb am 21. April in der Klinik.

Nach Verlesung all dieser grausigen Details durch den Staatsanwalt wendet sich der Vorsitzende Richter der Ersten Großen Strafkammer, Bernd Emminghaus, direkt an die beiden Angeklagten. "Im Vorhinein war die Rede vom Folterpaar, vom Horror-Haus, Sie wurden auch als Hexe bezeichnet", sagt er. Er versichert den Angeklagten, dass Grundlage der Entscheidung letztlich nur das sein werde, was Gegenstand der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sein wird.

Der erste Prozesstag endet mit einem Antrag von Detlef Binder, der Wilfried W. verteidigt. Er zweifelt die fachliche Kompetenz des psychiatrischen Gutachters an. Das Gutachten sei widersprüchlich, der Psychiater habe ein veraltetes Klassifikationssystem verwendet, um eine Diagnose zu stellen und die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu beurteilen. Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass Wilfried W. eine sadistische Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit stark ausgeprägten psychopathischen Zügen hat. Rechtsanwalt Binder ist der Ansicht, dass der Gutachter sich teilweise selbst widerspricht, weil er zudem einerseits Anzeichen für einen "ausgeprägten sexuellen Sadismus" bei dem Angeklagten sieht — einige Seiten weiter aber genau das verneint. Die Kammer hat den Antrag vorerst zurückgestellt.

Angelika W. hat die Taten schon vor dem Prozess bei der Polizei gestanden und will sich auch vor Gericht äußern. Sie belastet ihren Ex-Mann schwer. Der schweigt, nachdem er in einer ersten Vernehmung sämtliche Vorwürfe bestritt - und gegenüber der Polizei behauptete, seine Ex-Frau sei die treibende Kraft gewesen. Seine Verteidiger kündigten an, eine Einlassung ihres Mandanten vor Gericht zu verlesen. Wilfried W. war bereits 1995 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er seine damalige Ehefrau schwer misshandelt hatte.

Für den Prozess sind vorläufig zehn Verhandlungstage festgelegt. 48 Zeugen wurden geladen, ein Urteil wird für Ende März erwartet.

Angelika W. und Wilfried W. drohen lebenslange Freiheitsstrafen.

(hsr)
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